Donnerstag 01 Juli 2021, 12:36

Infantino: Fussball für die ganze Welt - noch gesünder und noch wettbewerbsfähiger

  • Der FIFA-Präsident erläutert die wichtigsten Schritte zur Gestaltung der Zukunft des Fussballs

  • Themen waren unter anderem der laufende Konsultationsprozess zum internationalen Spielkalender, transparente Ausschreibungsverfahren und das Wachstum des Frauenfussballs

  • Gianni Infantino nahm virtuell am EFE Sport Business Forum teil

Am Mittwoch, 30. Juni, war FIFA-Präsident Gianni Infantino Sondergast bei der zweiten Auflage des EFE Sport Business Forum, das aus Madrid übertragen wurde.

In einem fast einstündigen Interview sprach der FIFA-Präsident zahlreiche Themen an. Lesen Sie im Folgenden eine gekürzte Fassung des vollständigen Interviews.

Wenn man sich die Fussballspiele der letzten Tage anschaut, ist der Fussball wieder ganz oben in der Unterhaltungsindustrie angekommen, oder? Ja, auf jeden Fall. Der Fussball schenkt uns in diesen Tagen viel Aufregung und Begeisterung bei der [UEFA] EURO und der [CONMEBOL] Copa América. Und auch der [CONCACAF] Gold Cup wird bald stattfinden. Wegen der Pandemie gab es einen Moment, in dem der Fussball auf der ganzen Welt stillstand. Etwas Vergleichbares hatte es seit dem Krieg nicht mehr gegeben und es war für alle sehr hart.

Es gibt viele Menschen, die gelitten haben und immer noch leiden, aber die Tatsache, dass der Fussball zurück ist, obwohl die Stadien noch nicht voll sind, gibt uns das Gefühl, dass wir allmählich zur Normalität zurückkehren.

Welche Neuigkeiten und Veränderungen werden in Bezug auf den globalen Transfermarkt eingeführt? Welche Rolle wird die Clearingstelle spielen, die die FIFA einrichten möchte? Im letzten Jahr vor COVID-19 wurden auf dem internationalen Transfermarkt USD 7 Mrd. umgesetzt. Von dieser Summe gingen allerdings USD 700 Mio direkt an Spieleragenten und nur USD 70 Mio an die Klubs, die die Spieler ausgebildet und trainiert hatten. Unser Prinzip besteht darin, den Transfermarkt zu reformieren, weil wir nicht glauben, dass es richtig ist, einen so enormen Geldfluss fast ohne Regeln zu haben. Eine Clearingstelle wird dafür sorgen, dass die Vereine, die Spieler ausbilden, das ihnen zustehende Geld erhalten, denn es gibt einen Solidaritätsmechanismus, der festlegt, dass fünf Prozent des Transfererlöses an die Vereine gezahlt werden müssen, die die Ausbildung durchgeführt haben. Dies ist bereits in unseren Regeln festgelegt. Aber die Wahrheit ist, dass nur USD 60 oder 70 Mio. tatsächlich ausgezahlt werden.

Und warum ist das so? Weil es sich oft um kleine Vereine handelt, die nicht die Mittel haben und oft nicht wissen, dass sie dieses Geld erhalten können. Die nicht genug Zeit haben, um es zu beantragen oder die keine Anwälte bezahlen können, um vor Gericht zu gehen.

Daher wollen wir das alles automatisieren, um sicherzustellen, dass der Prozess völlig transparent ist. Die Spielergewerkschaft FIFPro fordert einen faireren und angemesseneren internationalen Spielkalender. Sind so viele Wettbewerbe tatsächlich nötig? Wie ist die aktuelle Situation beim Thema FIFA Klub-Weltmeisterschaft mit 24 Teams? Ich bin überzeugt, dass dies die Meinung der großen Mehrheit der Fussballverbände, Ligen, Vereine, Fans und Spieler auf der ganzen Welt ist: Wir wollen, dass der Fussball gesünder, weniger diskriminierend und wettbewerbsorientierter wird. Um dieses Ziel zu erreichen, müssen wir uns den gesamten internationalen Spielkalender ansehen. Wir haben Arsène Wenger, dessen Sachkenntnis und Professionalität niemand in Abrede stellen würde, die Leitung dieses Prozesses übertragen.

In diesem eingeleiteten Konsultationsprozess haben wir mit den wichtigsten Interessengruppen begonnen. Nämlich mit den Spielern und Managern, um ihre Meinung zu erfahren und um herauszufinden, wie sie sich den Fussball in den kommenden Jahren wünschen.

Was denken sie über die FIFA Klub-Weltmeisterschaft? Was denken sie über die Weltmeisterschaft, die Europameisterschaft, die Copa América, über den CAF Afrikanischen Nationen-Pokal und den AFC Asien-Pokal? Und was denken sie über die Klubs? Was halten sie davon, im September, Oktober, November, März von einem Kontinent zum anderen zu reisen? Was halten sie davon, zwei Spiele zu bestreiten und wieder zurückzureisen, oder vier Spiele mit ihren Vereinen zu bestreiten und dann wieder für ihre Nationalmannschaften zu spielen? All diese Fragen sind sehr wichtig, und wir wollen auch die Gedanken der Fans dazu hören.

Unser Ziel ist es, den Fussball zu globalisieren. Wir könnten uns fragen, ob Fussball tatsächlich global ist oder nicht. Natürlich ist der Fussball die Sportart Nummer eins in der Welt, und Fussball ist vielleicht global, wenn es um Leidenschaft, Emotionen und das Herz geht, aber er ist absolut nicht global, wenn es um die Möglichkeiten geht, zu spielen, die Möglichkeiten, sich zu messen, die Chancen, die Spieler haben, bei einem wichtigen Turnier ihr Bestes zu geben.

