Donnerstag 07 April 2022, 03:00

Willkommen auf der Weltbühne: Fünf WM-Debütanten auf der Trainerbank

  • Mindestens 17 Trainer werden in Katar ihr Debüt geben

  • Vier Weltmeister werden zum ersten Mal als Trainer bei einer WM auf der Bank sitzen

  • Wir haben fünf der außergewöhnlichsten Geschichten zusammengestellt

Die Nationalmannschaft bei einer WM zu trainieren ist das Größte, was ein Trainer im Fussball erreichen kann. Denn alle wollen dabei sein: diejenigen, die ihre Karriere bei einem kleinen Klub begannen, genauso wie auch international renommierte Trainer. In Katar werden mehr als die Hälfte der Mannschaften einen WM-Debütanten zum Trainer haben: Von den 29 Ländern, die bereits einen Platz in der Gruppenphase sicher haben, werden 17 einen Trainer haben, der zum ersten Mal bei einer WM auf der Bank sitzt.

Wir haben die Geschichten von fünf Trainern herausgesucht, die sich im November auf der größten Fussballbühne der Welt vorstellen werden.

Lionel Scaloni: der erfahrene Debütant

Als Maxi Rodriguez bei der FIFA Fussball-WM Deutschland 2006™ mit seinem unvergesslichen Linksschuss das 2:1 gegen Mexiko erzielt hatte, fielen sich unter anderem Lionel Messi und Lionel Scaloni jubelnd in die Arme. Die beiden waren zu dieser Zeit Teamkameraden in der argentinischen Nationalmannschaft von Trainer José Pekerman. Messi war ein Youngster, der mit Unbekümmertheit und einem Schuss Magie auftrat, Scaloni ein erfahrener Stammspieler in der Formation des intelligenten Trainers. Die beiden Lionels treffen sich nun 16 Jahre später erneut bei einer Weltmeisterschaft, diesmal aber in ganz unterschiedlichen Rollen: Scaloni wird das Team von der Seitenlinie aus dirigieren, während Messi, der bereits heute eine lebende Fussballlegende ist, der Kapitän auf dem Feld sein wird.

Dabei war Scalonis Beginn in Argentinien alles andere als einfach: Er kam nach der Enttäuschung der FIFA Fussball-WM Russland 2018™, bei der die Mannschaft nur mit Mühe die Gruppenphase überstand und dann bereits im Achtelfinale ausschied. Scaloni war damals noch Co-Trainer von Jorge Sampaoli. Sampaoli löste frustriert und wehmütig seinen Vertrag auf und Scaloni wurde zum Interimstrainer ernannt. Nur wenige waren damals bereit, sich der Herausforderung zu stellen, ein Team zu trainieren, das in der Öffentlichkeit umstritten war und fast 30 Jahre lang keinen Titel mehr gewonnen hatte.

Scaloni, der noch nie zuvor als Cheftrainer gearbeitet hatte, hatte den nötigen Mut – und dieser Mut wurde von Erfolg gekrönt: Unter ihm gewann Argentinien 2021 die Copa América, war auf dem Weg nach Katar die zweitbeste Mannschaft Südamerikas und ist seit 31 Spielen unbesiegt. Katar wird nun die große Bühne sein, auf der er versuchen wird, dem 36 Jahre andauernden argentinischen WM-Titelfluch ein Ende zu bereiten.

Lionel Messi und Lionel Scaloni

Rigobert Song: der auferstandene Mythos

Kameruns schwache Leistung und Ergebnisse beim CAF Afrikanischen Nationen-Pokal im Januar im eigenen Land kostete den portugiesischen Trainer António Conceição seinen Job. Er wurde von Kameruns Fussballverband, dem der legendäre Samuel Eto'o vorsteht, gut einen Monat vor dem entscheidenden WM-Qualifikationsspiel gegen Algerien entlassen. Angesichts der knappen Zeit vor dem Duell besann sich Eto'o auf die reiche fussballerische Geschichte seines Landes und vertraute Rigobert Song den Trainerposten an.

Niemand trug so oft das Trikot Kameruns wie Song, der mit 137 Spielen zwischen seinem Debüt 1993 und seinem Rücktritt 2010 Rekordnationalspieler seines Landes ist. Als herausragender Verteidiger, der in England für den FC Liverpool und West Ham United spielte, war er stets eine feste Größe in der Abwehrreihe eines Landes, das mit ihm als Kapitän glorreiche Zeiten erlebte.

