Sonntag 27 Juni 2021, 07:20

Neuaufbau eines Teams mit Eniola Alukoe

  • Eniola Aluko ist die erste Sportdirektorin beim neuen NWSL-Klub Angel City

  • Sie hat die Aufgabe, den ersten Kader des Klubs zusammenzustellen

  • Lesen Sie das Exklusiv-Interview von FIFA.com mit der früheren englischen Nationalspielerin

Viele Fussballfans haben schon unzählige Stunden damit verbracht, in Computerspielen Fantasie-Teams zusammenzustellen und Vereine in der Fussballpyramide nach oben zu führen. Was würden Sie tun, wenn Sie in der Realität vor dieser Aufgabe stünden?

Das wäre natürlich eine ganz andere Sache und würde viel Fachwissen in verschiedenen Bereichen erfordern. Nur wenigen ist eine solche Chance vergönnt. Doch genau dieser Herausforderung stellt sich Eniola Aluko. Die frühere englische Nationalspielerin, Stürmerin von Chelsea und Angehörige des Olympia-Teams von Großbritannien wurde kürzlich als erste Sportdirektorin des neuen NWSL-Teams Angel City vorgestellt.

Sie bringt nicht nur eine Fülle an Spielerfahrung und Wissen aus dem Profifussball mit, sondern kommt auch aus einer erfolgreichen Zeit als Direktorin für Frauenfussball bei Aston Villa, wo sie den Verein durch seine erste Saison in Englands höchster Spielklasse geführt hat. Sie ist ausgebildete Anwältin und veröffentlichte 2019 ein Buch. Kaum zu glauben, dass Aluko vor wenigen Monaten erst 34 Jahre alt geworden ist.

Was genau ist ein Sportdirektor? Aluko erklärt es uns.

"Es ist jemand, der über das Morgen hinausschaut, aber das Heute managen kann. Es ist jemand, der in der Führungsebene des Klubs sitzt und in der Lage ist, eine langfristige Vision für den technischen Stab und die fussballerische Leistung des Teams zu entwickeln. Es ist jemand, der das Team aus Spielerinnen und Personal aufbaut, der eine Kultur innerhalb des Teams schafft, der die Leistung versteht und weiß, wie diese aussieht, der die taktische Seite des Spiels versteht und sehr eng mit dem Cheftrainer zusammenarbeitet, wenn es darum geht, die Taktik umzusetzen, um zu gewinnen, der die langfristige Vision festlegt - wollen wir die NWSL in einem, zwei oder drei Jahren gewinnen? Wie sieht das aus? Wie werden wir dieses Ziel erreichen? Zu den attraktivsten Aspekten für einen Sportdirektor gehört, dass man mit sehr vielen verschiedenen Abteilungen des Klubs arbeitet: Marketing, Finanzen, technisches Team, CEO, Eigentümer. Man kann in viele verschiedene Bereiche hineinschnuppern, weil der Job einen in diese verschiedenen Richtungen zieht. Nicht alles dreht sich nur um Fussball. Es ist multidimensional, aber letztendlich sitzt man etwas abseits des Rasens und ist in der Lage, die kurz- und langfristige Vision des Klubs festzulegen."

Aluko gilt als Mensch, der proaktiv aus seiner Komfortzone herauskommt und ständig nach neuen Herausforderungen sucht. Sie sprach mit FIFA.com über ihre neue Stellung.

"Als ich jünger war, konnte man im Frauenfussball eigentlich keine ernsthafte Karriere machen", sagt sie. "Ich hatte die Leidenschaft, die Begabung und das Talent, aber das hat es mir nicht erlaubt, in dieser Spur zu bleiben. Von klein auf musste ich ständig denken: 'Ich habe den Fussball und ich habe noch etwas anderes, nämlich mein Studium.' Ich musste immer zwei Dinge unter einen Hut bringen und ich denke, das hat mir viel Antrieb gegeben, der mich aktiv werden ließ.

Auch nachdem der Fussball dann zum Beruf wurde, wollte ich weiterhin noch andere Dinge machen. Ich bin ein neugieriger Mensch und will mich immer ausprobieren und testen. Und der beste Weg, sich weiterzuentwickeln, ist, sich in Situationen zu begeben, in denen man nur lernen und wachsen kann."

