Donnerstag 26 August 2021, 02:26

Fans begeistert, Experten überzeugt

  • Die Vorrunde von Russland 2021 begeistert Fans und Fachleute gleichermaßen

  • Die neue 4-Sekunden-Regel hatte enorme Auswirkungen auf den Beach Soccer

  • Gespräch mit Claude Barrabé und Matteo Marrucci von der Technischen Studiengruppe

Tolle Tore, unglaubliche Paraden, außergewöhnliche Technik, dazu hin und her wogende Partien, Überraschungen, erfrischender Offensivfussball – diese erste Woche der FIFA Beach-Soccer-Weltmeisterschaft Russland 2021 konnte Zuschauer und Fans der Sportart nur begeistern. Wie aber sieht es bei den Experten aus? Erfüllte das Spektakel technisch und taktisch auch ihre Erwartungen? Und wie hat sich die neue Regel, wonach Torhüter den Ball nur noch vier Sekunden halten dürfen, ihrer Meinung mach auf das Spiel ausgewirkt? War es zu erwarten, dass der Titelverteidiger ausscheidet und die Favoriten derart straucheln? Darüber und über viele andere Themen hat sich FIFA.com mit dem Franzosen Claude Barrabé und dem Italiener Matteo Marrucci unterhalten. Beide sind Mitglieder der Technischen Studengruppe (TSG) der FIFA, die die Vorrunde aufmerksam verfolgt hat.

Zum allgemeinen spielerischen Niveau

Wir erleben eine Weltmeisterschaft auf hohem Niveau, auf die sich die Mannschaften sowohl physisch als auch taktisch gut vorbereitet haben, eine Weltmeisterschaft mit unterschiedlichen Spielstilen. Das Spiel ist im Vergleich zu den Vorjahren schneller geworden, was auch an der neuen "4-Sekunden-Regel" liegt. In Anbetracht der körperlichen Belastung, die das Spiel heute mit sich bringt, ist eine gute Vorbereitung erforderlich, und die Mannschaften haben dies begriffen. Was die Ergebnisse anbelangt, stehen jene Mannschaften im Viertelfinale, die schwer ins Turnier gestartet sind, sich aber im Verlauf der Vorrunde steigern konnten, allen voran Gastgeber Russland und Brasilien. Das Ausscheiden von Titelverteidiger Portugal hingegen ist auf dem Papier eine Überraschung. Bei genauerer Betrachtung ist die Mannschaft jedoch eine andere als die, die vor zwei Jahren den Titel gewann: Einige Veteranen sind gegangen (Madjer) oder mussten absagen (Jordan). Andere sind verletzt (Belchior) oder gesperrt (Andrade). Unglückliche Umstände also, auch wenn man die Qualität der Gegner nicht schmälern darf.

Zu den Auswirkungen der neuen 4-Sekunden-Regel

Die Auswirkungen sind enorm. Wie schon gesagt, ist das Spiel schneller und direkter. Es geht hin und her. Die Torhüter haben keine Zeit mehr, die Situation vor einem Angriff zu analysieren. Es kommt auf Handlungsschnelligkeit an. Da es zudem schwierig ist, den Ball nur aus der Hand abzuschlagen oder zu werfen, sind sie gezwungen, das Spiel mit dem Fuß zu verbessern. Einige Mannschaften haben schon fussballerisch gute Torhüter, andere hinken diesbezüglich eher hinterher. Allen Mannschaften gemein ist, dass sie sich taktisch umstellen mussten.

Das Spiel entwickelt sich in die richtige Richtung, aber die Torhüter sind ein Stück weit die Leidtragenden der neuen Regel. Über kurz oder lang könnten sie zu zusätzlichen Feldspielern werden. Jedenfalls müssen Sie künftig mit dem Fuß genau so gut s...
Claude Barrabe (TSG)

In den Defensivphasen ist das 1-2-1-1, mit dem der Torhüter unter Druck gesetzt werden sollte, verschwunden. Stattdessen hat der Torhüter nun eben Zeitdruck. Um ihm das Spielfeld zu öffnen, gehen die Mannschaften nun eher das Risiko ein und blockieren im Eins-gegen-eins die Flügel. 'Umgekehrt sind die Abwehrspieler in den Offensivphasen bei einem Pressing-Angriff oder einer Kombination von hinten heraus verpflichtet, den Torwart zu unterstützen und dann den bevorzugten Spielzug auszuführen. Bei einem System mit zwei Verteidigern rückt einer der beiden Außenverteidiger auf die linke oder rechte Seite, und der Torwart und der andere Verteidiger werden zu Spielmachern. Die Rolle des Torwarts wird also sogar noch wichtiger. Auch hier gilt: Der Torwart muss mit den Füßen genauso gut sein wie mit den Händen! Denn er wird zunehmend zum zusätzlichen Feldspieler.

Für die Mannschaften, die in Führung liegen, ist es nun schwieriger, ihren Vorsprung zu halten. Früher konnten sie sich zurückziehen und Ihren Vorsprung verwalten. Das ist jetzt nicht mehr möglich. Die Mannschaften müssen angreifen. Spektakel ist so ...
Matteo Marrucci (TSG)

Zur Ausgeglichenheit

Vor ein paar Tagen erklärte Madjer, dass diese Weltmeisterschaft eine der ausgeglichensten sein würde, und er behielt recht! Das Niveau des Spiels ist auf der Höhe der Zeit, was auch und insbesondere Madjers Heimatland Portugal zu spüren bekommen hat. Taktisch gesehen ist es eine hochklassige Weltmeisterschaft. Trotz des verhaltenen Starts in den Wettbewerb haben die Favoriten Brasilien und Russland gemerkt, dass sie sich schnell steigern müssen, wenn sie ihr Abenteuer fortsetzen wollen, denn es gibt einige starke Gegner.

Außerdem benachteiligt die Vier-Sekunden-Regel tendenziell die größeren Nationen, die, wenn sie vorn liegen, nicht mehr die Freiheit haben, ihren Vorsprung so zu verwalten wie früher. Auch wenn das Niveau ausgeglichen ist und sich der Abstand zwischen den großen Nationen und den anderen verringert hat, bleibt die Tatsache bestehen, dass im Viertelfinale wieder die üblichen Verdächtigen vertreten sind. Die K.o.-Phase verspricht, sehr spannend zu werden!

TSG at the FIFA Beach Soccer World Cup Russia 2021