Samstag 19 März 2016, 11:14

Edgar: "Kanada braucht die WM-Qualifikation"

Auf die Frage, was der kanadische Fussball benötige, um die nächste Stufe zu erreichen, hat David Edgar eine klare Antwort parat: "Wir brauchen eine WM-Qualifikation. Ganz einfach!"

Der defensive Mittelfeldspieler sprach an einem kühlen Morgen vor dem Trainingszentrum von Sheffield United mit uns. Er hält mit seiner Meinung über die kanadische Männer-Nationalmannschaft, die sich derzeit auf die nächsten schweren WM-Qualifikationsspiele vorbereitet, nicht hinter dem Berg: Der nächste Schritt ist überfällig.

Die Frauen-Nationalmannschaft sorgt mit ihren Leistungen auf der Weltbühne für anhaltend hohe Erwartungen, und Edgar ist entschlossen, dem nachzueifern: "Auch wir, also das Männerteam, müssen solche Ergebnisse holen, denn die Fanbasis ist vorhanden", so der 28-Jährige. "Es geht in die richtige Richtung, aber wir müssen uns endlich qualifizieren. Ein knappes Scheitern darf es nicht mehr geben."

Nach einem guten Start in die Qualifikation für Russland 2018 mit vier Punkten aus den ersten zwei Spielen ist das Fundament für die Erfüllung dieses Traums gelegt. Seit der bislang einzigen Qualifikation für eine FIFA WM-Endrunde 1986, also ein Jahr bevor Edgar geboren wurde, kam Kanada nur noch ein einziges Mal in die Nähe einer neuerlichen Teilnahme, nämlich 1994 in den USA, als das Team das Playoff-Duell gegen Australien um den Einzug in die letzte Playoff-Runde im Elfmeterschießen verlor.

Die fussballerische Entwicklung Kanadas ist indes sehr vielversprechend. Mittlerweile sind zahlreiche Akteure dabei, die sich komplett in Kanada entwickelt haben. Für Edgar führte der Weg zum Erfolg damals hingegen zwangsläufig über Europa. Die Leidenschaft für den Fussball hat der in Ontario geborene Spieler von seinen englischen Eltern geerbt.

Sein Vater, dessen Markenzeichen ein unverkennbarer Schnurrbart war, hatte als Torhüter unter anderem für Newcastle United gespielt und auch seine Mutter stammte aus dem fussballbegeisterten Nordosten Englands. Edgar war ein ebenso talentierter Fussballer wie Eishockeyspieler. Es kam die Zeit, als er sich entscheiden musste zwischen Kanadas Nationalsport und dem weltweit beliebtesten Spiel.

Bei einer Reise nach England wurde dem damals 13-Jährigen klar, dass nicht die flache Gummischeibe sondern das runde Leder seine Bestimmung war. Als er dann noch die Gelegenheit bekam, sich den Magpies, dem Lieblingsklub der Familie anzuschließen, war die Entscheidung gefallen. Von nun an lebte er bei seiner Großmutter und fand sich schnell und problemlos im Nordosten Englands zurecht. Er sah sich selbst als "Wahl-Geordie", wobei der besondere Akzent der Region bis heute nur ansatzweise auf sein kanadisches Englisch abgefärbt hat.

Stammspieler in der U-20-Auswahl Drei Jahre später machte er sich bereits zu seinem ersten FIFA-Turnier auf den Weg, nämlich der FIFA U-20-Weltmeisterschaft – und das als 16-Jähriger, was viel über sein Talent aussagt. Er kam in den Vereinigten Arabischen Emiraten 2003 letztlich zwar nicht zum Einsatz, doch bis heute ist er einer von nur drei Spielern, die bei insgesamt drei FIFA U-20-Weltmeisterschaften dabei waren. Zwei Turnierteilnahmen können indes schon 140 Spieler vorweisen – ein weiteres Indiz dafür, wie hoch man sein Talent einschätzte.

"Diese Zahl ist eine nette Sache", sagt er. "Das Turnier war eine großartige Erfahrung für mich. Weiter hat es nie ein kanadisches Team gebracht. Wir kamen immerhin bis ins Viertelfinale und haben den Spaniern eine Verlängerung aufgezwungen. Ich erinnere mich noch an einen Spieler im zentralen Mittelfeld, bei dem ich mir sagte, der hat das Zeug dazu, ein Großer zu werden... sein Name war Andres Iniesta."

