Donnerstag 09 Juni 2022, 10:00

Andonovski: "Die USA hat eine rosige Zukunft vor sich"

  • Vlatko Andonovski, Trainer des Frauennationalteams der USA, im Gespräch mit FIFA+

  • Lektionen aus Olympia-Auftritt und nachfolgende Änderungen am Team 

  • Ausblick auf die WM-Quali bei der bevorstehenden Concacaf-Endrunde

Das Traineramt des Frauennationalteams der USA ist wohl das prestigeträchtigste im Frauenfussball und gleichzeitig auch das anspruchsvollste. 

Als Vlatko Andonovski das Amt 2019 übernahm, war ihm das sehr wohl bewusst. Schließlich musste seine Vorgängerin Jill Ellis sich immer wieder Anfeindungen gefallen lassen, obwohl sie das Team bei zwei FIFA Frauen-Weltmeisterschaften in Folge zum Titel geführt hatte. Er wusste auch, dass Ellis' Nachfolger Tom Sermanni nach 24 Spielen entlassen worden war, obwohl er davon 18 gewonnen und nur zwei verloren hatte. 

Andonovski war sich der hohen Erwartungen bewusst und akzeptierte sie. Außerdem war ihm klar, dass er ein Team von Doppelweltmeisterinnen übernehmen würde, von denen viele bereits jenseits der 30 waren. Daher würde er nach und nach einige der beliebtesten und erfolgreichsten Spielerinnen des Landes ersetzen müssen. Er selbst sagt dazu: "Ich wusste, worauf ich mich einlasse."

Trotz all dieser Aspekte, die durchaus Katastrophenpotenzial hatten, legte Andonovski einen perfekten Start hin und gewann 22 seiner ersten 23 Spiele. Das verbleibende endete mit einem Remis. Dann kamen die Olympischen Spiele 2020 in Tokio.

Die USA waren hoch favorisiert und starteten dann mit einer 0:3-Niederlage gegen Schweden ins Turnier. Im Halbfinale machte dann eine seltene, glanzlose Niederlage gegen Kanada sämtliche Gold-Hoffnungen zunichte. Natürlich stand der Trainer damit im Fokus. Und natürlich war Andonovski auch jetzt wieder bewusst, dass er mit seinem Scheitern die größte Sünde begangen hatte, die ein US-Nationaltrainer begehen konnte. 

Der USWNT-Trainer Vlatko Andonovski während einer Teamansprache.

Doch acht Monate später ist der 45-Jährige noch immer im Amt. Er hat seine Position sogar gestärkt, indem er in den zwölf folgenden Spielen mit seinem Team keine einzige Niederlage mehr kassierte und den kniffligen Generationswechsel schneller vorangetrieben hat.

