Mittwoch 12 Januar 2011, 14:01

Kristine Lilly: "Es war an der Zeit"

Wenn die USA im Juni und Juli zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft in Deutschland antreten, wird eine wahre Ikone des U.S.-amerikanischen Frauenfussballs nicht mehr dabei sein. Kristine Lilly, die bei allen fünf vorherigen Weltmeisterschaften dabei war und 1991 und 1999 mit ihrem Team das Siegerpodest erklomm, gab Ende vergangener Woche im Alter von 39 Jahren bekannt, dass sie sich aus dem aktiven Fussball zurückziehen werde. Der Abschied dieser Ausnahmespielerin, die es auf beeindruckende 352 Länderspieleinsätze brachte (das ist im Männer- und Frauenfussball Rekord) und 130 Treffer erzielte, wird sicher nicht nur in den USA, sondern in der ganzen Welt Wellen schlagen.

Lilly, die in Boston mit einem Feuerwehrmann verheiratet ist und eine kleine Tochter hat, wird sich nun mit ganzer Kraft dem Familienleben und der Mutterrolle widmen. Dabei wird sie sicherlich genauso engagiert zu Werke gehen wie im Laufe ihrer 24-jährigen Karriere als Mittelfeldregisseurin des U.S.-Teams. Die "Ironwoman" des Frauenfussballs und zweimalige Gewinnerin der olympischen Goldmedaille nahm sich Zeit für ein Exklusiv-Interview mit FIFA.com. Gesprächsthemen waren die bevorstehende WM in Deutschland, das Vermächtnis der U.S.-Frauen-Nationalmannschaft sowie ihre Dankbarkeit für ein Leben ganz im Zeichen des Fussballs.

Warum haben Sie sich entschlossen, Ihre drei Jahrzehnte andauernde Karriere in der Frauen-Nationalmannschaft der USA zu beenden?Es ist einfach so, dass die Zeit für mich gekommen ist. Die Leute wundern sich, warum ich sechs Monate vor der nächsten Frauen-Weltmeisterschaft in Deutschland Schluss mache, aber ich hatte einfach das Gefühl, dass es an der Zeit war, aufzuhören. Ich hätte mich wahrscheinlich durchkämpfen können, denn körperlich fühle ich mich noch fit, aber mir fällt einfach alles etwas schwerer. Also habe ich beschlossen, mir selbst Zeit bis zum Jahresende zu geben, um sicher zu sein, dass ich die Entscheidung ausgeruht und nicht nur aus einem Erschöpfungszustand heraus fälle. Aber es schien mir noch immer richtig zu sein.

Von Ihrem ersten Länderspieleinsatz als Highschool-Studentin im Jahre 1987 bis zu Ihrem letzten im November 2010 haben Sie die Entwicklung des Frauenfussballs aus erster Hand miterlebt und damit einen einzigartigen Einblick gewonnen. Welche Veränderungen gab es in dieser Zeit?Als ich angefangen habe, wusste niemand etwas über die U.S.-Nationalmannschaft. Jetzt haben wir eine Profiliga, Spiele auf College-Ebene werden im Fernsehen übertragen, und der Frauenfussball ist viel bekannter und beliebter. Wir müssen immer noch um mehr Aufmerksamkeit und Respekt kämpfen, aber das Spiel hat sich auf der ganzen Welt schon verbessert.

Ist bei all der positiven Entwicklung des Frauenfussballs auch etwas verloren gegangen?Vielleicht ist dieses Gefühl von harter Arbeit und Plackerei, mit dem wir aufgewachsen sind, heute nicht mehr ganz so ausgeprägt. Heutzutage wird den Spielerinnen schon ziemlich früh gesagt, dass sie gut sind. Das mag ja auch stimmen, aber sie müssen trotzdem erfolgshungrig und ehrgeizig bleiben und immer weiter kämpfen.

Wird es den Spielerinnen, die das U.S.-System durchlaufen, mittlerweile zu leicht gemacht?Nein, das würde ich nicht sagen. Diese Sportart ist auf höchstem Niveau für niemanden einfach, aber sie kämpfen einfach nicht mehr an allen Fronten wie wir damals. Für das Team, das Spiel, das Land – wir haben die ganze Zeit daran gearbeitet. Allerdings spielen die jüngeren Spielerinnen viel mehr Fussball als wir damals. Deshalb ist es auf andere Weise auch hart. Wenn man das Trikot der USA überstreift, muss man einfach kämpfen.