Aluko hat ein ehrgeiziges neues Projekt gesucht und gefunden, bei dem sie die Aufgabe hat, den allerersten Trainer des Klubs zu engagieren und den ersten Kader zusammenzustellen. Angel City spielt ab der kommenden Saison in der NWSL. Dahinter steht ein von Frauen gegründetes und dominiertes Eigentümer-Konsortium, eine mit Stars gespickte Investorengruppe mit weltbekannten Namen wie Serena Williams, Natalie Portman, Eva Longoria, Mia Hamm und Abby Wambach.

Angel City Football Club unveil Eniola Aluko as their first Sporting Director

Aluko wird indes nicht allein arbeiten. Ihr zur Seite steht die zweifache Olympiasiegerin und ehemalige Mittelfeldspielerin der USA, Angela Hucles Mangano, die als Vizepräsidentin für Spielerinnenentwicklung und Spielbetrieb des Klubs vorgestellt wurde.

"Im Moment besteht meine wichtigste Aufgabe darin, Spielerinnen zu verpflichten", sagt Aluko. "Während ich aber jetzt das Team zusammenstelle, muss ich auch darüber nachdenken, ob diese Spielerinnen in zwei Jahren immer noch in der Lage sein werden, uns zu helfen, zu siegen." Das ist eine ziemliche Herausforderung. Planung ist wichtig, aber man muss auch in der Lage sein, sich anzupassen und umzuschwenken."

In ihrer Zeit bei Aston Villa, wo sie half, den Verein während der Pandemie zu führen, musste sie sich oft anpassen und umschwenken.

"So hart diese Erfahrung auch war, ich habe buchstäblich das Gefühl, dass ich jetzt mit allem umgehen kann. Nicht, dass ich wüsste, wie man mit allem umgehen kann, aber ich habe das Gefühl, dass mich nichts mehr überraschen kann. Ich fühle mich jetzt wirklich bereit für diese Rolle bei Angel City."

Ihr Hintergrund und ihre Arbeit als Juristin haben ihre Arbeit und ihren Weg zur sportlichen Leitung geprägt. Sie wird zudem auch das Budget des Teams verwalten.

"Angel City ist einzigartig, weil es von Risikokapitalgebern gegründet wurde, die verstehen, wie man Unternehmen und Marken auf den Weg bringt", so Aluko. "Man wendet dies auf den Fussball und den Frauensport an. Diesen Kontext zu verstehen, ist wichtig, denn er beeinflusst die eigenen Entscheidungen.

Ich weiß, dass die Verpflichtung von Spielerinnen, die die Fans ins Stadion locken, alle zufrieden stellt. Wenn die Fans zufrieden sind, werden mehr Tickets verkauft und die Besitzer sind glücklich. Man muss strategische Entscheidungen treffen, die all diese verschiedenen Faktoren berücksichtigen."

Wichtig ist, dass Aluko keine Entscheidungen im Alleingang treffen wird. Sie arbeitet mit Datenanalysten, Cheftrainer und Assistenztrainern, Leistungstrainern und Sportwissenschaftlern zusammen, die ihr helfen, die wichtigen Entscheidungen zu treffen.

"Je besser die Beziehung und die strukturierte Kommunikation mit diesen Teams, desto bessere Entscheidungen kann man treffen", sagt sie. "Eine der wichtigsten Lektionen, die ich bei Aston Villa in Bezug auf die Verpflichtung von Spielerinnen mitgenommen habe, ist, dass ich viel objektiver sein möchte. Auf dem höchsten Niveau gibt es eine Menge guter Spielerinnen. Wie aber trennt man gute von großartigen Spielerinnen? Großartige Spielerinnen von solchen, die es nur in zehn Spielen pro Saison schaffen, im Gegensatz zu denen, die es die ganze Saison schaffen?

