Mittwoch 13 April 2011, 13:06

Stärker, schneller - und sicherer?

Bei der sechsten Ausgabe der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ wollen die weltbesten Spielerinnen erneut zeigen, wie stark sich der Frauenfussball spielerisch, taktisch und physisch verbessert hat. Die sportliche Entwicklung ist wirklich überaus erfreulich, hat aber auch eine Kehrseite. So ist die Zahl der Verletzungen bei Spitzenspielerinnen in den letzten Jahren massiv gestiegen - ein Trend, den die medizinischen Fachleute nun nicht nur stoppen, sondern umkehren wollen.

Seit 1998 sind die Teamärzte bei allen FIFA-Frauenwettbewerben aufgerufen, dem FIFA-Zentrum für medizinische Auswertung und Forschung (F-MARC) nach jedem Spiel einen detaillierten Verletzungsbericht abzugeben. Darin sollen sie nicht nur die Art der erlittenen Verletzungen angeben, sondern auch deren Ursache - zum Beispiel Körperkontakt mit einer anderen Spielerin oder Foul.

F-MARC liegen inzwischen umfassende Daten und Statistiken von nicht weniger als 13 internationalen Elitewettbewerben vor (drei FIFA Frauen-Weltmeisterschaften, drei Olympische Fussballturniere der Frauen und sieben Juniorinnen-Weltmeisterschaften). Gemäß diesen Daten liegt die Verletzungsquote im Frauenfussball noch immer leicht unter dem Wert der Männer: 2,3 Verletzungen pro Spiel gegenüber 2,5. Während die Rate bei den Männern in den letzten Jahren kontinuierlich zurückgegangen ist, hat sie sich bei den Frauen stark erhöht.

Der Anstieg war bei allen FIFA-Frauenwettbewerben zu beobachten und betraf nicht nur das Verletzungstotal, sondern auch die Zahl schwerer Verletzungen, die gemäß Definition mindestens einen Spiel- und Trainingsausfall zur Folge haben.

Die Zahl der Verletzungen ist zwar insgesamt gestiegen, doch gemäß F-MARC-Erhebungen handelt es sich zumeist um leichtere Blessuren. In zwei Dritteln der Fälle konnten die Frauen nach einer kurzen Pause weiterspielen. Und selbst bei den Verletzungen, die einen Spiel- und Trainingsausfall zur Folge hatten, war eine Pause von maximal sieben Tagen nötig.

Ausgeprägt war die Zunahme insbesondere auch bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft. Während der Durchschnitt 1999 und 2003 noch bei 1,3 bzw. 1,7 Verletzungen pro Spiel lag, betrug er 2007 in China bereits 2,3. Bei den Männern war währenddessen genau das Gegenteil festzustellen. Nach einem Schnitt von 2,7 und 2,3 in den Jahren 2002 und 2006 fi el die Quote 2010 in Südafrika unter die symbolische Marke von zwei Verletzungen pro Partie (1,9).

Athletik gleich mehr Verletzungen? Die bessere Fitness und Athletik der Spielerinnen und das höhere Spieltempo mögen eine Rolle gespielt haben, sind aber sicher nicht der Hauptgrund, denn ein direkter Zusammenhang zwischen sportlicher Leistung und Verletzungsrate ist laut den medizinischen Experten der FIFA keineswegs erwiesen, zumal die Werte bei den Männern von Jahr zu Jahr sinken.

"Das höhere Tempo und die zunehmende Spieldynamik mögen einen Einfluss gehabt haben, aber sie sind wahrscheinlich nicht der einzige Grund", betont FIFA-Chefarzt Prof. Jiri Dvorak. "Verletzungen haben in der Regel mehrere Ursachen, die es alle zu berücksichtigen gilt."

Aus diesem Grund konzentriert sich F-MARC bei seiner Forschung nicht nur auf die Verletzungsquote, sondern geht auf alle Aspekte ein, die für Verletzungen eine Rolle spielen können. Durch Analyse der genauen Natur und des detaillierten Verletzungshergangs will F-MARC den Ursachen der häufigsten Verletzungen auf die Spur kommen und so wirkungsvolle Vorbeugemassnahmen entwickeln.

Am häufigsten waren Beinverletzungen - betroffen waren besonders Knöchel, Knie und Oberschenkel -, gefolgt von Kopfverletzungen. Dies entspricht in etwa dem Bild bei den Männern. Allerdings erleiden die Frauen mehr Gehirnerschütterungen und Bänderverletzungen im Knie. Verletzungen des hinteren Kreuzbandes sind bei den Frauen gar zehnmal häufiger als bei den Männern. Am häufigsten sind bei den Frauen aber Knöchelverstauchungen.

