Mittwoch 04 Mai 2016, 06:18

Rostow auf den Spuren von Leicester

In Rostow am Don, Spielort der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™, gibt es im Augenblick einen regelrechten Fussballboom. Im Mai 2015 rangierte der beliebteste Fussballklub einer der größten Städte Russlands, in der bei der WM 2018 vier Gruppenspiele und eine Achtelfinal-Partie stattfinden werden, am unteren Tabellenende der russischen Premier Liga. Der FK Rostow vermied den automatischen Abstieg nur aufgrund der Anzahl gewonnener Spiele und sicherte sich den Klassenerhalt am Ende mit einem Relegationssieg gegen den FK Tosno.

Ein Jahr später ist Rostow nun ganz oben mit dabei und hat einen Spitzenklub nach dem anderen besiegt. Unter anderem kam der Klub am 24. April zu einem 3:0-Sieg gegen den amtierenden Meister Zenit Sankt Petersburg. Außerdem legte man bis zu der überraschenden Niederlage gegen Mordowia Saransk am letzten Spieltag eine Serie von acht Spielen ohne Gegentor hin. Trotz dieser Niederlage bleibt Rostow weiterhin im Rennen um den Titel. Da ist es fast unvermeidbar, dass Parallelen zum englischen Klub Leicester City gezogen werden, denn Rostows Verwandlung grenzt ebenfalls an ein Wunder.

Der Klub hat zwar bereits zuvor am Erfolg geschnuppert und ist beispielsweise in der Saison 2013/14 zum ersten Mal russischer Pokalsieger geworden, die beste Platzierung in der Liga war allerdings bislang ein sechster Platz. Diese Bilanz dürfte in dieser Saison bei Weitem übertroffen werden.

Die Medien des Landes bezeichnen Rostow daher auch ständig als das "russische Leicester", doch der 32-jährige Aleksandr Gatskan, Mannschaftskapitän und defensiver Mittelfeldspieler aus Moldawien, versichert, dass das Team solche Vergleiche nicht fördert.

"Wir vergleichen uns nicht mit Leicester, höchstens im Scherz", so Gatskan in einem Interview mit FIFA.com. "Es stimmt schon, dass wir am oberen Tabellenende stehen und letzte Saison fast abgestiegen wären, aber was die Spielweise betrifft, sind wir nicht zu vergleichen. Das hat nichts damit zu tun, dass die englische Premier League besser ist. Die beiden Teams haben einfach ganz unterschiedliche Spieler."

Fussballboom in Rostow am Don Rostows Fans genießen ihren Platz an der Sonne, nachdem sie viele Spielzeiten dazu verdammt waren, ihr Team in der unteren Tabellenhälfte kämpfen zu sehen. Jetzt haben die Einheimischen allerdings ein anderes Problem.

"Fussball war hier schon immer sehr beliebt, aber jetzt, wo das Team so gut spielt, interessieren sich selbst diejenigen dafür, die vorher kein Interesse am Fussball hatten. Deshalb ist es wirklich schwierig geworden, Eintrittskarten zu ergattern. Selbst wenn das Stadion eine größere Kapazität hätte wären die Tickets im Nu vergriffen."

Dieses Problem sollte sich mit dem neuen Stadion erledigen, das im Vorfeld der WM in der Stadt gebaut wird.

"Ich wohne nicht weit vom Stadion entfernt und kann es sehen, wenn ich aus dem Fenster schaue. Ich kann die Baufortschritte täglich verfolgen", so Gatskan. "Ich hoffe, dass ich in naher Zukunft Gelegenheit haben werde, dort zu spielen. Ich träume davon, Rostow in der neuen Arena als Kapitän aufs Feld zu führen. Das wäre einfach fantastisch!"

Gatskan stieß vor acht Jahren zum Klub, als dieser aus der Premier Liga abgestiegen war, und leistete seinen Beitrag zum direkten Wiederaufstieg.

"Tatsächlich war das eine positive Phase. Rostow war vorher seit 14 Jahren nicht mehr abgestiegen, also wollten wir so schnell wie möglich zurück . Genau das haben wir dann auch geschafft. Die ganze Stadt war nach dem Titelgewinn in der zweiten Liga vollkommen aus dem Häuschen, daher verbinde ich sehr schöne Erinnerungen mit dieser Saison."

Ein geborener Sieger am Ruder Doch wie ist es Rostow gelungen, mit einem Team, das letzte Saison den 14. Platz belegte und seither nur geringfügig verändert wurde, im Rennen um den Titel zu bleiben? "Wir haben einen guten Kader und einen fantastischen Trainer. Nachdem wir uns letztes Jahr den Klassenerhalt gesichert hatten, haben alle lange und gründlich nachgedacht und sich das Ziel gesteckt, unsere Vorbereitung zu verbessern. Wir geben bei jedem Training alles, hören auf den Trainer und versuchen, seine Anweisungen auf dem Platz umzusetzen", so Gatskan.

Rostow wird von Kurban Berdyev trainiert, einem der erfolgreichsten Trainer des russischen Fussballs. Im Gegensatz zu Leicesters Trainer Claudio Ranieri, hat Berdyev bereits Teams zum Titelgewinn in der Liga geführt. Mit Rubin Kasan ist ihm das zwei Mal gelungen, nämlich 2008 und 2009. Berdyev schwingt das Zepter in Rostow, und die Spitzenteams haben Probleme mit der defensiven Ausrichtung und den gefährlichen Kontern seiner Mannschaft.

"Rostow spielt nach der Philosophie des Trainers", bestätigt Gatskan. "Berdyev stellt sein Team so auf, dass die Spieler im Angriff Freiheiten haben und improvisieren können. Gleichzeitig müssen alle dafür sorgen, dass in der Verteidigung alles dicht ist, und wir sollen uns strikt an das halten, was wir im Training erarbeitet haben."

Auf diese Weise ist es Rostow gelungen, acht Spiele in Folge keinen einzigen Gegentreffer zu kassieren. Zu Hause hat der Klub sich gegen alle Herausforderer durchgesetzt, unter anderem gegen ZSKA Moskau, Spartak Moskau und Zenit, um nur einige zu nennen. Schwierigkeiten hatte das Team eher bei Auswärtsspielen gegen Teams, die gegen den Abstieg kämpfen. Kürzlich gelang Rostow gerade so eben ein knapper Sieg gegen Kuban Krasnodar. Gatskan selbst erzielte zehn Minuten vor Schluss den einzigen Treffer der Partie. Für den Mittelfeldspieler aus Chişinău war dies erst der 14. Treffer in acht Spielzeiten für Rostow, doch sicherlich einer der wichtigsten.

Gatskan weist sämtliche Versuche zurück, über die Titelchancen des Klubs und eine mögliche Teilnahme an der UEFA Champions League zu sprechen, in der Russland zwei Startplätze zustehen. "Nein, darüber können wir jetzt nicht reden. Wir müssen einfach nur das nächste Spiel gewinnen."

Den Menschen in Rostow am Don gefällt die Aussicht auf eine Teilnahme am europäischen Klubwettbewerb, und sie freuen sich schon auf die bevorstehende WM 2018. "Die Leute hier lieben Fussball und können die WM kaum erwarten", so Gatskan. "Das Fussballfieber wird enorm sein, das spüren wir bereits jetzt bei den Spielen des FK Rostow."