Montag 28 Juni 2021, 17:48

Joyce Cook: Taten sagen mehr als Worte

  • Joyce Cook, die Leiterin der FIFA-Abteilung für Soziale Verantwortung und Ausbildung: Wir sollten den Beitrag der LGBTIQ+ Community zum Fussball feiern und anerkennen 

  • Die FIFA unterstützt ihre Mitglieder entschlossen im Kampf gegen Diskriminierung wegen sexueller Orientierung 

  • Wir müssen besser werden – und werden besser werden. 

Jedes Jahr ist der Pride-Monat im Juni ein Fest für die LGBTIQ+ Community, aber auch eine Gelegenheit, friedlich zu protestieren und das politische Bewusstsein für aktuelle Themen zu schärfen. 

Joyce Cook, die Leiterin der FIFA-Abteilung für Soziale Verantwortung und Ausbildung, spricht im Interview über das lange Engagement der FIFA für LGBTIQ+-Inklusivität und Diversität auf allen Ebenen innerhalb des Fussballs sowie den fortgesetzten Kampf gegen Diskriminierung auf der Welt. 

Wie wichtig ist die Förderung von Diversität und Inklusion für die Entwicklung des Fussballs? 

Beides geht Hand in Hand. Es kann das Eine nicht ohne das Andere geben. Aber wenn das der Fall sein soll, dann müssen wir auch dafür sorgen, dass Fussball überall zugänglich ist – offen und einladend, sicher und angenehm für alle. Es ist auch wichtig, die reiche Vielfalt des Spiels zu fördern und zu feiern. Als Hüter des globalen Fussballs nehmen wir diese Verantwortung bei der FIFA sehr ernst, indem wir unsere Stimme nutzen, um dieses Bewusstsein im Spiel und darüber hinaus zu erhöhen. 

Wie würden Sie den Fussball als diverse und repräsentative Gemeinschaft und seine Rolle für LGBTIQ+ Bewusstsein und Inklusion beschreiben?

Fussball ist unglaublich vielfältig. Schauen Sie sich doch nur die erfolgreichsten Mannschaften an – auf dem Platz und abseits davon. An der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2019 in Frankreich haben über 40 offen homosexuelle und bisexuelle Frauen teilgenommen. Superstars wie Megan Rapinoe und die Trainerin Casey Stoney fungieren als positive Vorbilder, auf die LBBTIQ+-Jugendliche, die mit ihrer Sexualität zu kämpfen haben, Bezug nehmen können und ein Gefühl von Stolz und Zugehörigkeit empfinden, anstatt Angst und unbegründete Scham zu haben. 

Wir müssen der Tatsache ins Auge sehen, dass es immer noch viel Bigotterie und Hass gegenüber der LGBTIQ+ Community gibt – und dass unser Sport noch nicht so einladend, offen und inklusiv ist, wie er sein sollte. Die jüngsten Ereignisse im Fussball und darüber hinaus haben uns dies vor Augen geführt. Wir müssen uns fragen, warum sich die meisten männlichen LGBTIQ+-Fussballer immer noch nicht in der Lage fühlen – zu viel Angst haben – offen über ihre Sexualität zu sprechen. 

Diskriminierung gründet sich größtenteils auf Angst und Unwissenheit, aber sie kann unsägliches Leid und Schmerz verursachen, sodass einige den Sport, den sie lieben, aufgeben oder, schlimmer noch, sich selbst verletzen oder sich sogar das Leben nehmen. Also gibt es nach wie vor sehr viel mehr zu tun. Dennoch gibt es zugleich auch eine Menge positiver Maßnahmen zur Bekämpfung von Homophobie und Diskriminierung sowie zur Förderung von Diversität und Inklusion im gesamten Spiel.

Wir sprechen ja oft von den Werten des Fussballs – von Teamwork, Respekt, Fairplay, von Toleranz und Freundlichkeit. Aber wir müssen diese Werte auch mit Leben füllen. Sonst kommen wir nicht voran. 

Was tut die FIFA gegen Diskriminierung der LGBTIQ+ Community? Und wo könnte sie noch mehr tun?

Wir sind uns unserer Verantwortung bei der Bekämpfung von Diskriminierung im Fussball vollauf bewusst. Das zeigen die 11 Ziele des FIFA-Präsidenten in seiner Vision 2020-2023 in aller Deutlichkeit.

Erst unlängst haben FIFA-Präsident und FIFA-Generalsekretärin gemeinsam ihre Unterstützung für #Pride 2021 kundgetan, indem sie zum ersten Mal in der 117-jährigen Geschichte der FIFA am Hauptsitz die Regenbogenfahne gehisst haben – eine kleine Geste, aber ein unglaublich symbolischer und stolzer Moment für viele im Fussball, mich und andere LGBTIQ+-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter, Familien und Unterstützer*innen eingeschlossen. 

