Dienstag 27 August 2019, 11:00

Sundhage: "Ich habe zugesagt, ohne irgendwelche Fragen zu stellen"

  • Pia Sundhage verrät, dass sie in ihrer Jugend ein großer Fan von Pelé war

  • Die Schwedin erzählt über die ungewöhnliche Annahme der Stelle als Nationaltrainerin Brasiliens

  • Sie spricht über Megan Rapinoe, Cristiane und ihre 'Geheimnisse' mit Marta

In den 1960er Jahren gab es Gerüchte, dass Brasilien erstmals einen ausländischen Nationaltrainer anheuern könnte. Doch letztlich wurde Bela Guttmann der Job nicht angeboten. Ebenso wenig Johan Cruyff zu den Glanzzeiten Romarios, José Mourinho oder auch Pep Guardiola, obgleich er händeringend darum bat, Brasilien bei der Heim-WM zu betreuen.

Es sollte fast 60 Jahre dauern, bis es nach diesen ersten Spekulationen so weit war: Nun sitzt tatsächlich erstmals eine nicht aus Brasilien stammende Person auf der Trainerbank des südamerikanischen Landes, und kurioserweise wurde diese Person ungefähr in der Zeit geboren wurde, als die Gerüchte über Guttmann erstmals aufkamen. Pia Sundhage, die in Schweden aufwuchs, als die Begeisterung über Stars wie Garrincha und Pelé am stärksten grassierte, übernahm die Leitung des Teams nach der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Frankreich 2019™.

FIFA.com traf sich mit der 59-Jährigen, die das Team der USA zwei Mal in Folge zur Olympischen Goldmedaille führte, und sprach mit ihr über ihr großes Idol Pelé, ihren Status als erste ausländische Trainerin Brasiliens und ihre Begeisterung, Trainerin von Marta zu sein.

Pia, Sie wuchsen als großer Fan von Pelé auf, stimmt das? Nun, beim Thema Fussball kommt einem jedenfalls zuallererst Brasilien in den Sinn. Mein Name ist Pia, aber früher nannte ich mich selbst Pelé. Ich fand, das war fast das Gleiche. Und als ich etwas älter war, hatte ich drei große Idole, nämlich Cruyff, Pelé und Beckenbauer.

Was für ein Gefühl ist es, die erste ausländische Trainerin eines derart fussballbegeisternten Landes zu sein? Das ist eine Riesensache. Und zwar in vielen Aspekten, nicht nur, weil ich für ein fantastisches Team mit technisch hochklassigen Spielerinnen verantwortlich bin. Es zeigt, dass es auch Frauen möglich ist, einen Job im Ausland zu bekommen – selbst in Brasilien. Ich sehe mich daher gern als eine Art Vorbild oder Botschafterin. Für mich persönlich ist es großartig, und ebenso auch für den Frauenfussball.

Wie kam es dazu? Ich fand es ziemlich lustig: Mir wurde schon gratuliert, bevor überhaupt ein offizieller Kontakt hergestellt war! Dann kam ein Anruf vom brasilianischen Fussballverband CBF und Frauenfussballkoordinator Marco Aurelio Cunha fragte mich einfach direkt heraus, ob ich interessiert wäre, Trainerin der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft zu werden. Ich sagte nur ein einziges Wort: 'Ja!' Und das war es auch schon. Ich habe zugesagt, ohne irgendwelche Fragen zu stellen. Ich wollte die Aufgabe einfach übernehmen. Brasilien ist der Inbegriff des Fussballs. Alles dreht sich um den Fussball, einfach großartig. Erst als ich aufgelegt hatte, schoss mir dann durch den Kopf, dass ich vielleicht doch besser einige Fragen gestellt hätte: "Wie viele Jahre, wie sieht der Vertrag aus, und so weiter (lacht). Aber das Gefühl, als mir diese wundervolle Frage gestellt wurde, war einfach fantastisch. Ich wollte diese Glückseligkeit noch ein bisschen länger genießen, ohne gleich über Details zu diskutieren. Es ist eine riesige Ehre, daher fiel mir die sofortige Zusage so leicht.

Sie wurden von den brasilianischen Fans überaus warmherzig empfangen. Hatten Sie das erwartet? Nein, das hatte ich nicht erwartet. Es war überwältigend. In Schweden sagen alle zu mir, 'Jetzt bist du wirklich eine große Nummer!' Es ist fantastisch. Es überrascht mich, aber alle erkennen mich. Heute ging ich am Strand spazieren, als ein Mann auf mich zukam und mich ansprach – und am Ende redeten wir lang und breit über die Olympischen Spiele 2004. Er kannte die ganze Geschichte. Dann sprach ich über Marta, Rosana, Cristiane, Pretinha. Es war ein wirklich sehr nettes Gespräch. Die Menschen in Brasilien sind sehr positiv eingestellt. Ich freue mich sehr über die Erklärung des CBF. Sie haben nicht nur mich angeheuert – eine Frau, und eine Ausländerin noch dazu – sondern auch Trainerinnen für die U-17- und die U-20-Auswahl. Das halte ich für sehr wichtig. Der CBF hat für den Frauenfussball einen großen Schritt in die richtige Richtung gemacht.