Nach dem Titelgewinn beim SheBelieves Cup mit einer jungen, runderneuerten Auswahl bereitet der Coach sein Team nun auf den bislang größten Härtetest vor: die WM-Qualifikation. Andonovski, der seine Aufmerksamkeit bereits ganz auf die hochkarätige Concacaf-Meisterschaft der Frauen gerichtet hat, spricht im Interview mit FIFA+ über die Lektionen aus Tokio, Rivalen auf der anderen Seite des Atlantiks und seine Zukunftshoffnungen.  FIFA+: Mir ist bewusst, dass ein Großteil der Lektionen nur für die interne Aufarbeitung bestimmt ist, aber was können Sie uns über die Lehren sagen, die Sie aus dem Olympia-Auftritt gezogen haben? Vlatko Andonovski: Das war wirklich heftig für uns, besonders der Start. Ich fand tatsächlich, dass es eine große Leistung war, überhaupt noch eine Medaille zu gewinnen, wenn man die Ereignisse und unseren Start berücksichtigt. Wir haben das Ganze schließlich als Chance begriffen, etwas zu lernen, und versucht, uns auf dieser Basis weiterzuentwickeln. Uns wurde bewusst, dass wir einige Veränderungen vornehmen mussten und deshalb ist es zu den aktuellen Umstellungen im Team gekommen. Wir haben nicht plötzlich grundlos entschieden, dass wir junge Spielerinnen ins Team bringen wollten. Wir wussten, dass wir Spielerinnen brauchten, die 90 Minuten am Stück mit wirklich hohem Tempo durchhalten und die Aufgaben übernehmen können, die die von uns gewünschte Spielweise ihnen abverlangt. Deshalb sind einige Spielerinnen, die Sie jetzt sehen, ins Team gekommen. Sie entsprechen dem Profil, das wir haben wollen. Sind Sie zufrieden mit der Unterstützung, die Sie seit Tokio innerhalb des Teams und des Verbands erhalten haben? Schließlich war im Vorfeld eine andere Medaille erwartet worden. Ich muss sagen, dass ich vor allem vom Verband herausragende Unterstützung bekommen habe. Wenn die USA auf der Weltbühne antreten – bei den Olympischen Spielen oder bei der WM – wird immer ein Sieg erwartet, und zwar ein grandioser. Wenn du das Olympische Turnier nicht gewinnst, weißt du nie, wo du stehst. Aber ich wurde vom Geschäftsführer, vom technischen Direktor und anderen wirklich gut unterstützt. Es geht aber nicht nur um Unterstützung für mich persönlich. Ich habe auch für den weiteren Prozess und den Generationswechsel im Vorfeld der Concacaf-Meisterschaft und der WM große Unterstützung erhalten. Auch die Unterstützung durch die Spielerinnen im Trainingslager ist großartig. Wir haben einfach einen kleinen Unterschied in Bezug auf den Erfolgshunger dieser Spielerinnen gesehen und ich glaube, dass wir dadurch unser Niveau steigern konnten. Bis jetzt ist alles gut gelaufen. Jetzt müssen wir schauen, wie es beim ersten echten Test ausschaut.

Wie schwierig ist es, den Generationswechsel umzusetzen, wenn die erfahrenen Spielerinnen Doppelweltmeisterinnen und beliebte nationale Persönlichkeiten sind?Es ist schon schwierig, andererseits aber auch nicht, weil es ein ganz natürlicher Vorgang ist. Die Leute sehen ja auch, dass wir nicht einfach junge Spielerinnen auswählen, weil sie jung sind, sondern weil sie gut sind. Schauen Sie sich Cat Macario an. Sie gehört zu den besten Torschützinnen der Champions League und jetzt auch des Nationalteams. Bei den anderen sieht es ähnlich aus. Sie haben bewiesen, dass sie einen Platz in diesem Team verdienen. Wir sprechen hier nicht von Spielerinnen, denen man etwas 'geben' muss. Sie haben sich bisher jede Minute verdient und ich zweifle nicht daran, dass sie sich noch viel mehr verdienen werden. Ist Ihnen bewusst, dass einige Ihrer Gegner nach den Ereignissen in Tokio gegen die USA vielleicht Chancen wittern? Und sind Sie zuversichtlich, dass Ihr Team dieselbe Reaktion zeigen wird wie andere US-Nationalteams zuvor? Wissen Sie, ich habe schon vorher gehört, dass andere Teams Chancen wittern und den USA näher auf den Pelz rücken. Für mich sind die meisten Länder uns schon seit langem eng auf den Fersen. Wenn Sie sich das Ganze anschauen, sehen Sie, dass die USA von 1999 bis 2015 keine einzige WM gewonnen haben. Also müssen andere Teams in dieser Zeit wohl auf ziemlich hohem Niveau gespielt haben. Aber es stimmt, dass die USA 2015 einen Weg gefunden haben, sich an die Spitze zu setzen. Das ist auch 2019 wieder gelungen. Und das ist das Gute an diesem Team: Es findet einen Weg. Wenn wir den Druck von außen spüren und mit dem Rücken an der Wand stehen, dann zeigen wir unser wahres Gesicht. Was sagen Sie zum jüngsten Finale der UEFA Women's Champions League, in dem sich Olympique Lyon mit zwei Ihrer Spielerinnen, nämlich Catarina Macario und Lindsey Horan, bravourös durchgesetzt hat? Das war wirklich super für die beiden. Leider konnte ich beim Finale nicht vor Ort sein. Einer meiner Trainerkollegen war dort, aber ich war beim Halbfinale in Paris dabei, und das war auch ein großartiges Spiel. Es ist toll zu sehen, dass Cat und Lindsey erfolgreich sind und ein großes Turnier gewinnen. Ich freue mich wirklich, wenn meine Spielerinnen solche großen Momente genießen können. Aber auch für mich persönlich war es ein tolles Erlebnis, in Paris beim Halbfinale dabei zu sein, die Spiele im Fernsehen zu verfolgen und die Atmosphäre und den Support der Fans zu sehen, den es bei diesen Spielen jetzt gibt. Die Halbfinals mit 91.000 Zuschauern in Barcelona und mehr als 40.000 in Paris machen deutlich, wie viel Support und echte Begeisterung mittlerweile für den Frauenfussball da ist. Ich war stolz, ein Teil davon zu sein.

