Mittwoch 06 April 2022, 11:00

Tunesien: Ein unberechenbarer WM-Gegner

  • Tunesien baut auf Spieler aus dem Nahen Osten, keine Europalegionäre

  • Die Nordafrikaner haben in den letzten Jahren vom Offensivfussball zu einer stärker defensiv ausgerichteten Spielweise gewechselt

  • Tunesien könnte in seiner WM-Gruppe mit Frankreich und Dänemark für Überraschungen sorgen, oder wie die DVR Korea 2010 in Südafrika krachend scheitern

Bei der Auslosung der afrikanischen Playoff-Duelle für die FIFA Fussball-WM Katar 2022™ zweifelten Experten und Tunesiens Fans an den Chancen des Teams und setzten eher auf Marokko, Algerien und Ägypten.

Von dem arabisch-afrikanischen Quartett lösten jedoch nur Tunesien und Marokko das Ticket für die WM-Endrunde. Die Tunesier können sich nun auf ihre zweite WM-Teilnahme in Folge und die sechste insgesamt freuen. In Katar wollen sie ihre Qualitäten auf der Weltbühne unter Beweis stellen, aber diesmal mit einer anders ausgerichteten Spielweise, dank eines neuen Ansatzes, der in den letzten Jahren verfolgt wurde.

Das Erreichen des Halbfinales beim CAF Afrikanischen Nationen-Pokals 2019 in Ägypten war ein wichtiger Erfolg für den tunesischen Fussball nach einem teils unbefriedigenden Turnierverlauf, mit nur drei Punkten in der Gruppenphase und einen Sieg im Elfmeterschießen gegen Ghana im Achtelfinale. Bei der darauffolgenden Turnierauflage 2021 holten die Tunesier in der Gruppenphase erneut nur drei Punkte und schieden im Viertelfinale gegen Burkina Faso aus.

Das Scheitern bei dieser Afrikameisterschaft mit zwei Niederlagen in der Gruppenphase führte zur Entlassung von Trainer Mondher Kebaier, der das Team seit 2019 geführt hatte. Doch ein neuer Ansatz war bereits im Entstehen, und so war es keine Überraschung, dass der tunesische Fussballverband auf Kebaiers Assistenztrainer Jalel Kadri als Nachfolger setzte.

Ein neuer Ansatz: Heimische Spieler zuerst

Sowohl Kadri als auch sein Vorgänger setzten auf Spieler aus den Ligen des Nahen Ostens und nicht aus Europa, mit Ausnahme etablierter Akteure wie Wahbi Khazri, Ellyes Skhiri und Dylan Bronn. Diese Taktik erwies sich beim FIFA Arabien-Pokal Katar 2021™ im vergangenen Dezember als erfolgreich, als Tunesien bis ins Finale vorstieß und gegen Algerien erst in der Verlängerung mit 0:2 unterlag. Zuvor hatten die Tunesier im Halbfinale gegen Ägypten eine bewundernswerte Leistung gezeigt, auch wenn sie ein Eigentor in letzter Sekunde benötigten, um sich den Einzug ins Finale zu sichern.

Kadri schaffte es, das große Ziel der WM-Qualifikation für Katar 2022 auf Kosten von Mali mit nur zwei europäischen Spielern in der Startaufstellung zu erreichen. Auch dabei war der entscheidende Treffer im Duell mit Hin- und Rückspiel (0:1, 0:0) ein gegnerisches Eigentor.

Der Einsatz von Spielern aus dem Nahen Osten beschränkte sich nicht auf bestimmte Positionen. Der Trainer schöpfte seinen Kader voll aus, so dass sich die neuen Spieler nahtlos in das System einfügten und für taktische Harmonie sorgten. Doch das allein reichte nicht aus.

Siege aus der soliden Verteidigung heraus

Tunesien, das lange Zeit den Offensivfussball bevorzugte, glänzt mittlerweile insbesondere durch seine entschlossene Verteidigung. Die Adler von Karthago blieben in 22 der 47 Spiele seit 2019 ohne Gegentor und kassierten in den verbleibenden 25 Spielen nur 29 Treffer. Die Abwehr wurde nie mehr als zwei Mal in einem Spiel durchbrochen und selbst das kam nur vier Mal vor.

Im genannten Zeitraum hat Tunesien nur elf Niederlagen eingesteckt aber 29 Siege gefeiert - eine beeindruckende Bilanz für eine überwiegend einheimische Mannschaft mit defensiven Tendenzen. Die meisten Spieler sind zwischen 27 und 30 Jahre alt, was die taktische Reife unterstreicht, die einheimische Spieler bei Teams wie Espérance oder in anderen arabischen Ligen erreicht haben. Darunter sind einige Spieler, die in der katarischen Liga für Furore sorgen, beispielsweise Kapitän Youssef Msakni und Ferjani Sassi und weitere, die in Ägypten spielen, wie Ali Maaloul und Seifeddine Jaziri, sowie der in Saudiarabien spielende Naim Sliti.

Überraschungsteam oder ein neues Nordkorea?

Es scheint sicher, dass sich Tunesien in einer schweren Gruppe mit Frankreich und Dänemark vor allem auf seine defensive Spielweise und die taktische Reife seiner erfahrenen Spieler verlassen wird. Doch diese beiden Fussballgroßmächte, die über hohe Klasse verfügen, treffen mit Tunesien auf einen recht unberechenbaren Gegner, der gezeigt hat, dass er auch mit einer eher bescheidenen Angriffsabteilung gute Resultate holen kann.

Wird Tunesien bei der Endrunde in Katar für eine Überraschung sorgen, oder werden wir eine Wiederholung von Korea DVR bei der WM 2010 in Südafrika erleben, als sich die Asiaten dank einer Abwehr qualifizierten, die in 16 Qualifikationsspielen nur sieben Gegentore zuließ, dann aber in den drei Gruppenspielen bei der WM-Endrunde zwölf Gegentore kassierte und nach drei Niederlagen den letzten Platz in ihrer Gruppe belegte?