Montag 25 Januar 2016, 06:33

Eine Kindheit mit Cristiano Ronaldo

Es muss ein merkwürdiges Gefühl sein, wenn ein Freund aus der Kindheit später rund um die Welt als herausragender Star gefeiert wird – ungefähr so, als hätte man im Sandkasten mit Marlon Brando oder John Lennon gespielt. José Semedo war zwar überzeugt, dass sein Zimmerkamerad einmal ein Fussballprofi werden würde, doch die unzähligen Auszeichnungen und die weltweite Bewunderung hat auch er nicht erwarten können.

"Uns allen bei Sporting war klar, dass er Profi werden würde", so Semedo über seinen engsten Vertrauten im Nachwuchszentrum, einen gewissen Cristiano Ronaldo. "Wir haben zwar nicht damit gerechnet, dass er drei Mal den Ballon d'Or gewinnen würde, aber dass er Profifussballer werden würde, das war völlig klar." Damit zeichnet er das Bild eines Jungen, dem die ganze Welt zu Füßen liegen würde, und eines Mannes, den Semedo noch heute zu seinen engsten Freunden zählt.

Beide waren zwölf Jahre alt, als der auf Madeira geborene Ronaldo in das Fussballinternat nach Lissabon kam, wo Semedo, der aus der nahe gelegenen Stadt Setubal stammte, bereits lebte. Die beiden waren die einzigen Kinder in ihrem Alter, die in der Akademie wohnten. Kein Wunder, dass sie schnell unzertrennlich wurden. Der heutige Mittelfeldspieler von Sheffield Wednesday half dem Neuankömmling, sich in der neuen Umgebung einzuleben.

Ronaldo eilte indes schon ein enormer Ruf voraus, denn bei jedem Turnier, das er seit seinem zehnten Lebensjahr bestritten hatte, war er auch zum besten Spieler gewählt worden. Im Training konnten seine Teamkameraden oft nur mit offenem Mund zuschauen, wenn Ronaldo seine Kunst zeigte. Mit herausragender Ballbeherrschung und platzierten Freistößen in den Winkel brachte er seine Kameraden immer wieder zum Staunen. Keiner war in der Lage, es ihm gleichzutun. Er spielte fast immer in Teams mit älteren Spielern, so Semedo: "Bei uns spielte er eigentlich nur mit, wenn es gegen Spitzenteams wie Benfica oder Porto ging."

Die enge Freundschaft der beiden entwickelte sich, obwohl sie charakterlich ganz unterschiedlich waren. Beide besuchten eine staatliche Schule in der Nähe, doch ihre Einstellung in Bezug auf Pünktlichkeit war völlig verschieden. Semedo erzählt eine häufige Begebenheit: "Ich wachte jeden Tag um halb sieben auf und begann, mich fertig zu machen. Er wachte dann auch auf und fragte verschlafen: 'Semy, wo willst du hin?'

Ich antwortete: 'Wenn der Chef rauskriegt, dass wir die Schule schwänzen, werden wir bestimmt rausgeworfen!' Doch Ronaldo antwortete nur: 'Nein, bleib hier und schlaf noch etwas. Wir werden doch sowieso Fussballer, was brauchen wir da die Schule!' Und nicht selten tauchte Ronaldo selbst dann erst gegen zehn in der Schule auf...

Entscheidende Maßnahme Einige Zeit später wäre die noch junge Freundschaft allerdings fast zerrissen worden. Nach knapp zwei Jahren im Fussballinternat sollte Semedo künftig nicht mehr dort wohnen, sondern wieder bei seiner Familie. Die Fahrtzeit zum Training hätte für ihn eine Stunde betragen. Ronaldo war sofort klar, dass dies für sie das Ende bedeutet hätte.

Semy kam aus einem Problemviertel Setubals, einem sozialen Brennpunkt mit viel Armut und Kriminalität. Als eines von zehn Kindern einer armen Familie wäre er mit großer Wahrscheinlichkeit wie viele seiner Bekannten in die Kriminalität abgerutscht oder das Opfer einer Gewalttat geworden. "Es war für Eltern in dieser Gegend alles andere als leicht, ihre Kinder zu guten Menschen zu erziehen", erinnert er sich. "Letztlich hat mich der Fussball gerettet."

Als er Ronaldo erzählte, dass er bald gehen müsse, wollte der künftige Superstar davon nichts wissen. Er sagte: 'Nein, wenn du gehst, werde ich dich nicht mehr sehen. Du kommst aus einem Problemviertel, wo es kaum Unterstützung für euch gibt. Das kommt nicht in Frage. Sie sollen hier ein zusätzliches Bett aufstellen. Du bleibst hier und wir teilen das Zimmer!"