Wie beurteilen Sie das Abschneiden Brasiliens bei der FIFA Frauen-WM Frankreich 2019™? Ich finde, dass die Brasilianerinnen in einigen Spielen wirklich sehr gut gespielt haben. Dann waren sie eines der besten Teams der Welt. Aber es gab auch Spiele, in denen sie nicht gut gespielt haben, da gab es einen großen Leistungsabfall. Gegen Jamaika haben sie viele Torchancen herausgespielt und drei Tore erzielt. Aber gegen Australien haben sie sich dann sehr viele Fehler geleistet. Sehr interessant fand ich das Spiel gegen Italien. Sehr gut hat mir die Leistung gegen Frankreich gefallen, ein wirklich starkes Team. Hoffentlich können wir auf den positiven Aspekten dieses Spiels aufbauen und noch einige Verbesserungen erreichen. Allzu viele Veränderungen müssen wir allerdings nicht vornehmen, denn wir haben eine ganze Reihe sehr guter Spielerinnen. Ich würde gern etwas schwedische Organisation einführen – sowohl in der Defensive wie auch in der Offensive. In Schweden arbeitet das ganze Team zusammen. Die Spielerinnen versuchen, denn Ball schon sehr hoch auf dem Feld zurückzuerobern. Und ich denke, wir brauchen außerdem ein bisschen der amerikanischen Mentalität. Die Technik der Spielerinnen hier in Brasilien ist schon sehr beeindruckend. Die U.S.-Frauen allerdings zeigen in jeder Sekunde des Spiels einen unverrückbaren Siegeswillen. Sie geben nie auf und geben einfach alles.

Was sagen Sie zum Abschneiden Schwedens und der USA in Frankreich? Ich war schon 2015 sehr beeindruckt, wie Jill Ellis die WM mit ihrem Team gewann. Sie hat einige Änderungen vorgenommen, und 2019 erneut gewonnen. Ich denke, dass einige Spiele der USA sehr ausgeglichen waren, insbesondere das gegen Frankreich. Das Team hat tolle Leistungen gegen einige sehr starke Gegner gezeigt und war insgesamt das beste Team. Ich war ja selbst jahrelang Trainerin von Megan Rapinoe und Tobin Heath. Das sind Spielerinnen, die den Ausschlag geben können. Wenn Megan Rapinoe gut ist, dann ist sie wirklich gut. Und sie ist unberechenbar. Was Schweden angeht, war ich von der Arbeit von Peter Gerhardsson sehr beeindruckt. Ich denke, in Schweden dreht sich alles um das Team. Bei der Wahl der The Best – FIFA-Weltfussballerin ist keine Schwedin nominiert, aber als Kollektiv hat das Team sehr gut funktioniert und ist Dritter geworden. Gut gemacht!

Wie groß ist Ihre Begeisterung, dass Sie nun Marta trainieren? Ich bin begeistert. Besonders toll ist, dass viele Brasilianerinnen zwar Englisch sprechen, aber kein Schwedisch. Marta hingegen schon, daher können sie und ich ein paar Geheimnisse haben! (lacht) Ich habe schon mit Marta gesprochen und auch sie scheint begeistert zu sein. Ich war von Anfang an von ihr begeistert. Zum ersten Mal habe ich sie bei der FIFA U-20-Frauen-WM Thailand 2004 spielen sehen. Und seitdem verfolge ich ihre Karriere und insbesondere die WM-Turniere. Sie ist überaus wichtig für Brasilien. Wenn man sich alle Spielerinnen seit der ersten WM 1991 ansieht, mit vielen großartigen Amerikanerinnen wie Mia Hamm, dann gehört Marta ganz sicher zu den besten aller Zeiten.

Cristiane ist derzeit verletzt. Spielt sie in Ihren Planungen eine Rolle? Haben Sie schon mit ihr gesprochen? Ich habe sie vor ein paar Tagen getroffen, als ich ein Spiel besuchen wollte. Alle scheinen von dem Neuanfang begeistert, auch Cristiane. Es ist etwas schwierig für sie, da sie schon eine Zeitlang fehlt. Leicht ist nichts. Auch sie muss hart arbeiten, um es zurück zu schaffen und wieder in die Nationalmannschaft berufen zu werden, wie alle anderen. Ich denke, dass sie ihre Sache bei der WM sehr gut gemacht hat. Sie hat gute Angriffe gezeigt, sie hat einen Hattrick geschafft, sie ist sehr kopfballstark. Hoffentlich ist sie bald wieder da.

Was für ein Gefühl ist es, dass Ihre Amtszeit am Donnerstag ausgerechnet mit einem Derby gegen den Erzrivalen Argentinien beginnt? Das ist perfekt. Einfach perfekt. Ich bin dem CBF sehr dankbar, dass wir die Gelegenheit haben, ein Heimspiel in Sao Paulo zu bestreiten. Alle sind gespannt, das Team zu sehen und dann gleich in einem Nachbarschaftsduell gegen Argentinien - viel besser geht es nicht.

Sie haben schon zwei Olympische Goldmedaillen gewonnen. Kann Brasilien es 2020 in Tokio schaffen? Ja, wenn wir jeden Tag versuchen, uns weiter zu verbessern. Im Spiel gegen Frankreich konnte man sehen, wie schmal der Grat zwischen Erfolg und Scheitern ist. Doch wenn man sich die Stärke der brasilianischen Spielerinnen bei der WM ansieht und die der nachrückenden Akteurinnen, dann haben wir durchaus Chancen.