Lindsey Horan und Catarina Macario von Olympique Lyon feiern den Sieg nach dem Finale der UEFA Women's Champions League.

Finden Sie, dass Spielerinnen wie Horan und Macario, die nach Europa gewechselt sind, von diesen Erfahrungen profitieren, wenn sie zum Nationalteam zurückkehren?Auf jeden Fall. Aber ich wurde schon gefragt, was für die Spielerinnen besser ist: Ist es besser, nach Europa zu gehen? Oder sollten sie in der NWSL bleiben? Sollen sie das College besuchen? Oder das College verlassen? Ich antworte dann immer, dass es keine allgemeingültige Antwort gibt, keine Form, die für alle Spielerinnen passt. Ich habe erlebt, dass einige Spielerinnen mehr Zeit im College verbringen müssen, während andere so schnell wie möglich wegkommen müssen. Gleiches gilt für Europa und die NWSL. Jede Spielerin muss herausfinden, was am besten für sie ist. Cat Macario ist ein Paradebeispiel dafür, wie großartig Europa unter den richtigen Umständen sein kann. Sie ist zu Lyon gewechselt, hat sich einen Stammplatz erkämpft und sich langsam aber sicher zu einer unglaublichen Spielerin entwickelt.  Sie haben ja aus erster Hand miterlebt, wie stark Schweden in Tokio war, und ein Team wie Spanien geht als Mitfavorit in die EURO. Wenn sie dann noch die Entwicklung des Vereinsfussballs in Europa sehen, glauben Sie, dass Sie im Kampf um den Weltmeistertitel mehr potenzielle Rivalen haben als je zuvor? Ich habe immer gefunden, dass sehr viele Teams – fast alle unsere Gegner – die USA als großen Rivalen betrachten. Wie Sie gerade sagten, haben wir gegen die Schwedinnen gespielt und gesehen, was für ein unglaublicher Gegner sie sind. Aber auch wenn wir gegen England, Frankreich, Deutschland, Holland, Italien oder wen auch immer spielen, scheinen wir immer das Beste aus diesen Teams herauszuholen. Das ist gut für uns, weil es uns helfen wird, uns als Team weiterzuentwickeln und das Beste aus uns selbst herauszuholen. Wir werden 2023 ohne Zweifel gegen einige sehr starke Gegner antreten müssen – und es werden viele sein. Aber wir freuen uns darauf.

Carli Lloyd, die Nummer 10 vom USWNT, sieht niedergeschlagen aus.