Nicht nur die Ursachen, sondern auch der genaue Verletzungshergang liefert wertvolle Aufschlüsse zur Senkung der Verletzungsraten. Aus den Berichten der Teamärzte geht hervor, dass etwa 80% der Verletzungen bei FIFA-Frauenwettbewerben Folge eines Zweikampfs oder eines anderen Körperkontakts sind. Nur rund 20% der Verletzungen erfolgen ohne Kontakt mit einer anderen Spielerin.

Gemeinsames Handeln Da die allermeisten Verletzungen Folge eines Körperkontakts sind, müssen alle ihren Beitrag leisten, um die Zahl zu senken. Gefordert sind neben den medizinischen FIFAExperten auch die Spielerinnen, Trainer und Schiedsrichterinnen. Nur alle gemeinsam können für mehr Fairness sorgen und gefährliche Fouls wie Ellbogenstöße und Hineingrätschen von hinten oder der Seite verhindern (siehe "Vier goldene Regeln zur Verletzungsprävention").

Das fängt schon vor dem Spiel an. So sollten die Teams zur Spielvorbereitung konsequent fussballspezifische Aufwärmprogramme absolvieren, da sich diese bei der Prävention von Verletzungen ohne Körperkontakt als besonders wirkungsvoll erwiesen haben. Glücklicherweise sind es nicht mehr nur die Teamärzte, sondern auch Trainer und Spielerinnen, die den Nutzen solcher Programme erkannt haben. Bei richtiger Ausführung helfen sie nicht nur Verletzungen zu vermeiden, sondern steigern auch die Fitness und Belastbarkeit im harten Meisterschafts- und Turnieralltag.

"Bei den Frauen gibt es immer mehr Verletzungen", erklärt Hope Powell, Cheftrainerin der englischen Frauenauswahl. "Wir müssen uns daher auch Gedanken um die körperliche Belastung der Spielerinnen machen. Die Spielerinnen können das Verletzungsrisiko mindern, wenn sie in ihr Konditionstraining auch Kraft-, Gleichgewichts-, Beweglichkeits- und Stabilitätsübungen einbauen und diese tagtäglich absolvieren."

Das FIFA-Programm "11+" wurde genau zu diesem Zweck entwickelt. Als komplettes Aufwärmprogramm zur Verletzungsprävention hat es bereits bemerkenswerte Erfolge erzielt. Eine Studie mit fast 2.000 Jugendspielerinnen hat zum Beispiel ergeben, dass Teams, die mindestens zweimal pro Woche die Übungen von "11+" absolvieren, 30 bis 50% weniger Verletzungen zu beklagen haben als solche, die ihre herkömmlichen Aufwärmübungen machen.

Besonders wirkungsvoll könnte "11+" langfristig bei der Prävention der angesprochenen Verletzungen des hinteren Kreuzbandes sein. Ein vollständiger Riss des hinteren Kreuzbandes kann eine Pause von über sechs Monaten bedeuten und oftmals auch Spätfolgen wie frühe Osteoarthritis mit sich bringen. 70% aller Bänderrisse erfolgen ohne Körperkontakt. Ursache sind zumeist typische Fussballbewegungen wie blitzartiges einbeiniges Abbremsen, plötzliche Richtungswechsel oder Landung nach einem Sprung mit getreckten Knien und Hüften. Mit den Übungen von "11+" lernen die Spielerinnen, solche Bewegungen ohne größere Verletzungsgefahr auszuführen.

Voraussetzung ist aber auch hier, dass Mediziner, Spielerinnen, Trainer und Unparteiische eng zusammenarbeiten. Nur so lässt sich die Zahl der Verletzungen sowohl mit als auch ohne Kontakt beträchtlich senken.

"Egal, was der Hauptgrund für den Anstieg der Verletzungen im Frauenfussball auch sein mag, wir müssen alles tun, um diese Entwicklung umzukehren", sagt Dr. Michel D’Hooghe, Vorsitzender der Medizinischen Kommission der FIFA und Mitglied des FIFA-Exekutivkomitees. "Wir wollen, dass die Frauen den Fussball in vollen Zügen genießen können und nicht an seinen Nachteilen leiden. Dank der Forschung von F-MARC können wir den Spielerinnen heute wirkungsvolle Schutzinstrumente bieten."

Dank der breitgefächerten und koordinierten Arbeit der medizinischen FIFA-Experten besteht die Hoffnung, dass die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft in diesem Jahr eine Trendwende bringt und die Zahl der Verletzungen im Frauenfussball endlich wieder sinkt.