Montag 19 Juli 2021, 01:31

Morgan: "Ich bin wieder da - stärker und fitter"


  • US-Starspielerin Alex Morgan sprach mit FIFA.com

  • Am Mittwoch tritt die Stürmerin bei den Olympischen Spielen gegen Schweden an

  • Morgan spricht über Mutterschaft, Motivation und das Niveau des US-Teams

Das letzte Mal, als wir Alex Morgan auf der olympischen Bühne sahen, gab sie ein sie niedergeschlagenes Bild ab. Die USA hatten gerade das Viertelfinale gegen Schweden im Elfmeterschießen verloren und damit zum ersten Mal in der medaillenreichen Geschichte des Teams einen Podiumsplatz verpasst. Zu allem Übel war Morgan eine der Spielerinnen, die vom Punkt aus scheiterten. Nur wenige zweifelten allerdings daran, dass diese zähe und talentierte Stürmerin in den folgenden Monaten und Jahren wieder auf die Beine kommen würde. Aber noch weniger hätten das Ausmaß ihrer späteren Erfolge vorausgesagt. Einen zweiten Titelgewinn bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™, kontinentale Erfolge auf beiden Seiten des Atlantiks, zwei Auszeichnungen als Concacaf-Spielerin des Jahres und die magische Marke von 100. Länderspieltoren - dies alles hat Morgan zwischen 2016 und ihrer Rückkehr auf die Olympische Bühne erreicht, wo das Team der USA im ersten Spiel ausgerechnet wieder auf Schweden trifft. Der wichtigste Meilenstein in dieser Zeit war jedoch die Geburt von Morgans erstem Kind, Charlie, im April des vergangenen Jahres. Die angepeilte Jagd nach dem zweiten olympischen Gold erfordert derzeit eine lange und schmerzhafte Trennung von ihrer Tochter. Doch bei den Verteidigerinnen aller Gegner der USA zeigen sich enorme Sorgenfalten, denn Morgan scheint durch die Mutterschaft sogar noch gestärkt zu sein.

FIFA.com: Alex, die Verschiebung der Olympischen Spiele wurde nicht von allen begrüßt, aber kann man sagen, dass es für Sie ganz gut gelaufen ist? Alex Morgan: Auf jeden Fall. Unter den gegebenen Umständen war es einfach eine zusätzliche Gelegenheit, mich körperlich [von der Schwangerschaft und der Geburt] vollständig zu erholen, viel Zeit mit meiner Tochter zu verbringen und mir genügend Zeit für die Rückkehr auf das Spielfeld zu nehmen. Es war natürlich eine beängstigende Zeit, und jede Woche im Frühjahr und Sommer letzten Jahres schien es etwas Neues zu geben, als sich die Pandemie entwickelte. Aber es war definitiv eine Erleichterung für mich, denn ich wusste, dass ich in einer Zeit, in der alle vom Fussballplatz weggedrängt wurden, mehr Zeit zu Hause mit meinem Mann und meiner Tochter verbringen konnte und dass ich genügend Zeit haben würde, mich auf Tokio vorzubereiten. Sie waren im Vorfeld der Olympischen Spiele in großartiger Form und sind jetzt wieder in Bestform. Empfinden Sie das ebenso? Ich fühle mich im Moment jedenfalls sehr gut. Es gibt ein paar kleine Dinge, an denen ich arbeiten möchte, aber es gibt auch Dinge, bei denen ich mich schon vor der Schwangerschaft erfolgreich verbessert habe. Ich bin persönlich und auch mit dem Team in einer sehr guten Lage und freue mich darauf, nach dem riesigen Erfolg von 2019 wieder an einem großen Turnier teilzunehmen. Unser Olympiasieg 2012 ist mittlerweile volle neun Jahre her. Die meisten Spielerinnen im Team haben also den Erfolg bei diesem Turnier nicht erlebt. Das ist eine zusätzliche Motivation.

