Dienstag 04 Februar 2020, 13:00

Roord: "Ich kann es kaum erwarten, die Olympia-Atmosphäre zu erleben"

  • Jill Roord über ihren berühmten Vater und ihr Idol Ronaldinho

  • Wo stehen die Niederlande im Vergleich zu den USA?

  • Roord über Vivianne Miedema: "absolute Killerin vor dem Tor"

"Jedes Kind sollte sich schämen, wenn es seine Mama weinen sieht."

Diese Worte aus dem Hit Als Een Moederhart Moet Huilen vom niederländischen Schlagersänger Frans Bauer hörte Jill Roord während ihrer Kindheit. Und sie nahm sie sich zu Herzen. Als Kind brachte sie ihre Mutter nicht einmal zum Weinen. Auch als Jugendliche nicht.

Doch im Alter von 22 Jahren sollte sich das ändern, und zwar ausgerechnet während eines Familienurlaubs. Glücklicherweise waren es Freudentränen, die ihre Mutter am Ufer der Seine vergoss. Chantal Roord hatte nämlich gerade gesehen, wie ihre Tochter bei der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft Frankreich 2019™ im Auftaktspiel der Niederlande gegen Neuseeland eingewechselt worden war und kurz vor Schluss per Kopf den Siegtreffer erzielt hatte.

Dieses Tor brachte für die Oranjeleeuwinnen alles ins Rollen. Es folgten wilde Gesänge und Tänze in Umkleidekabinen, die berühmten "Oranje"-Paraden, die alle in Begeisterung versetzten, und ein Durchmarsch bis ins Finale. FIFA.com spricht mit Roord über den bisherigen Höhepunkt ihrer Karriere in Le Havre, ihren Sprung von der Ersatzbank in die Startelf der niederländischen Nationalmannschaft, ihre Hoffnungen für das Olympische Fussballturnier der Frauen, Arsenals Titelchancen und Vivianne Miedema.

Ihr Vater René war Fussballer. Er lief bei der FIFA U-20-Weltmeisterschaft 1983 mit der Rückennummer zehn auf und konnte sich bei Twente Enschede auszeichnen. Welche Rolle spielte der Fussball in Ihrer Kindheit? Ja, mein Papa stand bei diesem Turnier gemeinsam mit Marco van Basten auf dem Platz, deshalb habe ich immer Geschichten über seine Karriere gehört. Und meine Mama spielte Basketball. Sie hatte in den Jugendnationalmannschaften gespielt, aber dann traf sie meinen Vater, und es war ihr nicht mehr so ernst damit. Meine Eltern haben mir immer erzählt, dass ich, sobald ich laufen konnte, immer mit einem Fussball gespielt habe. In meinen ersten Verein bin ich dann mit fünf Jahren eingetreten. Ich war immer draußen, vor der Schule und nach der Schule, und habe auf der Straße mit den Jungs gespielt, mit meinen Freunden und meinen Brüdern. Eigentlich habe ich nie etwas anderes getan. Ronaldinho war mein Idol. Er war damals der Beste der Welt. Er spielte so gut, dass du immer am Computer gesessen und dir Highlights angeschaut hast.

Bei der WM 2019 in Frankreich stand es im Auftaktspiel der Niederlande gegen Neuseeland lange Zeit 0:0. Dann wurden Sie 15 Minuten vor Schluss eingewechselt und erzielten in letzter Minute den Siegtreffer. Können Sie beschreiben, was Sie in diesem Moment gefühlt haben? Es war eine Riesenerleichterung und ein sehr, sehr stolzer Moment für mich. Meine Familie war im Stadion, es war also wirklich cool. Es war einfach fantastisch, in meinem ersten WM-Spiel gleich den Siegtreffer zu schießen. Das war bis jetzt der beste Moment [meiner Karriere]. Nach dem Spiel bin ich zu meiner Familie gegangen, und meine Mutter hat geweint. Das war wirklich ein schöner Augenblick.

Wir haben das Team während des Turniers viel singen und tanzen gesehen. Können Sie die Atmosphäre im Lager der Oranjeleeuwinnen beschreiben? Wir hatten viel Spaß zusammen. Das ist wirklich ein cooles Team. Wir haben uns alle super verstanden. Nachdem wir die EURO gewonnen hatten, haben wir angefangen zu glauben, dass wir viel erreichen können. Wir dachten uns: 'Wir haben nichts zu verlieren. Zeigen wir den Leuten, dass die EURO nicht einfach nur ein Glücksfall war.' Die Atmosphäre war echt entspannt.