Mein Ehrgeiz, mein Traum, unsere Idee, unsere Philosophie ist es, dass vielleicht 50 Klubs von allen Kontinenten eine Klub-Weltmeisterschaft gewinnen können, und dass 50 Länder, 50 Nationalmannschaften von allen Kontinenten eine Weltmeisterschaft gewinnen können. Wenn wir das schaffen, dann wird der Fussball in einer großartigen Verfassung sein.

Lassen Sie uns über Frauenfussball sprechen. Welche Schritte werden Sie kurz- oder mittelfristig unternehmen, um in diesem Bereich zu expandieren? Der Frauenfussball ist von allen Sportarten diejenige, die in den nächsten zehn Jahren das größte Wachstum erleben wird. Ich weiß nicht, wo ich selbst in zehn Jahren stehen werde, aber vielleicht wir werden uns wieder unterhalten, die Zahlen überprüfen und das Wachstum des Frauenfussballs mit dem aller anderen Frauen- und Männersportarten vergleichen, und wir werden die Zahlen analysieren.

Und ich spreche nicht nur von den Einnahmen, sondern von den Zahlen insgesamt. Die letzte FIFA Frauen-Weltmeisterschaft, die in Frankreich stattfand und ein riesiger Erfolg war, wurde von 1,2 Milliarden Menschen rund um die Welt gesehen. 1,2 Milliarden! Mehr als eine Million Zuschauer auf den Tribünen. Allein beim Finale hatten wir 263 Millionen Zuschauer.

Diesen Sport müssen wir rund um die Welt entwickeln. Daher haben wir bei der FIFA beschlossen, USD 1 Mrd. in die Entwicklung des Frauenfussballs zu investieren, z. B. in Projekte auf der ganzen Welt, damit Mädchen in jedem Land der Welt leichter Zugang zum Fussball haben.

Ich erinnere mich noch gut an die FIFA U-17-Frauen-WM in Uruguay. Mexiko und Spanien haben das Finale bestritten, und das sind eigentlich keine Länder, die man historisch mit der Entwicklung des Frauenfussballs in Verbindung bringen würde. Wir müssen uns also weiter entwickeln. Außerdem führen wir für den Frauenfussball dieselben Beratungen durch wie für den Männerfussball, was den internationalen Spielkalender angeht.

Sprechen wir über die FIFA Fussball-WM 2030™. Es gibt mehrere Kandidaten. Was sagen Sie zur gemeinsamen Bewerbung von Spanien und Portugal? Nach den FIFA-Reformen hat der FIFA-Präsident in dieser Sache nicht einmal mehr ein Stimmrecht, denn die 211 Mitgliedsverbände selbst stimmen ab. Für mich als Präsident der FIFA ist es allerdings sehr interessant, dass bei vielen Ländern rund um die Welt jetzt wieder großes Interesse besteht, sich als Ausrichter zu bewerben. Was bedeutet das konkret? Das bedeutet, dass die Menschen Vertrauen in das FIFA-Verfahren haben. Das war nicht immer der Fall, doch nun ist es wieder so, weil wir bereits entsprechende Abstimmungen durchgeführt haben, beispielsweise für die FIFA Fussball-WM 2026 vor zwei Jahren, in einem offenen, transparenten und öffentlichen Verfahren.

Das gesamte Verfahren wird von Experten beobachtet, alles wird geprüft und die Stimmabgabe erfolgt öffentlich und transparent. Wir können Spanien und Portugal also garantieren, was wir auch allen anderen Ländern garantieren, die sich als Ausrichter der nächsten WM nach 2026 in Nordamerika bewerben, nämlich dass das Verfahren von höchster Integrität und Transparenz sein wird. Je mehr Kandidaten es gibt, desto besser ist dies für den Präsidenten der FIFA und für die gesamte FIFA. Möge der Beste gewinnen!

Wir befinden uns im Jahr 2021. Können Sie kurz umreißen, was in den kommenden zwei Jahren bei der FIFA zu erwarten ist? Wir haben die Vision, den Fussball wirklich global zu machen. Wenn wir wachsen, können wir alle wachsen. Damit der Fussball auf der ganzen Welt wachsen kann, dürfen wir niemanden diskriminieren.

Der Fussball kann nicht für einige wenige reserviert sein; er muss für alle offen sein. Und auch die großen Akteure werden davon profitieren, dass der Fussball für alle offen ist. Ich glaube, dass die Kluft zwischen den Großen und den Kleinen derzeit immer größer wird. Unsere Aufgabe muss darin bestehen, den Fussball global zu gestalten, beginnend bei den jungen Menschen bei den Jugend-Weltmeisterschaften. So kann jedes Talent auf der Welt eine Chance bekommen und nur so bekommt jedes Mädchen und jeder Junge die Chance zum Träumen.

Das ist die Vision für 2023: Den Fussball wirklich global zu gestalten. Wir müssen uns dafür engagieren und für alle Ideen offen sein. Wir müssen auch mutig und kühn sein, denn manche Leute haben vielleicht Angst vor Veränderungen. Doch ich denke, dass wir mit Überzeugung und einer positiven Einstellung vorgehen müssen. Es ist notwendig, die ganze Welt einzubeziehen und den Fussball noch globaler zu machen, als er es ohnehin schon ist.