Montag 13 Januar 2020, 13:57

Kanerva: Finnlands Qualifikation ist ein Traum für Generationen

  • Finnland qualifizierte sich für die EURO 2020, das erste große internationale Turnier

  • Markku Kanerva ist der Trainer hinter diesem historischen Erfolg

  • Er sprach mit FIFA.com über diese Leistung und die künftigen Herausforderungen

Für Finnland galt Ende des vergangenen Jahres das abgewandelte Motto "Aller guten Dinge sind 33".

Denn am 15. November 2019 schafften die Huuhkajat (Uhus) erstmals die Qualifikation für ein großes internationales Fussballturnier – nach 32 erfolglosen Versuchen in den vergangenen neun Jahrzehnten!

Lange, lange hat es gedauert, und so manch einer hatte bereits die Hoffnung verloren, dass dieser Tag jemals kommen würde. "In den vergangenen Jahren haben mir sehr viele Leute, auch hier in Finnland, immer wieder gesagt, dass wir uns wahrscheinlich niemals qualifizieren würden", so Markku Kanerva, der Nationaltrainer Finnlands.

Trotz aller Zweifel und aller Misserfolge in den vergangenen zum Teil demoralisierenden Jahrzehnten und nach zahllosen neidischen Seitenblicken auf die anderen skandinavischen Länder haben es die Finnen nun endlich geschafft. Die Euphorie über die gelungene Qualifikation für die UEFA EURO 2020 war entsprechend groß.

Kanerva ist der Architekt, der hinter diesem bahnbrechenden Erfolg steht. Er führte sein Team in der Qualifikationsgruppe auf Platz zwei – vor Griechenland und Bosnien-Herzegowina. Dabei ist der 55-Jährige ein überaus bescheidener und außerhalb Finnlands nahezu unbekannter Fussballtrainer.

Der ehemalige Schullehrer und Nationalverteidiger gehört schon seit mehr als eineinhalb Jahrzehnten zum Trainerstab des Nationalteams und hat in dieser Zeit auch federführend die U-21-Auswahl trainiert. Dabei zeigte er bereits, was künftig von ihm zu erwarten war, als er das Team zur europäischen Endrunde führte.

Doch erst nach seiner Beförderung ins Amt des Cheftrainers der A-Nationalmannschaft im Dezember 2016 wurde Kanerva in seinem Heimatland bekannt und nun sogar ein Held. Nachdem sich der Staub und der Jubel über die erstmalige Qualifikation nun etwas gelegt haben und das Turnier bereits am Horizont wartet, sprach der Trainer mit uns über seine Erfolgsgeheimnisse und die vor dem Team liegenden Herausforderungen.

Herr Kanerva, können Sie dem Rest der Welt erklären, was diese erfolgreiche Qualifikation den Finnen bedeutet?

Ganze Generationen von Finnen haben davon geträumt. Die Fussballfans im Land haben versucht, den Glauben auch in schweren Zeiten niemals zu verlieren. Die Hoffnung war immer, dass es noch zu den eigenen Lebzeiten so weit sein möge. Somit können Sie sich vorstellen, wie viel es uns bedeutet, dass es nun endlich gelungen ist. Für alle in Finnland, die irgendwann einmal etwas mit dem Fussball zu tun hatten, sei es als Spieler, als Trainer oder als Fan, war dies ein fantastischer, unvergesslicher Moment. Wir sind alle stolz und überglücklich. Der Erfolg hat die Menschen in Finnland näher zusammen gebracht. Natürlich wissen wir hier durchaus, wie sich sportliche Erfolge anfühlen, schließlich waren wir ja schon mehrfach Eishockey-Weltmeister. Doch im Fussball mussten wir enorm lang auf einen solchen Erfolg warten. Daher waren die Leute völlig aus dem Häuschen, als es endlich so weit war.

Hatten Sie das Gefühl, dass angesichts des ständigen Scheiterns Finnlands zunächst eine mentale Barriere durchbrochen werden musste?

Wir waren in der Vergangenheit schon ein paar Mal nah dran an der Qualifikation, beispielsweise in der Zeit von Roy Hodgson. Das war in der sogenannten Goldenen Ära, als Spieler wie Jari Litmanen, Sami Hyypia und andere aktiv waren. Als es selbst mit diesem Team nicht klappte, machte sich bei vielen das Gefühl breit, dass wir uns dann wohl niemals qualifizieren würden. Dieses Gefühl wurde sogar noch stärker, nachdem ich das Amt übernommen hatte, denn zu dieser Zeit traten auch einige erfahrene Spieler aus der Nationalmannschaft zurück. Aber genau darin erkannte ich die Gelegenheit, junge Spieler zu integrieren und ein neues Team aufzubauen. Bei diesen Spielern hatte es nie eine mentale Barriere gegeben. Sie waren einfach hungrig danach, diesen besonderen Erfolg zu schaffen.

Fussball galt in Finnland lange nicht als Sportart Nummer eins. Hat die Qualifikation nun für einen großen Schub gesorgt?