Die Haltung der FIFA ist klar. Wir haben eine Null-Toleranz-Position gegenüber Diskriminierung, auch bei unseren Turnieren und Veranstaltungen. Vor der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2022™ in Katar etwa arbeitet die FIFA eng und in voller Kooperation mit Beteiligten zusammen, inklusive LGBTIQ+-Organisationen und Fangruppierungen, Sicherheitskräften beim Training, Betreuern und Spiel-Offiziellen in und um die Stadien sowie Polizeibehörden, damit alle Fans auch garantiert mit Respekt willkommen geheißen werden. Für künftige FIFA-Veranstaltungen sind diese Menschenrechtsauflagen zudem integraler Bestandteil des Bewerbungs- und Gastgeberverfahrens. 

Wie können Fussballstadien einladendere Umgebungen für LGBTIQ+ Spieler, Trainer, Mitarbeiter und Fans sein?

Bildung und Aufklärung ist der Schlüssel. Wir bieten unseren 211 Mitgliedsverbänden Orientierung und Beratung, um sie bei der Entwicklung ihrer nationalen Strategien und Maßnahmen auf der Grundlage des FIFA-Leitfadens für bewährte Praktiken im Bereich Diversität und Anti-Diskriminierung zu unterstützen. Wir fordern die Mitglieder der FIFA zudem nachdrücklich auf, gemeinsam mit ihren Fachleuten vor Ort maßgeschneiderte pädagogische Toolkits und Lösungen zu entwickeln. 

Diese Orientierung und Unterstützung soll dafür sorgen, dass Taten mehr sagen als Worte. Wir müssen die Wichtigkeit dieses Themas immer wieder unterstreichen und zeigen, dass wir alle gewinnen, wenn wir uns für Diversität und Inklusivität einsetzen. Als Symbol begrüßen wir auch den Regenbogen bei allen FIFA-Wettbewerben, sei es als Fahne, Aufwärmshirts, Schnürsenkel oder durch andere Ausdrucksformen. 

Sie nutzen soziale Medien, um LGBTIQ+-Bewusstsein zu fördern. Wie schätzen Sie persönlich die Einstellung der Gesellschaft zum Thema Inklusivität ein, im Fussball und auch sonst?

Ich erkenne den Wert sozialer Medien an, wenn es darum geht, Informationen auszutauschen und die Werte von Diversität und Inklusion breiter zu fördern. Ich bin immer sehr ermutigt, wenn ich sehe, wie offen, positiv und freundlich die überwiegende Mehrheit der Nutzer ist – ähnlich wie die große Mehrheit in unserem Sport. Das darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Belästigung und Missbrauch ein zunehmendes Problem in den sozialen Medien sind.

Ein Problem, das die FIFA in Zusammenarbeit mit ihren Mitgliedsverbänden und den Spielerinnen und Spielern selbst sehr ernst nimmt. Die Gesetzgeber und die Betreiber der Social-Media-Plattformen müssen mehr tun, um dieses Problem anzugehen, und wir setzen uns entsprechend dafür ein. 

Welche Geschichten haben Sie, was LGBTIQ+ im Sport angeht, am meisten beeindruckt?

Zum Beispiel die von Mara Gómez, die seit letztem Jahr die erste Trans-Frau ist, die in Argentinien professionell spielt, was ein großer Meilenstein ist. Oder die von Lily Parr, die sich schon in den 1920er Jahren für LGBTIQ+-Rechte einsetzte und damit ihrer Zeit weit voraus war. Und ich war, wie so viele im Sport, zutiefst bewegt, als Carl Nassib sich als erster offen schwuler NFL-Spieler geoutet hat. Das war ein sehr wichtiger und mutiger Schritt. Carls Handeln wird zweifellos Leben retten und vielen jungen Menschen im Sport Hoffnung geben. 

Leider wird es noch mehr Spieler und Persönlichkeiten wie Thomas Hitzlsperger brauchen – vor allem im Männerfussball – bis wir einen Zustand der "Normalität" erreichen, in dem Homosexualität wirklich keine große Sache mehr ist. Aber der Tag wird kommen. Daran habe ich überhaupt keinen Zweifel.

Und schließlich und endlich sollten wir niemals den Mut und das Leid vergessen, das andere ertragen haben – die Schultern, auf denen wir heute stehen, etwa die von Justin Fashanu, dem ersten offen schwulen männlichen Spieler in Großbritannien, der sich schließlich das Leben genommen hat. Wir müssen besser werden – und bei der neuen FIFA sind wir entschlossen, besser zu werden.

Wir müssen bereit und proaktiv sein, die Stimmen von Randgruppen zur Geltung zu bringen. Dazu gehören definitiv LGBTIQ+-Spieler, -Mitarbeiter und -Fans. Und wir müssen die enormen Beiträge feiern und anerkennen, die sie für den Fussball und für die Gesellschaft im Allgemeinen geleistet haben. 

Was hat es Ihnen persönlich bedeutet, die Regenbogenfahne stolz über dem Home of FIFA wehen zu sehen?

Es war ein historischer und stolzer Augenblick für die FIFA, unser Team und für mich. Für mich war es eine bedeutsame und authentische Bekräftigung unseres Engagements für Diversität und Inklusion und unseres Versprechens, die LGBTQI+ Community zu unterstützen. Bei der neuen FIFA ist jeder willkommen. Wir meinen das so, wie wir es sagen, und wir tragen diese Werte durch konkrete Handlungen und Maßnahmen, denen wir größte Bedeutung beimessen, das ganze Jahr über mit uns.