Montag 14 Februar 2022, 08:00

Wiegman: Englands Kader ist sogar noch besser als ich dachte

  • Sarina Wiegman hat die ersten sechs Monate als englische Nationaltrainerin mit Bravour gemeistert

  • Die zweimalige The Best – FIFA-Welttrainerin steht vor drei großen Herausforderungen

  • Wiegman sprach mit der FIFA über ihre bisherige Arbeit und die bevorstehenden Partien gegen Kanada, Spanien und Deutschland

Mit einem Gesamt-Torverhältnis von 53:0 in den ersten sechs Spielen hat Sarina Wiegman den besten nur denkbaren Start mit dem englischen Frauen-Nationalteam hingelegt.

Doch obwohl die ehemalige niederländische Nationaltrainerin miterlebt hat, wie ihr Team sich mit bemerkenswerten Resultaten mit großem Vorsprung an der Spitze der WM-Qualifikationsgruppe festgesetzt hat, sehnt sie sich nach mehr.

Sie weiß selbstverständlich, dass die zum Teil äußerst einseitigen Ergebnisse (darunter zwei 10:0-Siegen und gar einem 20:0) nicht nur der Stärke ihrer Schützlinge geschuldet sind, sondern auch dem bisherigen Fehlen gleichwertiger Gegner.

Sie weiß ebenfalls, dass ihr Team auf hohem Niveau gefordert werden muss, um noch weitere Verbesserungen an der Erfolgsformel zu finden, die England bei den letzten drei großen Turnieren jeweils bis ins Halbfinale gebracht hat.

Und so stehen für die Lionesses nun in der Vorbereitung auf die bevorstehende UEFA EURO im eigenen Land drei Spiele gegen ganz andere Kaliber an, nämlich gegen Olympiasieger Kanada, das überaus formstarke Spanien und das erfolgreichste Team der EM-Geschichte, nämlich Deutschland.

Entsprechend gut gelaunt war Wiegman, die sich mit uns zusammensetzte, um über ihre ersten sechs Monate als englische Nationaltrainerin und die bevorstehenden schweren Partien zu sprechen.

LONDON, ENGLAND - SEPTEMBER 09: Sarina Wiegman is unveiled As New Senior Head Coach Of The England Women's Team at Wembley Stadium on September 09, 2021 in London, England. (Photo by Catherine Ivill/Getty Images)

FIFA: Sarina Wiegman, beim Arnold-Clark-Cup treten Sie mit England in den nächsten zehn Tagen gegen Kanada, Spanien und Deutschland an. Wie sehr freuen Sie sich auf diese Spiele gegen hochklassige Gegner? Sarina Wiegman: Ich freue mich sehr auf diese Spiele und ich weiß, dass auch die Spielerinnen sich freuen. Seit meinem Amtsantritt als englische Nationaltrainerin hatten wir sechs sehr gute Spiele, aber keines davon gegen Spitzenmannschaften von Weltklasse. Also brauchen wir nun solche Spiele, um zu sehen, wo wir wirklich stehen. Es ist auch eine gute Gelegenheit, unseren Spielstil weiterzuentwickeln, einzelne Spielerinnen zu fördern und unsere Vorbereitung auf die EURO zu intensivieren.

Ist es sehr schwer, dass Sie die Fortschritte und den Einfluss, den Sie als Trainerin haben, erst nach diesen Spielen beurteilen können, angesichts dessen, was Sie über das Niveau der bisherigen Gegner gesagt haben? Bis zu einem gewissen Grad ist das schwer, obwohl ich mir wirklich sicher bin, dass wir bereits Fortschritte gemacht und uns weiterentwickelt haben, vor allem was unsere Spielweise bei Ballbesitz angeht. Aber selbst gegen Österreich, als wir nur 1:0 gewonnen haben, gab es nur eine zehnminütige Phase, in der ich das Gefühl hatte, dass der Gegner wirklich gefährlich war. Es ist allerdings etwas Anderes, wenn man gegen Teams wie Kanada, Spanien und Deutschland spielt, weil man in allen Bereichen wirklich gefordert wird. Es besteht kein Zweifel daran, dass wir solche Tests brauchen, um zu sehen, wo wir als Team wirklich stehen.

Kanada hat die meisten mit dem Gewinn der Goldmedaille beim Olympischen Fussballturnier der Frauen im vergangenen Jahr überrascht. Ist das, was die Kanadierinnen in Japan geschafft haben, ein gutes Beispiel dafür, was man bei einem Turnier erreichen kann, wenn man die richtige Teamstruktur und die richtige Chemie innerhalb der Gruppe hat? Ja, und diese Stimmung im Team ist etwas, auf das wir sehr viel Wert legen. Wir wollen ein Umfeld schaffen, in dem Leistung sehr wichtig ist, aber ebenso auch der Zusammenhalt und das gegenseitige Kennenlernen. Das gilt im Übrigen sowohl für die Spielerinnen als auch für den Stab. Das Gute an Kanada als Gegner für uns ist, dass sie auch einen guten Spielstil haben und sehr strukturiert sind. So werden wir sehen können, wie wir uns darauf einstellen und wie gut wir unseren eigenen Spielstil umsetzen können.