Was die Zahl der Aktiven angeht, ist Fussball bereits die Sportart Nummer eins in Finnland. Doch es stimmt auch, dass in der Öffentlichkeit, in den Medien und bei den Zuschauern Wintersportarten und insbesondere Eishockey bislang noch beliebter sind. Ich habe die große Hoffnung, dass der Fussball nun in jeder Hinsicht zur Sportart Nummer eins wird. Das wird allerdings nicht über Nacht geschehen. Doch der Erfolg hat uns bereits einen großen Schub gegeben und er motiviert alle enorm, die im Fussball aktiv sind, insbesondere natürlich die Kinder. Wir müssen sicherstellen, dass wir diese Gelegenheit nun auch nutzen, um den Fussball in Finnland weiterzubringen. Das beschränkt sich nicht nur auf die A-Nationalmannschaft, sondern es gilt auch und umso mehr für den Nachwuchsbereich und den Frauenfussball.

Worin sehen Sie die wichtigsten Zutaten für den Erfolg Ihres Teams?

Ich denke, am wichtigsten ist neben guten Spielern der Teamgeist. Wann immer Finnland in einer bestimmten Sportart erfolgreich war, sei es beim Eishockey, beim Volleyball, beim Basketball und nun eben auch beim Fussball, war der Teamgeist immer ein Schlüsselfaktor. Wir haben zudem sehr gut verteidigt und mit Lukas Hradecky einen großartigen Torhüter im Kasten. Dass wir in sechs unserer zehn Qualifikationsspiele ohne Gegentor blieben, sagt ja wohl Einiges. Und außerdem haben wir das Glück, einige sehr effiziente Angreifer zu haben, allen voran Teemu Pukki, der zehn Tore erzielte. Trotzdem ist der Teamgeist der Faktor, den ich am stärksten betonen will. Wenn wir diesen Teamgeist und unsere Mentalität beibehalten, dann können wir auch weiter Erfolg haben, da bin ich sicher.

Für diejenigen, die Sie nicht so gut kennen: Was für ein Trainertyp sind Sie und wie sind Sie Ihre neue Aufgabe als Nationaltrainer angegangen?

Zunächst einmal versuche ich, mich mit einem guten Stab zu umgeben. Es ist sehr wichtig, Leute zu haben, die nicht nur ihren Job machen, sondern in der Lage sind, Teil eines größeren Teams zu sein und damit zu dem Teamgeist beizutragen, der uns so wichtig ist. Was meinen Stil angeht: Ich würde mich als recht traditionell, aber gleichzeitig sehr spielerorientiert beschreiben. Ich beschäftige mich viel mit keinen Details. Ich schaue mir einzelne Spieler gern sehr genau an und bekomme auch gern Feedback von ihnen, höre ihre Ideen und diskutiere darüber, wie wir das Beste aus ihnen herausholen können. Die Ansichten der Spieler im Kader sind stets willkommen, denn für mich ist ein Trainer dazu da, seine Spieler zu unterstützen. Ein wichtiger Teil meiner Trainerphilosophie besteht darin, für eine gute Atmosphäre zu sorgen, in der sich die Spieler wohl fühlen und ein echtes Gefühl der Zugehörigkeit zum Team entwickeln. Das ist für mich der beste Weg, die Spieler zu motivieren, alles ins Team einzubringen, was sie zu geben haben.

mftwtaw1kpe4oox4r7cv.jpg

Was sagen Sie zur Auslosung für die EURO? Wo sehen Sie Ihr Team im Vergleich mit Belgien, Dänemark und Russland?

Nun, das ist die aktuelle Nummer eins der Weltrangliste und dazu zwei weitere Teams, die es bei der letzten Weltmeisterschaft in die späteren Runden geschafft haben. Ich sage daher, dass das eine sehr schwere Gruppe ist. Doch wir haben bereits viele überrascht und ich denke, dass wir auch diese Teams überraschen können. Wir müssen allerdings stets auf unserem höchsten Niveau spielen und hoffen, dass sich bis zum Sommer keiner unserer Schlüsselspieler verletzt. Wir müssen darauf achten, bei Spielen die Kontrolle zu übernehmen. Das bedeutet nicht unbedingt, auch mehr Ballbesitz zu haben. Russland ist ein perfektes Beispiel dafür. Bei der WM hatten die Russen nur ziemlich wenig Ballbesitz, aber sie hatten dennoch alles im Griff und waren bei Kontern enorm effektiv. Das kann uns als Beispiel dienen.

Zum Abschluss noch diese Frage: Wie wichtig es für Finnland, auf dem Erreichten aufzubauen und bald auf die erste Qualifikation für eine EURO auch die erste Qualifikation für eine WM folgen zu lassen?

Das ist natürlich der allergrößte Traum. Aber wie gesagt, es ist sehr, sehr schwierig. Bei der EURO sind 24 Plätze zu vergeben. Bei der Weltmeisterschaft hingegen sind nur 13 europäische Teams dabei, also nur etwas mehr als die Hälfte. Doch wenn wir eine gute EURO spielen und daraus gut vorbereitet für die nächsten WM-Qualifikationsspiele hervorgehen – wer weiß? Wie ich immer sage: dieses Team ist für so manche Überraschung gut.

ujnr7xpowbnyckrlsleu.jpg