Sie wurden in Frankreich bei allen sieben Spielen der Niederlande eingewechselt. Nach der WM standen Sie jetzt aber schon sechsmal in der Startelf. Das freut Sie sicher sehr, oder? Ja, ich bin wirklich zufrieden. Ich spiele jetzt seit fünf Jahren in der A-Nationalmannschaft, seit meinem 17. Lebensjahr. Ich war vorher schon in einigen Spielen von Beginn an aufgelaufen, aber meistens hatte ich auf der Bank gesessen. Also habe ich immer auf einen entscheidenden Augenblick gewartet und auf mehr Einsatzzeiten. Der Siegtreffer gegen Neuseeland war so ein entscheidender Augenblick für mich. Nach der WM habe ich mich gefragt: 'Werde ich jetzt wohl spielen oder nicht? Wird sich meine Situation ändern?' Im Sommer reisen wir zu den Olympischen Spielen nach Tokio. Ich habe keine Ahnung, ob ich dort spielen werde oder nicht, aber ich habe schon das Gefühl, dass sich etwas geändert hat und dass ich im Team eine wichtige Rolle spielen kann.

Was würde es Ihnen bedeuten, bei den Olympischen Spielen zum Einsatz zu kommen? Das ist ein fantastisches Turnier. Die ganze Veranstaltung wird ein riesiges Abenteuer, auf das ich mich wirklich freue. Ich kann es kaum erwarten, die Olympia-Atmosphäre zu erleben.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass sich die Hoffnungen der Niederlande auf die Goldmedaille erfüllen können? Wenn wir in Form sind und so gut spielen, wie wir können, dann können wir jeden Gegner schlagen. Das weiß ich. Wenn nicht, dann wird jedes Spiel schwer. Ich glaube, die USA sind die absoluten Favoriten. Sie scheinen im Moment einfach alles zu gewinnen. Ich glaube allerdings auch, dass wir uns diesem Niveau annähern. Wir müssen jetzt dranbleiben und uns weiterentwickeln, aber die USA haben dieses gewisse Etwas – sie sind allen anderen einfach einen kleinen Schritt voraus.

Sie haben bei Arsenal einen super Start hingelegt ... Ich bin zu Arsenal gewechselt, um mich spielerisch weiterzuentwickeln und weil ich mich wirklich für England interessiert habe. Arsenal passt sehr gut zu mir. Ich muss sagen, dass ich dort wirklich glücklich bin. Ich mag das Team, die Stimmung im Kader, die Spielweise. Wenn du dir einen neuen Verein suchst, geht du immer ein Risiko ein, aber mir hat es hier vom ersten Tag an gefallen und ich glaube, ich passe wirklich gut ins Team. Ich lebe auch sehr gern in London. Die Menschen hier sind freundlich, und ich mag die Kultur.

Wie gut ist Vivianne Miedema, Ihre Teamkameradin im Klub und in der Nationalmannschaft? Eine wie sie gibt es im Frauenfussball nur einmal. Sie ist einzigartig, eine absolute Killerin vor dem Tor. Im Männerfussball sieht man häufiger mal Spieler, die vor dem Tor total abgebrüht sind, aber im Frauenfussball gibt es glaube ich keine Spielerin, die in dieser Beziehung an sie herankommt. Sie ist eine der besten Spielerinnen der Welt.

Arsenal tritt im Viertelfinale der UEFA Women's Champions League gegen Paris Saint-Germain an. Im Falle eines Sieges warten danach Olympique Lyon oder Bayern München im Halbfinale. Glauben Sie, dass Arsenal das Turnier dieses Jahr gewinnen kann? Ich finde, wir haben einen wirklich guten Kader. Lyon hat natürlich in den letzten Jahren alles gewonnen, aber ich glaube nicht, dass die Kluft zwischen Lyon und unserem Team oder anderen Teams wirklich groß ist. Wenn wir einen guten Tag erwischen, könnten wir ihnen das Leben auf jeden Fall schwer machen. Ich glaube, wir müssen nur unserer Spielweise treu bleiben, selbstbewusst sein und von Spiel zu Spiel denken.

Sie kommen manchmal als offensive Mittelfeldspielerin und manchmal auch auf einer etwas zurückgezogeneren Position im zentralen Mittelfeld zum Einsatz. Welche Position ziehen Sie vor? Das ist eine interessante Frage. Ich bin eigentlich seit jeher offensive Mittelfeldspielerin, eine echte Nummer zehn, und ich habe immer gesagt, dass das die beste Position für mich ist. Aber mittlerweile glaube ich, dass ich jetzt und in Zukunft auch eine gute Nummer sechs sein könnte – etwas defensiver, den Ball erobern und das Spiel kontrollieren. Manchmal agiere ich sehr gern im offensiven Mittelfeld, manchmal auf der Sechserposition. Ein bisschen Abwechslung ist nicht schlecht. Ich glaube, ich kann beides. Wir werden sehen.