Dienstag 07 Oktober 2014, 14:59

Rozental: "Wir waren mit 16 schon Berühmtheiten"

Im Oktober und November 2015 ist Chile Austragungsort der FIFA U-17-Weltmeisterschaft, einem Wettbewerb, in dem der Gastgeber mit zwei Teilnahmen in 15 Auflagen bisher wenig vertreten war. Der Auftritt der chilenischen U-17-Auswahl bei der Endrunde des Turniers von 1993 in Japan stellte jedoch einen Meilenstein im Fussball des Landes dar, denn sie belegte überraschend den dritten Platz.

Der damalige Erfolg prägte auch die Spieler der Auswahl ganz entscheidend. Unter ihnen konnte sich der Stürmer Sebastián Rozental besonders profilieren. Der Mannschaftskapitän überzeugte mit seiner Durchschlagskraft und Klasse und gehörte zu den Aushängeschildern des Teams. In der Folge machte er sich unter anderem dadurch einen Namen, dass er als erster nach Europa wechselte.

"Das war einer der schönsten Momente meiner Karriere", analysiert der mittlerweile 38-jährige ehemalige Stürmer im Gespräch mit FIFA.com. Derzeit ist er alsFernsehjournalist tätig. "Chile hatte sich vorher noch nie für eine Jugend-Weltmeisterschaft qualifiziert, und dann standen wir plötzlich im Halbfinale und das ganze Land setzte seine Hoffnungen auf uns. Die U-17-WM war eine sehr prägende Erfahrung", fügt Rozental hinzu, der die Fussballschuhe aufgrund einer Knieverletzung vorzeitig an den Nagel hängen musste.

Das Markenzeichen des Teams Obwohl Chile in der Südamerika-Qualifikation, in der Brasilien mit Ronaldo auf der Strecke blieb, den zweiten Platz belegte, waren die Erwartungen an das Team in Japan eher gering. Nach einem 2:2 gegen die VR China, einem 2:0 gegen Tunesien und einem hart erkämpften 3:3-Unentschieden gegen den späteren Gruppensieger Polen erreichte man in der Gruppe den zweiten Platz. Das 4:1 gegen die Tschechische Republik im Viertelfinale brachte den Durchbruch. "Damals war die Kommunikation noch anders, und Telefonieren war teuer. Aber an diesem Tag haben wir zu Hause angerufen und da wurde uns erst bewusst, welche Dimensionen unser Auftritt hatte."

Im Halbfinale musste die Roja sich dann gegen das physisch starke Ghana mit 0:3 geschlagen geben, anschließend setzte man sich jedoch gegen Polen durch und schaffte damit den Sprung auf das Treppchen. Die Partie wurde im Elfmeterschießen entschieden, nachdem die reguläre Spielzeit mit einem 1:1 geendet hatte. Rozental, mit vier Treffern zweitbester Torschütze des Teams, hatte das Tor für Chile erzielt. Im technischen Bericht der FIFA wurden die Schützlinge von Leandro Véliz ausdrücklich gelobt. Dort hieß es, Chile habe einen unerwartet hochklassigen Auftritt hingelegt und viel zum hohen technischen Niveau des Wettbewerbs beigetragen. Das Team sei eine Bereicherung für die WM gewesen.

"Wir haben sehr gut gespielt", bestätigt Rozental. "Wir haben nie unsere Linie verloren, weil wir technisch sehr versierte Spieler hatten: Dante Poli war ein hochklassiger Innenverteidiger, Nelson Garrido, Linksverteidiger, fungierte normalerweise als Spielmacher, Héctor Tapia, Mittelstürmer, spielte damals im zentralen Mittelfeld und auch Manuel Neira, Patricio Galaz, Frank Lobos und Alejandro Osorio konnten gut mit dem Ball umgehen. Unsere gute Technik hat uns auf das Treppchen gebracht, denn physisch waren wir oft unterlegen."