Zunächst steht natürlich die Concacaf-Meisterschaft auf dem Programm. Wir haben zwar gerade über Europa und das immer höhere Niveau des Frauenfussballs dort gesprochen, aber der amtierende Weltmeister und der Gewinner der olympischen Goldmedaille kommen aus Ihrer Region ... Das stimmt, und wir konzentrieren uns im Augenblick wirklich auf diese Concacaf-Meisterschaft, weil wir wissen, dass wir nicht bei der WM dabei sein werden, wenn wir dieses Turnier nicht meistern. Die Tatsache, dass es in Mexiko stattfindet, macht die Sache noch schwerer für uns. Aber dadurch wird es auch spannend, denn ich finde, dieses junge Team muss so schnell wie möglich mit widrigen Umständen konfrontiert werden. Die WM darf nicht das erste Turnier sein, bei dem es Gegenwind bekommt. Dass Mexiko in unserer Gruppe ist und wir in einem Stadion voller Fans antreten werden, die alle gegen uns Stimmung machen, reizt mich wirklich sehr. Ich glaube, die meisten Spielerinnen, die wir mit dorthin nehmen werden, haben so etwas noch nicht erlebt. Das ist eine gute Chance zu lernen. Ich hoffe nur, dass wir am Ende einen gewissen Erfolg verbuchen können. Wenn wir einmal vom Härtetest gegen Gastgeber Mexiko absehen, könnte man dann auch sagen, dass ein mögliches Aufeinandertreffen mit Kanada in der K.-o.-Phase aufgrund des Sieges gegen Ihr Team in Tokio noch an Brisanz gewonnen hat? Ja. Kanada hat sich zu einem der besten Teams der Welt entwickelt. Es ist gut, dass dieses Team zu unserer Konföderation gehört, weil wir wissen, dass Spiele gegen die Kanadierinnen immer hart sein werden – unabhängig davon, wo sie stattfinden und was auf dem Spiel steht. Die Rivalität zwischen den USA und Kanada war schon immer groß und wird jetzt sogar noch größer. Dieses Jahr finden auch die FIFA U-20- und U-17-Frauen-Weltmeisterschaften statt. Die US-Teams sind bei beiden Turnieren als Concacaf-Meister dabei. Stimmt Sie das hoffnungsvoll für die Zukunft, auch mit Blick auf die Nachwuchsspielerinnen, die Sie in das A-Team integrieren? Tatsächlich glaube ich, dass die Zukunftsaussichten der USA rosiger sind als je zuvor. Ich hatte Gelegenheit, mir einige Spiele der U-20- und U-17-Teams anzuschauen, und die Mädchen auf diesem Niveau sind heute vollständigere Spielerinnen als früher. Als ich vor 20 Jahren als Trainer anfing, wurde ein- oder zweimal pro Woche trainiert und am Wochenende gab es ein Spiel. Die aktuellen U-17-Nationalspielerinnen trainieren vier- oder fünfmal die Woche und es gibt Einzeltraining, technisches Training, Krafttraining, das volle Programm. Außerdem wachsen diese Spielerinnen in einem echten Fussballumfeld auf. Sie schauen Fussball, reden über Fussball, weil es um sie herum viel mehr Fussball gibt als für die Spielerinnen vor 20 Jahren. Wenn ich heutzutage in den USA den Fernseher einschalte, läuft eigentlich immer irgendein Fussballspiel, sei es MLS, NWSL, Premier League, Bundesliga, mexikanische Liga oder was auch immer. Im Fernsehen läuft immer Fussball, und das war vor 20 Jahren definitiv nicht der Fall. Auf jeden Fall hilft es jungen amerikanischen Spielerinnen, sich zu kompletten Fussballerinnen zu entwickeln.

Das Team der USA feiert mit dem Siegerpokal nach dem Sieg im Endspiel zwischen Mexiko und den USA im Rahmen der Concacaf-U17-Frauenmeisterschaft 2022.