Montag 20 Januar 2020, 06:21

Sundhage: "Ich bin im richtigen Moment am richtigen Platz"

  • Pia Sundhage ist seit Juli 2019 Trainerin der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft

  • Die Schwedin will mit den Canarinhas ihre beeindruckende Olympia-Ausbeute noch weiter verbessern

  • Sundhage: "Wir wollen um Gold spielen"

Es ist nicht leicht, Pia Sundhage eine neue Erfahrung zu bieten. Schließlich nahm sie als Spielerin an der ersten FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ teil und gewann als Trainerin mit ihren Teams zwei Olympische Goldmedaillen. In ihrer langen Karriere auf dem Platz und auf der Bank hat sie so ziemlich alles erlebt. Ihr Weg führte sie durch Europa, nach Nordamerika und nach Asien. Seit einem halben Jahr steht sie als Trainerin der brasilianischen Frauen-Nationalmannschaft vor einer ganz neuen Herausforderung in Südamerika.

Die Ex-Trainerin der USA und Schwedens übernahm das Ruder bei den Canarinhas im Juli 2019, nachdem die Brasilianerinnen im WM-Achtelfinale an Gastgeber Frankreich gescheitert waren. Es besteht kein Zweifel, dass sie dieser Aufgabe wie kaum eine andere gewachsen ist. Neben ihrer durch Offenheit geprägten Persönlichkeit verfügt sie über einen gesunden Pragmatismus – möglicherweise genau die Qualität, die den Brasilianerinnen bislang im Kampf um einen ersten großen Titel fehlte. Sundhage hat einen mit Stars gespickten Kader zur Verfügung, mit den Veteraninnen Marta und Formiga. Beim Olympischen Fussballturnier der Frauen will sie ihr Team zum erstmaligen Titelgewinn führen und damit ihre dritte Olympische Goldmedaille holen.

FIFA.com sprach mit der Schwedin über Fussball in Brasilien, das Leben in Rio de Janeiro und ihre Planung für Tokio 2020.

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FIFA.com: Erhzählen Sie uns, wie Sie Nationaltrainerin Brasiliens wurden. Wie hat sich diese Gelegenheit ergeben?

Pia Sundhage: Es kam ein Anruf, und ich sagte sofort zu. Ich habe nicht eine Sekunde darüber nachgedacht. Ich war schon in sehr vielen Ländern und hatte dort fantastische Jobs. Jetzt habe ich den nächsten. Und ich denke, dass dieser Job für mich die größte Herausforderung ist, weil die Kultur so ganz anders ist. Eine Frau, aus dem Ausland und dann in Brasilien… Aber sicher ist, dass der brasilianische Fussballverband CBF mehr für den Frauenfussball tun will. Ich habe das große Glück, Teil dieser Entwicklung zu sein.

Sie haben überall auf der Welt gespielt und trainiert. Welche besonderen Herausforderungen haben Sie bisher als Trainerin in Südamerika erkannt?

Da gibt es im Grunde genommen zwei. Zum einen geht es darum, die talentiertesten Spielerinnen zu finden. Brasilien ist ein riesiges Land. Wir wissen, dass es sehr viele gute Spielerinnen gibt, doch wie können wir sie finden? Wie können wir sie entdecken? Talentierte Mädchen sollten unbedingt die Chance bekommen, zu spielen.

Die zweite Sache bei der Nationalmannschaft: Mir gefällt es sehr, dass die Spielerinnen mit so viel Leidenschaft und Emotionen dabei sind. Doch wenn die Leidenschaft einmal nicht so groß ist, brauchst du ein Team, auf das du dich verlassen kannst. Und genau das ist meine Aufgabe, darauf zu achten, dass es dich nicht runterzieht, wenn du Mal nicht gut drauf bist, wenn du an dir zweifelst oder denkst, du könntest es auch allein schaffen. Denn Fussball ist ein Teamsport und das Team muss die Leistung bringen.

Für mich ist das ein bisschen ein Balanceakt. Fussball ist Leidenschaft. Fussball ist Taktik. Viele Videoclips und so weiter, doch letztlich geht es darum, wer in der 89. Minute noch das entscheidende Tor schießen kann…

Sie leben jetzt in Rio de Janeiro. Wie gefällt Ihnen die brasilianische Lebensart?

Ich empfinde eine enorme Wärme, und damit meine ich nicht nur das Wetter! Ich treffe ständig mit warmherzigen Menschen zusammen. Alle lieben Fussball, das ist für mich natürlich toll. Die Leute wollen mit mir ins Gespräch kommen, obwohl ich noch fast gar kein Portugiesisch spreche. Aber alle wollen beim Fussball dazu gehören.

Die Leute wünschen sich den Erfolg für ihr Land. Männer, Frauen, Nachwuchs – dieses Gefühl ist ansteckend. Ich führe ein schönes Leben, denn ich bin im richtigen Moment am richtigen Platz.

Man darf Sie als Trainerin wohl mit Fug und Recht als Olympiaspezialistin bezeichnen. Schließlich haben Sie zwei Mal Gold mit den USA und ein Mal Silber mit Schweden 2016 in Rio gewonnen. Was peilen Sie für Tokio 2020 an?

Wir sind natürlich alle voller Enthusiasmus und wollen um Gold spielen. Doch es geht eigentlich um viel mehr. Es geht um den gesamten Weg, einen Weg, der hoffentlich mit den Olympischen Spielen nicht zu Ende geht. Ich hoffe, dass der Weg danach noch viele Jahre weiter geht.

Was das Team angeht: Wir wollen viele Tore erzielen, wenige kassieren und unser Bestes geben. Was mich persönlich angeht: Ich will in einer fremden Kultur mit neuen Spielerinnen das bestmögliche Ergebnis herausholen und dazu beitragen, dass die Fussballnation Brasilien erfolgreich ist.

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Die letzten Olympischen Spiele waren in Rio. Dort verpassten die Brasilianerinnen mit dem vierten Platz die Medaillenränge. Ist das ein besonderer Motivationsfaktor für 2020?

Ich erinnere mich noch gut daran, wie Brasilien gegen Schweden mit 5:1 gewann (Sundhage war damals Nationaltrainerin Schwedens, Red.). Als ich das Stadion verließ, war das gesamte brasilianische Team und der Bus von Menschen umringt. Das war wie eine klare Ansage: 'Gut gemacht, weiter so!' Das bewegt die Leute. Das Wichtigste ist, dass wir unser Bestes geben. Mehr kann man nicht tun. Und dass wir es alle gemeinsam tun. Der Job besteht darin, ein geschlossenes Team zu bilden.

Rückblickend war es ein gutes Olympisches Turnier, doch es gibt noch Raum für Verbesserungen. Und genau da kommen hartes Training und Leidenschaft ins Spiel. Wir brauchen uns gegenseitig. Wenn wir alles unter einen Hut bekommen, wird es ein fantastischer Weg.

Sie sind als leidenschaftliche Sängerin bekannt. Haben Sie schon ein paar brasilianische Lieder aufgeschnappt?

Ich versuche noch, mit dem Rhythmus beim Samba zurecht zu kommen. Das ist nicht leicht! Aber ich habe mir selbst, versprochen, eines Tages auf Portugiesisch zu singen – und zwar zumindest etwas Ähnliches wie Samba. Das ist allerdings eine ganz andere Sache als Rock'n'Roll, daher brauche ich noch ein paar Monate, bis es so weit ist!