Die dramatische Qualifikation gegen Algerien bescherte Song also ein Debüt als Trainer bei der WM in Katar, aber es wird beileibe nicht seine erste Weltmeisterschaft sein: Song nahm bereits 1994 in den USA, 1998 in Frankreich, 2002 in Korea und Japan sowie 2010 in Südafrika am größten Fusballturnier der Welt teil. Er ist mit neun WM-Spielen hinter François Omam-Biyik (elf) und Roger Milla (zehn) der Kameruner mit den meisten Einsätzen bei FIFA WM-Endrunden.

Neben der enormen Verantwortung, die mit seinem Posten verbunden ist, wird das Turnier in Katar für Song aber auch ein Fest sein, nachdem er im Oktober 2016 mit einem Schlaganfall ins Krankenhaus eingeliefert werden musste. Mit einer düsteren Prognose und nach zwei Tagen im Koma erholte er sich auf fast wundersame Weise. Die Unzähmbaren Löwen werden also nun mit ihm in den Nahen Osten reisen, um zu versuchen, ihren Viertelfinaleinzug aus dem Jahr 1990 in Italien zu wiederholen.

Rigobert Song nach dem Sieg gegen Algerien

John Herdman: ein einzigartiger Debütant

Der Engländer John Herdman verliebte sich 1986 während der FIFA Fussball-WM Mexiko 1986™ in den Fussball, nachdem er Diego Maradonas Auftritt gegen sein Land gesehen hatte: "Ich weiß noch, wie ich mit meinem Vater Maradona gegen England zugeschaut habe. Das war der Moment, in dem ich mich in den Fussball verliebt habe."

Obwohl Herdman selbst nie Profifussballer war und es kaum schaffte, sich in der halbprofessionellen englischen Northern League zu behaupten, blieb die Romanze bestehen und er begann bereits im zarten Alter von 16 Jahren, sich für das Trainergeschäft zu interessieren. Nachdem er eine Zeit in Brasilien verweilte, um neue Trainingsmethoden kennenzulernen, kehrte er in seine Heimatstadt Consett in Nordengland zurück und gründete dort eine Akademie, die auch von vielen jungen Spielern des Nachwuchsleistungszentrums vom AFC Sunderland besucht wurde. Diese Beziehung, die über die Jahre aufrechterhalten wurde, führte schließlich dazu, dass der englische Traditionsverein, der heute in der dritten englischen Liga spielt, ihn damals verpflichtete.

Im Jahr 2001 zog er dann auf seiner untypischen Reise durch die Fussballwelt eine Station weiter und es zog ihn nach Neuseeland, um dort am Fussballprogramm des ozeanischen Landes teilzunehmen. Im Jahr 2006 bekam er dort die Chance, die Frauen-Nationalmannschaft zu trainieren und führte diese zwei Mal zur FIFA Frauen-WM sowie zu den Olympischen Spielen 2008 in Peking. 2011 wurde er dann von Kanada abgeworben, um dort die Frauen-Nationalmannschaft zu trainieren, die zuvor bei der Weltmeisterschaft enttäuscht hatte. Nachdem er 2015 mit Kanada im eigenen Land Viertelfinale erreicht hatte, wechselte Herdman zum Männer-Nationalteam.

Obwohl Herdman zunächst mit Misstrauen beäugt wurde, begann er in der Nationalmannschaft mit seiner Mission, den Fussball im Besonderen und das Land im Allgemeinen zu verändern. Das erste Ziel, das er sich steckte, und vor dem sogar sein eigenes Team zurückschreckte, war ehrgeizig: die Qualifikation für die WM 2022 in Katar. Aber Herdman baute eine beeindruckende Mannschaft auf, die sich taktisch flexibel auf verschiedene Gegner einstellen kann und über eine enorme Anzahl an Talenten verfügt. Sein Team beendete die Qualifikation als beeindruckender Tabellenerster, noch vor Mexiko und den USA.

Herdman, der der erste Trainer in der Geschichte sein wird, der sowohl mit einer Männer- als auch eine Frauen-Nationalmannschaft an einer WM teilnimmt, wird unterdes nicht mehr belächelt. Er ist bereits jetzt ein Nationalheld und die Qualifikation für das Turnier 2026 ist für Kanada als Mitausrichter ebenso schon in der Tasche. Kanada und Herdman werden versuchen, in Katar für die ein oder andere Überraschung zu sorgen.

