Sonntag 26 Mai 2019, 07:47

Teamreporter stellen sich vor: Chile

Bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Frankreich 2019™ werden erstmals in der Turniergeschichte 24 Teamreporter eine zentrale Rolle in der Berichterstattung einnehmen. Sie liefern fachkundige Einblicke und Hintergrundberichte zu jedem der teilnehmenden Teams.

Bis zum Turnierstart werden einige dieser Teamreporter über ihre Geschichte und ihre Erwartungen an das bevorstehende Weltereignis berichten. Dieses Mal ist Cecilia Lagos an der Reihe, eine erfahrene Moderatorin, die das Team aus Chile bei seiner ersten Teilnahme an einer FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ begleiten wird.

Cecilias Geschichte

Meine Liebesgeschichte mit dem Fussball begann, als ich gerade fünf Jahre alt war, nämlich bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 1982™. Der chilenische Stürmer Carlos Caszely verschoss in der Gruppenphase einen Strafstoß gegen Österreich. Tagelang hörte und las man danach immer und überall das Wort "penal" – im Radio, im Fernsehen, in den Zeitungen, in der Familie – einfach überall.

Das machte mich unglaublich neugierig. Was mochte dieses Wort "penal" nur bedeuten? Ich beschloss, den Rest der WM zusammen mit meinem Vater zu schauen. Nach einer Weile wurde mir klar, dass jedes Mal, wenn der Kommentator "penal" sagte, bestimmte Dinge vorausgegangen waren. Also fragte ich meinen Vater: "Papi, ist es ein "penal", wenn ein Spieler in der Nähe des Tores zu Boden geht?" "Ja, mein Mädchen. So etwas in der Art", meint er nur kurz. Der Rest ist Geschichte.

Als ich elf war, wusste ich, dass ich unbedingt Sportjournalistin werden wollte. Aber 1988 war das zumindest in Chile ungefähr so, als spräche man darüber, im 16. Jahrhundert mit Computern zu arbeiten.

Ich wollte auch selbst Fussball spielen. Ich war naiv genug zu glauben, ich könnte einfach in die Nachwuchsabteilung meines Lieblingsklubs marschieren und zusammen mit den Jungs trainieren. Als ich 13 war, ging meine Mutter kurzerhand mit mir zur Geschäftsstelle. Der Mann an der Rezeption lachte nur kurz und meinte, daraus werde wohl nichts. "Aber ich werde den Leiter der Nachwuchsakademie trotzdem fragen und Sie dann zurückrufen", sagte er. Das passierte natürlich nicht. Wir selbst mussten ihn mehrere Wochen später wieder anrufen. Er wimmelte uns ab uns meinte, die Antwort sei "Nein". Uns war klar, dass er überhaupt nicht gefragt hatte. Damit waren meine Ambitionen beendet, Fussballerin zu werden.

Aber ich war fest entschlossen, mindestens einen meiner Träume wahr zu machen. Also habe ich mit 14 angefangen, eine Fussballkolumne zu schreiben. Sie wurde im Sportteil einer der beliebtesten landesweiten Tageszeitungen Chiles veröffentlicht. Mittlerweile arbeite ich seit 30 Jahren als Sportjournalistin für Radio, Fernsehen, digitale Medien und die Presse. Ich habe für einige der größten nationalen und internationalen Anbieter gearbeitet.

jddkfeq0ucjynco2t1ug.jpg

Aber erst nachdem ich als erste und bis heute einzige weibliche Journalistin zur Hauptsendezeit im nationalen Fernsehen die Fussball-Highlights präsentiert und kommentiert hatte, wurde mir wirklich klar, welche Konsequenzen es haben kann, wenn man es als Frau 'wagt', über das schönste aller Spiele zu sprechen. Ich musste mich mit schweren Beleidigungen, Drohungen und Hassbotschaften so genannter Fans auseinander setzen, aber auch seitens Kollegen gab es Kritik. Manche beleidigten oder verurteilten mich in den Sozialen Medien, ohne mich überhaupt zu kennen.

Es war aufreibend. Zum ersten Mal in meinem Leben dachte ich ernsthaft darüber nach, aufzugeben. Ich fühlte mich wie in einem Käfig gefangen – bis ich zurückgeschlagen habe. Ich bin eine Kämpfernatur und konnte meine Träume nicht so einfach unerfüllt lassen. Daher habe ich mit 40 beschlossen, nach Europa zu gehen und dort meine Ambitionen weiterzuverfolgen. Die Zeit hat mir Recht gegeben.

Barrieren überwinden

Ganz allmählich verbessert sich die Lage des Frauenfussballs in Chile, doch von einer idealen Situation sind wir noch Lichtjahre entfernt.

Deswegen ist die erstmalige Qualifikation der Roja für eine FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ auch so überaus bedeutend. Man muss sich nur kurz vor Augen führen, dass Chile zuvor zwei Jahre lang überhaupt nicht in der FIFA/Coca-Cola-Frauen-Weltrangliste in Erscheinung trat.

Jetzt aber sorgt die Nationalmannschaft für eine enorme Aufmerksamkeit rund um den Frauenfussball. Die Stadien sind voll, die Zuschauerzahlen im TV auf Rekordhöhe und Kinder, Mädchen wie Jungen, sehen sie als Stars.

Es ist großartig, dass die jungen Generationen so positiv reagieren – in einem Land, in dem der Frauenfussball größtenteils noch im Amateurbereich stattfindet. Ich bin sicher, dank Chiles Teilnahme an der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft werden viele Mädchen, die den Fussball lieben, eine Karriere anstreben. Sie werden ihren Traum verfolgen, weil sie sehen, dass es tatsächlich möglich ist.

Ich erwarte, das dieses Turnier ein echter Wendepunkt für die Sichtbarkeit des Frauenfussballs wird, in Chile und rund um die Welt. Ich halte diese Sichtbarkeit für den Schlüsselfaktor.

Ich werde zum ersten Mal bei einer WM vor Ort dabei sein und freue mich riesig darauf, diese jungen chilenischen Frauen zu begleiten, die Fussballgeschichte schreiben. Ich empfinde große Dankbarkeit und freue mich sehr. Ich kann es kaum erwarten, den aufregenden Weg des Teams mit den Menschen in der Heimat und der ganzen Welt zu teilen.