Sie waren bei allen fünf vorherigen Auflagen der Frauen-Weltmeisterschaft dabei und haben bei zweien den Titel gewonnen. Glauben Sie, dass Sie den Start der WM 2011 im Sommer in Deutschland mit gemischten Gefühlen verfolgen werden?Ich glaube nicht, dass es schwer für mich werden wird, weil ich mich derzeit an einem so guten Platz befinde. Ich weiß allerdings, dass es etwas ganz Besonderes ist, zu einer Mannschaft zu gehören, die bei der WM dabei ist. Ich hoffe, die Spielerinnen spüren das während der Vorbereitung und bei der WM selbst, denn die Deutschen werden alles geben.

Deutschland hat die letzten beiden Weltmeisterschaften gewonnen. Glauben Sie, dass die Deutschen den USA den Rang als bestes Frauenfussball-Team der Welt abgelaufen haben?Ich glaube, die USA haben noch immer die beste Mannschaft, und das werde ich auch immer glauben. Wir sind eine geschlossene Einheit und mit unserer Überzeugung und Einstellung können wir große Erfolge feiern. Es reicht nicht aus zu sagen, dass man der Beste ist. Man muss es auf dem Platz jedes Mal wieder beweisen. Die WM in Deutschland wird ein Härtetest für uns werden.

Gibt es etwas, dem Sie nachtrauern oder das Sie beim nächsten Mal anders machen würden?Es gibt da ein Ereignis, das mir immer wieder in den Sinn kommt und von dem ich mir wünsche, dass es anders gelaufen wäre: Das Spiel um die olympische Goldmedaille im Jahr 2000 in Australien. Wir hätten damals nach der ersten Halbzeit mit 4:0 gegen Norwegen führen sollen, aber der Ball wollte einfach nicht ins Tor. Wir hätten gegen unseren großen Rivalen nicht besser spielen können, aber am Ende haben wir verloren. Das ist mir immer noch ein Dorn im Auge.

Zu Ihren Mit- und Gegenspielerinnen zählten einige der ganz großen Stars des Frauenfussballs. Gibt es eine, die Sie als die Beste bezeichnen würden?Es ist unmöglich, eine einzige Spielerin herauszustellen. Da wären Mia , Akers, Julie und Carla Overbeck, die nicht nur tolle Mannschaftskameradinnen und Spielerinnen waren, sondern auch unglaubliche Führungspersönlichkeiten. Ich habe in der Nationalmannschaft gegen Maren Meinert gespielt, und in Boston war sie meine Teamkameradin. Was Marta mit dem Ball macht, ist einfach fantastisch, und auch die Norwegerin Hege Riise ist genial.

Wo wir gerade bei Marta sind, sie ist diese Woche zum fünften Mal in Folge als FIFA Weltfussballerin des Jahres ausgezeichnet worden. 2006 hat sie sich im Rennen um die Auszeichnung knapp gegen Sie durchgesetzt. Hat Marta den Frauenfussball auf ein neues Niveau gehoben?Als Einzelspielerin ist sie schon herausragend, aber Brasilien hat noch keine Titel gewonnen. Die USA haben als Mannschaft gewonnen, genauso wie Deutschland. Und da liegt der große Unterschied. Sie kann schon tolle Dinge mit dem Ball anstellen, aber ich kann nicht sagen, dass sie die Beste ist.

Es gab während Ihrer Zeit als aktive Spielerin nicht wenige Höhepunkte. Würden Sie einen davon besonders herausstellen?Ich finde, die Tatsache, dass ich so lange zum Team gehört und mit so hervorragenden Spielerinnen und Mannschaftskameradinnen zusammen gespielt habe, ist eigentlich das Beste von allem. Meine erste WM wird immer etwas Besonderes bleiben, und der Weltmeistertitel 1999, der die Frauenfussballlandschaft in den USA und den Frauensport in den USA und der ganzen Welt verändert hat, war natürlich auch fantastisch. Aber für mich ist es schon eine große Freude, auf die Zeit mit der Frauen-Nationalmannschaft der USA zurückzublicken.