Als Sportdirektor ist es wirklich wichtig, ein multidisziplinäres Team zu haben, das einen informiert und es einem ermöglicht, fundierte und gute Entscheidungen zu treffen. Wenn man das nicht hat, wird man wahrscheinlich schlechtere Entscheidungen treffen. Und man muss akzeptieren, dass man trotzdem nicht immer richtig liegt."

Sie ist derzeit dabei, einige wichtige Entscheidungen zu treffen, die den Weg des Klubs prägen werden, der nach Erfolg strebt, aber noch keinen Ball gekickt hat. Aluko genießt diese Herausforderung.

"Ich weiß nicht, wie viele Gelegenheiten man bekommt, ein Team von Grund auf neu aufzubauen. So eine Chance bekommt man nur ein Mal im Leben. Im Fussball gibt es Kulturen und Strukturen, deshalb kommt man normalerweise in bereits bestehende Strukturen, die schwer zu ändern sind. Fussball ist ein sehr traditionsbewusster Sport. Die Dinge werden so gemacht, wie sie eben gemacht werden, und es braucht Zeit, sie zu ändern.

Wenn man eine leere Leinwand wie bei Angel City hat, kann man von Anfang an wirklich Einfluss nehmen. Das war ein großer Anreiz für mich und eine Chance für mich als Sportdirektorin, die ich mir nicht entgehen lassen konnte. Doch es ist ein zweischneidiges Schwert, denn viele Spielerinnen könnten es als Risiko sehen, weil sie nicht wissen, wie gut das Team sein wird; es gibt keinen Referenzpunkt. Viele Spielerinnen unterschreiben möglicherweise erst, wenn schon jemand anders unterschrieben hat. Es geht um das strategische Wissen, wer die Spielerin ist, die diesen Domino-Effekt auslösen kann. Es gibt ein Element des Unbekannten bei diesem Projekt. Was dabei sehr hilft, ist, dass die Eigentümergruppe so unglaublich ist."

Aluko ist seit über 20 Jahren im Fussball tätig und bringt ihren reichen Erfahrungsschatz mit nach Los Angeles. Eine ihrer Aufgaben wird es sein, dafür zu sorgen, dass das Team von einer möglichst großen Vielfalt geprägt ist.

Dass Angel City die Liga gleich im ersten Jahr gewinnen wird, wollte Aluko nicht sagen, doch sie betonte, wie wichtig es ist, einen begeisternden Fussball zu spielen, der ein Umfeld schafft, in dem das zumindest möglich scheint. In einem Interview mit der Los Angeles Times bezeichnete Aluko ihren Job als eine "Gelegenheit, die Zukunft des Frauensports auf eine andere Art und Weise zu gestalten."

"Viele Frauenteams rund um die Welt sind im Besitz von übergeordneten Männerteams und haben Besitzer, die sich des Frauenteams bewusst sind, aber es ist nicht ihre Priorität, also stehen die Frauenteams irgendwie im Schatten der Männerteams", sagt Aluko. "Ja, sie werden unterstützt und haben die Ressourcen, aber sie sind keine Priorität. Bei Angel City handelt es sich um ein eigenständiges Frauenteam, das sich im Besitz von Frauen befindet. Das ist an und für sich schon eine Marke. Das ist ein Weg, den andere ebenfalls beschreiten können.

Was mir bei Angel City sofort aufgefallen ist, ist, dass sie wollen, dass Zweck und Kapital nebeneinander existieren. Sie sagen: 'Wir wollen Geld verdienen. Wir wollen ein kommerzielles Unternehmen sein, aber gleichzeitig auch eine Gemeinschaft und wir werden dafür sorgen, dass diese Gemeinschaft wächst und auf authentische Teil des Ganzen wird. Ich kenne nicht viele Teams, die das von Anfang an konsequent umsetzen und es damit zu einem Teil ihrer Marke machen.' "

Wenn Angel City zum ersten Mal gegen den Ball tritt, hat das Team bereits eine treue Fangemeinde und Unterstützer.

"Spielerinnen kommen und gehen. Sportliche Leiter kommen und gehen. Auch Trainer kommen und gehen. Was sich aber nicht ändert, ist der Klub und die Gemeinschaft."

Angel City Football Club unveil Eniola Aluko as their first Sporting Director