Die Kehrseite der Medaille ist natürlich, dass Sie dadurch von Ihrer kleinen Tochter getrennt sind. Wie schwierig ist das und wie gehen Sie damit um? Es ist ziemlich schwierig, über einen längeren Zeitraum von Charlie getrennt zu sein. Aber ich denke, wenn die Olympischen Spiele erst begonnen haben, wird alles sehr schnell gehen, von Spiel zu Spiel. Das dürfte hilfreich sein. Ich hätte sie wirklich gerne mit auf diese Reise nach Japan genommen, aber da das nicht möglich ist, versuche ich einfach, das Beste aus der Zeit zu machen, die ich hier mit meinen Teamkameradinnen habe, und mich auf das zu konzentrieren, was ich tun muss. Wir nutzen viel FaceTime (lacht) und natürlich bekomme ich auch sehr viele Fotos und Videos von meinem Mann und meiner Tochter. Es beruhigt mich, dass sie nun ihre Familienmitglieder sieht, die sie im letzten Jahr bei all dem, was passiert ist, nicht kennenlernen konnte, und dass sie dabei sehr viel Spaß hat. Sie ist in einem Alter, in dem ihr noch nicht wirklich klar ist, dass ich für einen längeren Zeitraum weg bin. So schwer es auch für uns beide ist, ich bin mir ziemlich sicher, dass es für mich etwas schwerer ist! Wie gelingt es Ihnen, die Fussballkarriere und die Mutterschaft unter einen Hut zu bringen? Amy Rodriguez erzählte uns, dass es ihre Perspektive zum Besseren verändert hat; dass sie mit "noch mehr Feuer" spielte und sich stärker fühlte, nachdem sie Kinder hatte. Stimmt das mit Ihren Erfahrungen überein? Das tut es, und es hat zwei Seiten. Als ich nach der Geburt wieder anfing zu spielen, dachte ich zunächst: 'Wenn ich dieses Spiel nicht absolut liebe, gibt es keinen Grund für mich, hier draußen auf dem Spielfeld zu sein.' Denn wenn ich Zeit ohne meine Familie verbringe, möchte ich sichergehen, dass ich das, was ich tue, auch liebe. Glücklicherweise kann ich auch mit 32 Jahren noch sagen, dass ich es liebe, jeden Tag auf dem Feld zu stehen, und ich möchte so viel wie möglich aus der Zeit machen, die mir in meiner Karriere noch bleibt. Die andere Seite ist, dass sich mein Körper verändert hat und ich mich in gewisser Weise sogar körperlich stärker und fitter fühle als vor der Schwangerschaft. Es ist seltsam und schwer zu erklären, denn ich habe nicht unbedingt das Gefühl, dass ich im Fitnessstudio oder beim Training mehr Arbeit investiert habe. Aber ich spüre eine Veränderung in meinem Körper, und zwar eine Veränderung zum Besseren.

Ist es die reine Freude und Liebe zum Spiel, die Sie jetzt antreibt? Oder sind es andere persönliche Ziele oder auch der Gedanke, ein Vermächtnis zu hinterlassen, die Sie ebenfalls motivieren? Da gibt es mehrere Gründe: Die Liebe zum Fussball ist definitiv ein wichtiger Grund, aber es geht auch darum, dass ich etwas Größeres erreichen möchte als das, wofür ich auf dem Feld stehe. Ich möchte meine Plattform nutzen, um mich zum Beispiel für die Gleichberechtigung der Geschlechter einzusetzen. Ich möchte auch meine Familie stolz machen, und ich liebe es, dass sie mit mir die Welt bereisen kann. Es ist wirklich schade, dass sie nicht hierher nach Tokio kommen können, denn sie geben mir Selbstvertrauen und inspirieren mich. Das wird mein erstes Turnier ohne die Unterstützung meiner Eltern und meines Mannes sein, und ich werde sie ganz sicher vermissen. Aber der grundsätzliche Spaß ist immer noch der Kern von allem, ja. Wenn ich nicht mehr liebe, was ich tue, dann höre ich sofort auf.

Ich erinnere mich an den Podcast, den Sie mit Kelley O'Hara gemacht haben, in dem Sie Anpassungsfähigkeit als eine Ihrer größten Stärken bezeichnet haben. Hat Ihnen das geholfen, sich nicht nur an die Mutterschaft anzupassen, sondern auch an die Herangehensweise von Vlatko Andonovski, nachdem Sie so viele Jahre unter Jill Ellis gespielt haben? Ja, auf jeden Fall. Man muss in vielerlei Hinsicht anpassungsfähig sein, um so lange in diesem Team zu bleiben, wie ich und einige andere es geschafft haben. Ob es nun Trainerwechsel oder Widrigkeiten sind, oder einfach nur, dass wir so viel Zeit mit Menschen in diesem Umfeld verbringen, ich habe das Gefühl, dass ich mich immer anpassen muss, um die Spielerin zu sein, die ich sein möchte, aber auch die Spielerin, die der Trainer im Rahmen des Teams braucht. Und da ich immer Mannschaftssportarten gespielt habe, habe ich immer zuerst an die Mannschaft gedacht. Als ich ins Nationalteam kam, hatte ich in Abby [Wambach] ein absolut perfektes Vorbild für Selbstlosigkeit, dem ich folgen konnte.