Nach einem kurzen Gespräch mit dem Leiter war die Entscheidung gefallen. Wie war das möglich? 'Weil ich hier der beste Spieler bin', habe Ronaldo gesagt, so Semedo. 'Sie müssen sich um mich kümmern, damit ich weiterhin so gut bin. Ich mag dich so sehr, dass ich dich auf keinen Fall verlieren will.' Im Rückblick besteht für Semedo kein Zweifel daran, was diese Freundlichkeit für ihn bedeutete: "Er hat damit mein Leben verändert."

Also zwängten die beiden ein zusätzliches Bett in das Zimmer, teilten sich von nun an einen Schrank und lebten auf engstem Raum zusammen. Sie wurden dickste Freunde, was Ronaldo sehr zugute kam, als kurz darauf der Ruhm einsetzte.

"In der Schule hatte er es mit 14, 15 sehr schwer. Alle Jungs waren neidisch auf ihn. Zunächst einmal wegen seines Namens, er war Ronaldo! Und dann natürlich auch, weil er in nahezu jeder Zeitung als bester Fussballer unter 15 in ganz Europa bezeichnet wurde. Immer gab es etwas über ihn in den Nachrichten. Und natürlich wollten ihn alle Mädchen!"

Wann immer es Reibereien gab, stand Semedo bedingungslos zu seinem Freund. In der Schule lief es weiterhin nicht allzu gut für Ronaldo und er benötigte schon bald einen Privatlehrer. "Ich musste ihn schützen",  so Semedo. "Es war nicht seine Schuld. Er war zu diesem Zeitpunkt schon berühmt. Er war eben etwas ganz Besonderes."

Während in der Schule also nicht unbedingt alles rund lief, trieb der unbändige Wille der beiden, sich fussballerisch immer weiter zu verbessern, sie ungebremst an. Lachend erinnert sich Semedo daran, wie die beiden mitten in der Nacht trainierten, manchmal auf dem Handballfeld oder auch in der Sporthalle, in die sie sich am Wachpersonal vorbei schlichen. Ronaldo benutzte damals häufig Gewichtsbandagen an den Fußgelenken und trainierte damit immer wieder Zweikampfsituationen gegen den defensiven Mittelfeldspieler. "Wir sind vor dem normalen Teenagerleben geflohen und haben Tag und Nacht trainiert, um immer stärker und besser zu werden."

Dank dieser Einstellung haben beide letztlich die Erwartungen übertroffen. "Das schönste, was Ronaldo über mich sagte und was ich nie vergessen werde, war Folgendes: 'Semy, ich bin wirklich stolz auf dich.' Ich lachte und fragte, warum er jetzt dieses Gespräch anfinge. Seine Antwort: 'Wir waren eine ganze Menge Spieler bei Sporting , und von uns allen warst du mit dem wenigsten Talent gesegnet. Und trotzdem haben nur wir zwei unseren Weg als Profifussballer gemacht'."

Kampfgeist Dieser Erfolg veranschaulicht den Kampfgeist, über den Semedo in seinem neuesten Buch schreibt (Titel: Win the Day) und das natürlich ein Vorwort des mehrfachen Gewinners des FIFA Ballon d'Or enthält. Darin geht es auch darum, wie hilfreich positives Denken im Leben sein kann. "Dieser Kampfgeist war schon immer in uns", so der Spieler aus der zweiten englischen Liga. "Auf meinem Niveau ist er nicht so deutlich zu erkennen, doch bei ihm sieht man ganz eindeutig, dass er niemals aufgibt."

"Er sagt mir immer wieder: 'Gib niemals auf, auch nicht bei den schwersten Sachen, dann wirst du das Ziel irgendwann erreichen.' Mit dieser Mentalität sind wir aufgewachsen."

Dass Ronaldos Karriere fast buchstäblich so verlaufen ist, wie er sie von Anfang an geplant hatte, zeigt eindrücklich seine Entschlossenheit. "Schon damals sagte er: 'Ich werde erst für Manchester United spielen und dann bei Real Madrid unterschreiben.' Und es ist tatsächlich so gekommen, wie er es vorhergesagt hat."

Semedo hat erlebt, wie sein Freund sich von einem hoffnungsvollen Youngster zum Superstar mauserte, wie aus dem kleinen Jungen ein gestandener Mann und Vater wurde. Eine Fussballlegende hat sich vor seinen Augen entwickelt und für ihn ist klar, dass Ronaldo eine Sonderstellung einnimmt. "Cristiano schreibt ein unvergessliches Kapitel Fussballgeschichte."

"Er ist ohne Zweifel der beste Sportler auf diesem Planeten. Die Welt sollte innehalten und zuschauen, wenn er spielt, denn wenn er einmal aufhört, werden wir alle trauern, da wir dann keinen solchen Spieler mehr haben. Er beweist, dass im Fussball alles möglich ist. Er ist einfach auf einem anderen Level."