Hansi Flick: der beförderte Co-Trainer, der nach dem zweiten WM-Titel strebt

Flicks Trainerkarriere ist gespickt mit Kuriositäten: 1996, als er noch als Mittelfeldspieler bei Victoria Bammental spielte, bekam er seine erste Chance in einer Doppelrolle, nämlich als Spielertrainer. Die TSG Hoffenheim, die damals in der Oberliga herumdümpelte, nahm ihn darauf unter Vertrag und gemeinsam nahmen sie den ersten Schritt in einem rasanten Aufstieg bis in die Bundesliga.

Nach seinem Weggang im November 2005 war er für kurze Zeit Co-Trainer bei Red Bull Salzburg, bevor er sich als Co-Trainer Joachim Löws erfolgreicher Bundestrainer-Karriere anschloss. Der Weltmeister von Brasilien verließ diesen Posten nach dem Sieg gegen Argentinien, um bis Januar 2017 die Funktion als Sportdirektor beim DFB zu übernehmen.

Jogi Löw und Hansi Flick im Jahr 2006

Zwei Jahre später kehrte er als Co-Trainer auf die Trainerbank zurück und half Niko Kovac bei Bayern München. Kovac verließ die Bayern im November 2019 und Flick wurde zunächst als Interimslösung zum Cheftrainer befördert und dank der starken Leistungen seiner Mannschaft fest im Amt bestätigt. Seine Zeit bei den Bayern war revolutionär und das Team gewann unter seiner Führung insgesamt sieben Trophäen in einer der erfolgreichsten Phasen des modernen Fussballs: Die Bayern gewannen zwei Mal die deutsche Meisterschaft, die UEFA Champions League, die FIFA Klub-Weltmeisterschaft, den DFB-Pokal sowie den deutschen und europäischen Supercup.

Er wurde danach folgerichtig zum besten Trainer Europas gewählt und hatte nur noch ein Ziel vor Augen: Zum DFB zurückzukehren, aber dieses Mal als Nationaltrainer. Löws Abgang nach den Enttäuschungen im Jahr 2018 bei der WM in Russland und der letzten Europameisterschaft schuf dabei einen idealen Rahmen für seine Rückkehr. Flick übertrug seine Siegermentalität sofort auf die deutsche Mannschaft, die sich folglich mit acht Siegen aus neun Spiele locker für die WM in Katar qualifizieren konnte. Bei seinem ersten großen Turnier als Nationaltrainer will Flick nun Geschichte schreiben und es Jupp Derwall gleichtun, dem letzten Debütanten unter den deutschen Nationaltrainern, der auf Anhieb ein großes Turnier gewinnen konnte.

Félix Sánchez: von Barcelonas Talentschmiede zum Entwickler Katars

Das große WM-Projekt von Gastgeber Katar wurde unter dem spanischen Trainer ins Leben gerufen, der 2006 nach Katar kam, um die Aspire Academy zu verstärken. Als Bezugsperson der Generation von Spielern, die heute die größten Stars der katarischen Nationalmannschaft sind, hat Félix Sánchez hautnah die Entwicklung der beiden größten Stars der Nationalmannschaft seit ihrem Durchlaufen der Aspire Academy miterlebt, nämlich Akram Afif und Almoez Ali.

Nach sieben Jahren in der Aspire Academy wurde Sánchez zum Trainer der U-19-Nationalmannschaft ernannt, die sofort Erfolge verzeichnen konnte und durch Tore von Afif und Ali die U-19-Asienmeisterschaft gewann. Diese Erfolgsformel wiederholte er 2019 als Trainer der A-Nationalmannschaft, nachdem er den entlassenen Uruguayer Jorge Fosatti ersetzte: Er gewann die Asienmeisterschaft mit einer überwältigenden Leistung, die im Finale gegen eine starke japanische Mannschaft mit dem Titel gekrönt wurde.

Sánchez hat seine Mannschaft in diesem Prozess auf verschiedenen Breitengraden verfeinert: Er holte 2019 bei der Copa América ein Unentschieden gegen Paraguay, war 2021 Halbfinalist beim Gold Cup und Dritter beim FIFA Arabien-Pokal 2021™️, der auch als Test für die Stadien diente, die ab dem 21. November die Bühne für sein WM-Debüt bilden werden. Nach 15 Jahren Arbeit in Katar soll die bevorstehende Weltmeisterschaft nun die Krönung des Prozesses werden, den Sánchez über lange Zeit so behutsam aufgebaut hat.