2005 in den Niederlanden kam Edgar in allen drei Partien der Kanadier zum Einsatz, ebenso auch weitere zwei Jahre später im eigenen Land, wo die Fussballbegeisterung des Publikums trotz der drei Niederlagen in drei Spielen groß war. Bei seiner Rückkehr nach sieben Jahren konnte Edgar deutlich erkennen, wie sehr sich die Popularität des Fussballs in Kanada entwickelt hatte und wie stark die Fundamente mittlerweile waren.

"2007 spielten wir im Stadion des FC Toronto, den es noch gar nicht gegeben hatte, als ich Kanada verließ", sagt er über das erste von mittlerweile drei kanadischen Teams, die in der Major League Soccer spielen. "Somit können sich unsere Talente jetzt im Land entwickeln und müssen nicht mehr nach Europa geschickt werden. Die Spieler bei uns sagen jetzt 'Ich will für den FC Toronto FC oder die Vancouver Whitecaps spielen.' Das ist fantastisch für den kanadischen Fussball und seine Entwicklung."

Acht Jahre nach der besagten FIFA U-20-Weltmeisterschaft wurde die Latte durch die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Kanada 2015 erneut ein großes Stück höher gelegt. Das Turnier zog die größten Zuschauermassen aller Zeiten an. Das Spiel der Gastgeber gegen England sahen nicht weniger als 54.000 Zuschauer im Stadion. Es war keine leichte Entscheidung, doch Edgar drückte die Daumen für Kanada. Die Zuschauerzahlen indes waren für ihn das beeindruckendste Erlebnis.

"Es war schon herausragend, wie viele Leute zu den Spielen kamen", meint er. "Das hat die Dinge ins rechte Licht gerückt. Sehr viele Menschen wollen miterleben, wie sich der Fussball entwickelt, und angesichts der Resultate der Frauen konzentriert sich bisher auch die Unterstützung größtenteils auf die Frauen." Und damit sind wir wieder bei der so dringend angestrebten WM-Qualifikation.

Lateinamerikanische Herausforderungen Im vergangenen Jahr erlebte die Mannschaft Höhen und Tiefen: In den letzten neun Spielen des Jahres kassierten die Kanadier nur zwei Gegentore und schafften einen Sieg gegen Honduras und ein Unentschieden in El Salvador. Dem gegenüber steht allerdings das enttäuschend frühe Ausscheiden beim CONCACAF Gold Cup. Doch letztlich sieht Edgar das Team auf dem richtigen Weg.

"Der Gold Cup war natürlich frustrierend", meint er im Rückblick. "Wir haben eigentlich gut gespielt, aber eben keine Tore geschossen. Der Trainer hat dafür gesorgt, dass wir jetzt ziemlich kompakt und gut organisiert stehen. Der Gold Cup war in gewisser Hinsicht eine Vorbereitung auf die WM-Qualifikation."

Die Gruppenphase begann für Kanada mit einem Duell gegen Honduras, das mit riesiger Spannung erwartet wurde, nachdem Kanada in der Qualifikation für Brasilien 2014 mit 1:8 gegen diesen Gegner verloren und damit erstmals in diesem Jahrhundert die Teilnahme an der abschließenden Sechserrunde verpasst hatte. "Natürlich wurde viel über das Spiel gegen Honduras geschrieben und noch mehr gesagt. Es ging letztlich nicht um Revanche. Trotzdem waren wir natürlich sehr froh, als der Schlusspfiff ertönte. Ich war bei dieser Niederlage selbst dabei. Das war wohl der schlimmste Moment meiner Karriere."

Nun steht für Kanada eine enorme Herausforderung auf dem Programm, nämlich zwei Partien gegen Mexiko. Seit den 1970er Jahren konnten die Canucks in der WM-Qualifikation kein Spiel gegen El Tri gewinnen. Seit Edgars Geburt ist ihnen nicht einmal ein Auswärts-Punktgewinn gelungen. Und trotz der unbestrittenen Klasse Mexikos herrscht im kanadischen Lager ein Selbstvertrauen, das eine Überraschung möglich erscheinen lässt. "Es brummt einfach, hier und im ganzen Land. Und eigentlich ist es doch so: Wir haben nichts zu verlieren."