Japan v USA: FIFA Women's World Cup 2011 Final - 17-Jul, 2011

Abby war eine einzigartige Spielerin und Persönlichkeit, aber haben Sie das Gefühl, dass Sie versuchen, jüngere Spielerinnen auf ähnliche Weise zu führen, wie sie es bei Ihnen getan hat? Ich glaube nicht, dass Abby kopiert werden kann, denn sie war einfach so einzigartig und so stimmgewaltig. Sie hinterließ eine große Lücke in diesem Team, als sie zurücktrat. Im Laufe der Jahre wurde diese Lücke jedoch mit Spielerinnen gefüllt, die auf ihre eigene Art und Weise führen, ob das nun Becky, Pinoe, Carli [Becky Sauerbruch, Megan Rapinoe, Carli Lloyd, Red.] oder ich selbst sind. Wir alle führen auf unterschiedliche Art und Weise, und ich denke, dieses Team hat von den Spielerinnen profitiert, die in verschiedensten Situationen Verantwortung übernommen haben. Ich glaube, wir sind das älteste Team bei diesen Olympischen Spielen, mit einem Durchschnittsalter von etwa 30 Jahren, und diese Erfahrung spricht für sich. Wir haben einfach sehr viele Spielerinnen mit Führungsqualitäten im Team.

Im Männerfussball sieht man oft, dass Nationalmannschaften mit alternden Kadern, die große Erfolge gefeiert haben, dann spektakulär verblassen - mehrere der letzten Weltmeister sind zum Beispiel bei der folgenden WM früh ausgeschieden. Warum ist das bei diesem US-Team nicht passiert, und was hält den Erfolgshunger wach? Ich denke, es ist das Trainingsumfeld. Die Intensität, die dieses Team beim Training an den Tag legt, ist unübertroffen, und ich weiß, dass das Vlatko wirklich überrascht und beeindruckt hat, als er das erste Mal hier war. Er war überwältigt von der Intensität, die wir jeden Tag an den Tag legen. Diese Einstellung wurde von den früheren Generationen an uns weitergegeben. Das ist wirklich etwas ganz Besonderes. Wir alle wissen auch, dass es nicht selbstverständlich ist, in diesem Team zu sein. Jede einzelne Spielerin hier, mich eingeschlossen, hat eine Phase durchgemacht, in der sie nicht im Team war. Und ich denke, wir alle fühlen uns verpflichtet, unser Bestes zu geben und den jüngeren Spielerinnen zu zeigen, was es braucht, um hierher zu kommen - und hier zu bleiben -, nachdem dieses Team so lange die Nummer 1 ist.

Zum Abschluss noch etwas zu den Olympischen Spielen: London 2012 war Ihr erster großer Erfolg mit dem A-Nationalteam. Hat das Turnier deshalb eine besondere Bedeutung für Sie? Ich habe sehr viele tolle Erinnerungen an 2012. Dieses Erlebnis werde ich niemals vergessen. Die Olympischen Spiele sind für mich etwas Besonderes, auch weil ich damit aufgewachsen bin und weiß, dass es um viel mehr geht als nur um die eigene Mannschaft und die eigene Sportart. Aufgrund dieser Kindheitserinnerungen und weil mir 2012 so viel bedeutet hat, werde ich dieses Turnier nie vergessen, es wird immer einen besonderen Platz für mich haben. Ich freue mich wirklich, wieder dabei zu sein. Nachdem wir über Ihre schönen Olympia-Erinnerungen gesprochen haben, müssen wir natürlich auch nach Rio fragen - vor allem, weil Schweden Ihr erster Gegner hier in Japan sein wird. War das Ausscheiden in diesem Viertelfinale Ihr Tiefpunkt mit dem US-Nationalteam? (zögert) Es war niederschmetternd, vor allem, wenn man weiß, dass es das schlechteste Abschneiden war, das diese Mannschaft je erlebt hat. Aber zumindest für mich persönlich war die Niederlage gegen Japan im Finale der Weltmeisterschaft 2011 der schlimmste Moment, der mir das Herz gebrochen hat. Damals hatte ich einfach das Gefühl, dass wir die beste Mannschaft der Welt und die bessere Mannschaft in diesem Spiel waren. Es war auch mein erstes Turnier in der A-Nationalmannschaft, deshalb war ich sehr aufgeregt. Das Spiel gegen Schweden habe ich wahrscheinlich erst Wochen später richtig verarbeitet, weil es so ein Schock war. Allerdings haben wir bei so ziemlich jedem Turnier, an dem ich bisher teilgenommen habe, gegen die Schwedinnen gespielt, und sie haben immer sehr stark gegen uns gespielt. Sie haben uns 2011 in der Gruppenphase und 2016 im Viertelfinale geschlagen, und ich sehe sie immer als eine der stärksten Mannschaften, die wir auf der Weltbühne treffen. Wir freuen uns alle sehr darauf, wieder gegen sie zu spielen.

United States forward Alex Morgan (13) celebrates with fans