Im zweiten Spiel geht es gegen Spanien, das angesichts der jüngsten Leistungen, des Erfolgs von Barcelona und der Stärke des Kaders kein Geheimfavorit mehr ist. Teilen Sie die Einschätzung, dass Spanien jetzt zum Favoritenkreis bei der UEFA EURO und der FIFA Frauen-WM™ gehört? Es stimmt natürlich, dass Spanien nicht mehr als Außenseiter gilt. Das ist ein Weltklasseteam. Die Spanierinnen haben das zwar noch nicht bei einem großen Turnier gezeigt, aber ich denke, dass das nur eine Frage der Zeit ist. Sie spielen wirklich sehr stark. Wie wir wissen, haben sie viele Spielerinnen, die Tag für Tag bei Barcelona zusammen trainieren und spielen, und ich denke, das sieht man auch. Im Ballbesitz spielen sie großartig, und ich kann absolut verstehen, warum sie jetzt als einer der Favoriten angesehen werden.

Als Sie die Stelle als Nationaltrainerin Englands annahmen, sagten Sie, dass Sie sich auf das Unbekannte freuen, indem Sie außerhalb Ihres Heimatlandes trainieren. Inwieweit hat die Realität Ihre Erwartungen erfüllt? Zunächst einmal muss ich sagen, dass ich sehr herzlich empfangen wurde, und alle hier mir sehr geholfen haben, mich einzuleben. Was die Spielerinnen angeht, so wusste ich bereits, dass sie gut sind, aber als wir mit dem Training begannen, erkannte ich, dass sie sogar noch besser sind, als ich dachte. Das Tempo beim Training, der Arbeitswille, das unglaubliche Engagement – das war alles sehr gut. Manchmal mussten wir die Spielerinnen sogar bremsen, und das ist eine wirklich schöne Situation für einen Trainer. Für mich ging es darum, zu einem Team, von dem ich wusste, dass es bereits sehr stark war, etwas beizusteuern – vor allem ein paar von meinen Prinzipien – und ich glaube, das ist mir ziemlich schnell gelungen. Die Organisation, unsere Kollegen beim englischen Fussballverband, die Mannschaft – dies alles entspricht meinen Erwartungen. Jetzt müssen wir nur noch sehen, wie wir uns gegen Spitzenmannschaften schlagen, wenn der Druck auf uns ein wenig größer wird.

England war bereits als eines der Topteams im Weltfussball etabliert, als Sie das Team übernommen haben. Doch nach der WM 2019 schien es eine Flaute zu geben, mit schwachen Ergebnissen und eher durchschnittlichen Leistungen. Hatten Sie bei Ihrem Amtsantritt das Gefühl, das Team neu motivieren zu müssen? Ganz und gar nicht! Vom ersten Trainingslager an war unglaublich viel Energie vorhanden, und wie ich schon sagte, ging es eher darum, die Spielerinnen etwas zu bremsen, denn alles lief auf Hochtouren. Das Engagement und die Bereitschaft, zu arbeiten, waren vom ersten Tag an absolut fantastisch.

Sie haben zu einer Zeit in den USA gespielt, als diese zweifellos das Zentrum des Frauenfussballs waren. Haben Sie das Gefühl, dass Europa jetzt diese Rolle übernommen hat und dass England dabei im Mittelpunkt steht? Ich denke, dass die Entwicklung in Europa so schnell war, dass es definitiv eine Verschiebung in diese Richtung gegeben hat. Hier in England sehe ich natürlich viel von der Women's Super League (WSL), und das ist ein echter Weltklassewettbewerb. Es gibt sehr viele Spiele, die auf einem wirklich hohen Niveau ausgetragen werden. Aber auch anderswo in Europa gibt es sehr gute Entwicklungen, und die Einrichtungen werden immer besser, was die Entwicklung der Spielerinnen und des Spiels weiter vorantreiben wird. Ich bin mir sicher, dass sich der Frauenfussball in fünf Jahren um einiges weiterentwickelt haben wird.

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Als Sie das Amt übernahmen, wurde viel darüber gesprochen, dass Sie mit den Niederlanden bei einer Heim-EM erfolgreich gewesen waren. Wie sieht im Vergleich dazu die Herausforderung aus, das Gleiche mit England zu erreichen? Es ist eine deutlich andere Situation, denn damals mit den Niederlanden hatte das niemand von uns erwartet. Der englische Frauenfussball befindet sich 2022 in einem ganz anderen Entwicklungsstadium als der Frauenfussball in den Niederlanden im Jahr 2017. Wenn man in ein solches Turnier geht, will man so viel wie möglich herausholen und das bestmögliche Turnier spielen. Dafür arbeiten wir jeden Tag. Wohin uns das führt und wie weit wir kommen, müssen wir angesichts der Stärke der Gegner abwarten. Es gibt die englische Redewendung, 'Leave no stone unturned', also dass man nichts unversucht lassen sollte, und genau das tun wir hier. Wir wissen, dass das Eröffnungsspiel der EURO bereits jetzt ausverkauft ist. Das wird die größte Frauensportveranstaltung in Europa. Es wird eine Riesensache. Ich möchte, dass wir alle – nicht nur England, sondern auch die anderen Teams – diese EURO zu einem Ereignis machen, das wir feiern und für das wir uns begeistern können. Wir wollen die Aufmerksamkeit der ganzen Welt erregen und den Frauenfussball auf die nächste Stufe bringen.

Obwohl Ihre Konzentration verständlicherweise auf der EURO liegt, sind Sie bestimmt auch erfreut über die Wachstumsperspektive, die die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft in Australien und Neuseeland im kommenden Jahr bietet? Nun, wir wollen uns noch nicht zu sehr freuen, denn obwohl wir bisher sehr gut spielen, sind wir noch nicht qualifiziert. (lacht) Aber wir wollen unbedingt dabei sein, weil wir wissen, dass es wieder ein fantastisches Turnier wird. Das Niveau steigt immer weiter an, und deshalb bin ich sicher, dass wir eine noch bessere Weltmeisterschaft als die letzte in Frankreich erleben werden.