Übersteigerte Erwartungen Rozental hatte ein Jahr zuvor sein Debüt bei Universidad Católica, einem der großen Klubs in Chile, gegeben, und erinnert sich daran, wie diese WM ihm geholfen hat, seine Karriere voranzutreiben. "Und zwar nicht nur wegen unserer Auftritte in einem so ganz anderen und fernen Land, sondern auch wegen der Ereignisse bei unserer Rückkehr. Wir wurden am Flughafen von 5.000 Menschen in Empfang genommen und zu zahlreichen Fernsehsendungen eingeladen. Wir waren mit 16 plötzlich Berühmtheiten, obwohl wir noch nicht einmal die Schule abgeschlossen hatten!"

Ein weiterer Grund für den großen Medienrummel war, dass der chilenische Fussball nach der Sperre der Nationalmannschaft für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1994 in den USA dringend ein Erfolgserlebnis brauchte. Die chilenische Auswahl war damals gesperrt worden, nachdem Torhüter Roberto Rojas sich während der Qualifikation für Italien 1990 im Maracanã-Stadion in Betrugsabsicht eine Selbstverletzung zugefügt hatte. Die Jungs der U-17-Auswahl waren nun die neuen Hoffnungsträger und wurden sogleich als "Goldene Generation" bezeichnet. "Wie konnten sie von uns erwarten, dass wir den chilenischen Fussball retten? In diesem Alter ist niemand einer solchen Verantwortung gewachsen. Dennoch sind wir ganz gut damit zurechtgekommen."

So gut, dass diese Spieler zwei Jahre später die Basis der U-20-Auswahl bildeten, die sich zum ersten Mal für eine Weltmeisterschaft dieser Altersklasse qualifizieren konnte. Vor dem Wettbewerb 1995 in Katar war Chile lediglich 1987 als Gastgeber dabei gewesen. Rozental fungierte erneut als Mannschaftskapitän. "Diese Kontinuität war hilfreich für mich, ebenso wie mein persönlicher Ehrgeiz. Im selben Jahr habe ich mein Debüt in der A-Nationalmannschaft gegeben, im folgenden wurde ich als bester Fussballer Chiles ausgezeichnet, und dann kamen die Angebote aus Europa."

Lektionen des Lebens 1997 wechselte er für eine Rekordablösesumme von fast sieben Millionen Dollar zu den Glasgow Rangers und war damit der erste Chilene, der in Schottland aktiv war. "Es gab Angebote von Manchester United, Sunderland und PSV , aber der Klub hat die Offerte der Rangers angenommen. Ich freute mich auf die Herausforderung bei einem Traditionsverein, der um wichtige Titel spielte. Ich würde viele Torchancen bekommen, und das ist unerlässlich für einen Stürmer", erklärt Rozental, der auch in der Qualifikation für die WM 1998 in Frankreich zum chilenischen Aufgebot gehörte.

Dann hatte er allerdings Pech. Nachdem er bei seinem Debüt im schottischen Pokalwettbewerb gegen den FC St. Johnstone gleich getroffen hatte, zog er sich einen Bänderriss im linken Knie zu. "Bis zum 20. Lebensjahr hatte ich eine Traumkarriere, aber dann konnte ich verletzungsbedingt in den nächsten drei Jahren kaum noch spielen", meint er rückblickend und misst den fünf Titeln, die er in Schottland gewann, nur wenig Bedeutung bei. "Ich kehrte schließlich zu Universidad Católica zurück und spielte nach einem Intermezzo bei Independiente noch eine Weile für den Grasshopper Club Zürich . Aber ich war nicht mehr derselbe."

Rozental spielte im Anschluss noch in den USA, Puerto Rico und Israel, bevor er die Fussballschuhe mit 31 Jahren vorzeitig an den Nagel hängte. Den Spielern der chilenischen U-17-Auswahl, die bei der U-17-WM 2015 vertreten sein werden, gibt er nach diesen Erlebnissen noch einen Rat mit auf den Weg: "Die Karriere eines Fussballers ist kurz. Natürlich müssen sie sich auf die WM vorbereiten, aber ich würde ihnen vor allem raten, den Fussball - ein Spiel - und die Tatsache, dass sie im eigenen Land für die Nationalmannschaft spielen können, in vollen Zügen zu genießen. In diesem Alter weiß man noch nicht, ob man den Sprung in den Profifussball schafft. Die Erinnerungen an die WM werden ihnen jedoch für immer bleiben."