Individuelle Auszeichnungen sind in der Regel ebenso wie Strafräume Territorium der Stürmer. Diese sehen sich allerdings immer wieder mit einem Hindernis konfrontiert – mit einem Spieler, dessen Motivation bei der Verteidigung des eigenen Tores mindestens ebenso groß ist wie die der Stürmer, die den Ball im gegnerischen Netz zappeln sehen wollen.

Dies zeigt sich auch in der Liste der Nominierten für die Auszeichnung The Best – FIFA-Weltfussballer 2018. Neun der zehn Spieler sind Offensivakteure. Der zehnte hat jedoch während der Saison 2017/18 versucht zu verhindern, dass diese Akteure glänzen können. FIFA.com nimmt die Gründe für die Nominierung von Raphaël Varane unter die Lupe, dem Stützpfeiler der Abwehr des amtierenden Weltmeisters Frankreich.

Geht die prestigeträchtigste individuelle Auszeichnung der Welt nach Fabio Cannavaro im Jahr 2006 dieses Jahr erneut an einen Defensivspezialisten?

Raphaël Varane ist nach Hugo Lloris zweiter Kapitän der französischen Nationalmannschaft und hat bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in Russland eine neue Dimension erreicht. Während er bei Real Madrid oftmals nicht über die Rolle des Stellvertreters von Sergio Ramos hinauskam, hat der Innenverteidiger nun endlich die Hauptrolle besetzt, die Didier Deschamps in der französischen Abwehr eigens auf ihn zugeschnitten hat. Mit seinem guten Stellungsspiel, seiner präzisen Spieleröffnung, seiner Kopfballstärke und seinem schnellen Eingreifen hat der Akteur der "Königlichen" sein gesamtes Arsenal abgerufen.

"Ich halte Raphaël Varane für den besten Innenverteidiger der Welt", erklärte José Mourinho, der ihn seinerzeit zu Real Madrid geholt hatte, im Jahr 2014. Damals schien das Lob etwas übertrieben zu sein, doch heute scheint es, als sei der Portugiese der Zeit vier Jahre voraus gewesen. Und wenn Varane heute nicht der beste Verteidiger der Welt ist, wer war dann in diesem Bereich in den letzten zwölf Monaten besser?

Vier Jahre verfolgte ihn immer wieder dieselbe Aktion. Seit dem Viertelfinale der WM 2014 in Brasilien musste Varane sich wohl Hunderte von Malen anhören, er sei verantwortlich für das Ausscheiden seines Teams gegen Deutschland, da er ein Kopfballduell gegen Mats Hummels verloren hatte. Das dürfte jetzt abgehakt sein.

In einer ähnlichen Aktion, nämlich bei einem Kopfballduell nach einer Hereingabe, setzte er sich 2018 in derselben Phase des Wettbewerbs gegen die eisenharten und kampfstarken uruguayischen Verteidiger durch und beförderte die Kugel ins Tor von Fernando Muslera. Damit brachte er "Les Bleus" auf die Siegerstraße (2:0) und ließ diejenigen verstummen, die ihn 2014 kritisiert hatten. "Es sind vier Jahre vergangen. Meine Spieler haben sich entwickelt. Sie sind reifer, haben mehr Erfahrung. Genau das brauchen wir", erklärte der Trainer nach dem Abpfiff. "Am Ende der Partie habe ich zu ihm gesagt: 'Heute erlebst du den Umkehreffekt.' Manchmal lernt man in schwierigen Augenblicken das meiste."

Varane erlebte einen weiteren schwierigen Moment, als er aufgrund einer Oberschenkelverletzung wenige Wochen vor der UEFA EURO 2016 in Frankreich passen musste. "Das war eigentlich eher eine Entschädigung für die EURO 2016. Es war wirklich hart für mich, nicht dabei sein zu können", bekannte er am Tag nach seinem Treffer gegen die "Celeste" bei der WM in Russland.

Seine Abwesenheit ersparte ihm allerdings auch die Enttäuschung des verlorenen Finales vor heimischem Publikum und diente dem ehemaligen Akteur von RC Lens darüber hinaus als Motivation, weiter an sich zu arbeiten, um bei großen Turnieren auftrumpfen zu können. In der Saison 2017/18 wusste er auch in der UEFA Champions League zu glänzen, wo er mit Ausnahme des heiklen Viertelfinal-Rückspiels gegen Juventus Turin (1:3) eine herausragende Leistung ablieferte. Das gilt sowohl für das Achtelfinale gegen Paris Saint-Germain, als auch für das Halbfinale gegen den FC Bayern München und das Finale gegen den FC Liverpool. Mit vier Titeln ist Varane nun gemeinsam mit seinem Landsmann Karim Benzema der Franzose mit den meisten Erfolgen in diesem Wettbewerb. Darüber hinaus gewann er am Ende des Jahres zum dritten Mal die FIFA Klub-Weltmeisterschaft.