Mittwoch 04 Mai 2022, 07:00

Steven Nzonzi: "Man hatte nicht den Eindruck, dass wir kurz vor dem Finale standen"

  • Steven Nzonzi wurde mit Frankreich Weltmeister und gewann mit dem FC Sevilla die UEFA Europa League

  • Heute spielt er für Al Rayyan in Katar, wo die nächste FIFA Fussball-WM stattfinden wird

  • Im Exklusiv-Interview mit FIFA+ spricht er über die Ruhe im Team der Bleus kurz vor dem WM-Finale 2018

Steven Nzonzi ist ein besonnener, ruhiger und überlegter Mensch. Das wird auch in seinem Interview mit FIFA+ deutlich.

Während ein warmes Leuchten in seinen Augen erscheint, wenn er von seinen Erinnerungen an die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™ spricht, bleibt er eher nüchtern, wenn es um die kommende WM-Endrunde vom 21. November bis 18. Dezember in seiner neuen Heimat Katar geht.

Der 33-jährige Mittelfeldspieler von Al Rayyan in der Qatar Stars League geht ein Spiel nach dem anderen an und stellt sich keine Fragen. Wird er dieses Jahr erneut von Didier Deschamps nominiert? "Wir werden sehen, was passiert." Wird er bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™ dabei sein? "Warum nicht?"

Der ehemalige Spieler von AS Rom, Galatasaray Istanbul, Stade Rennes und dem FC Sevilla, mit dem er 2016 die UEFA Europa League gewann, sprach lieber über seine Erinnerungen an Russland 2018, die Atmosphäre in der französischen Nationalmannschaft, das Finale gegen Kroatien, in dem er N'Golo Kanté für die letzten 35 Minuten ersetzte, aber auch über seine Vorbilder in seiner Jugendzeit.

Steven Nzonzi, Weltmeister mit Frankreich bei der WM in Russland 2018

FIFA+: Was für ein Gefühl ist es, die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ zu gewinnen?

Steven Nzonzi: Das ist ein Traum. Ein Traum, der viel größer ist als alle anderen. Wenn man noch ein Kind ist, dann ist die Vorstellung, bei einer WM zu spielen, schon sehr außergewöhnlich. Die WM dann sogar zu gewinnen, ist kaum vorstellbar.

Wie war die Stimmung am Vorabend des WM-Finales 2018 in Russland?

Was mir besonders auffiel, war, dass die Spieler wirklich sehr entspannt wirkten, obwohl wir kurz vor dem WM-Finale standen. Wahrscheinlich waren alle sehr angespannt, aber keiner wollte das zeigen. Es lief alles wie jeden Tag. Man hatte nicht das Gefühl, dass wir am nächsten Tag das Finale bestreiten würden.

Von der Gruppe ging eine enorme Stärke aus, zurückgebracht in erster Linie von den jungen Spielern. Spieler wie Kylian Mbappé und Ousmane Dembélé haben ihre Unbekümmertheit und ihr Selbstvertrauen eingebracht. Diese Spieler, die sehr viel lachen, brachten damals die Frische in die Gruppe zurück. Es gab eine Stärke, eine regelrechte Komplizenschaft, die von dieser verschworenen Gruppe ausging, die dazu führte, dass alle im Vorfeld des Endspiels ziemlich entspannt waren.

Welche Erinnerungen haben Sie an das Finale selbst, an den Moment, als Didier Deschamps zu Ihnen sagte: "Du gehst rein"?

In diesem Moment ist man absolut voll konzentriert. Es gibt reichlich Adrenalin und man ist ziemlich aufgeregt. Schon beim Aufwärmen empfindet man großen Druck, doch genau dieser Druck hilft dabei, sein Spielniveau und seine Konzentrationsfähigkeit zu verbessern. Und wenn es dann losgeht, muss man diesen Druck umwandeln, um der Mannschaft zu helfen. Man muss sein Bestes geben.

Bei solchen Spielen hat man das Gefühl, dass man sich keinerlei Fehler leisten darf. Wenn du dieses Gefühl hast, wenn du es schaffst, mit dem Druck auf positive Weise umzugehen, ist das wunderbar. Hinzu kommt dann noch die Aufregung. Das sind Gefühle, die man so intensiv nicht noch einmal erleben kann.

Wie kann man mit diesem Druck umgehen?

Das kommt von ganz allein. Man braucht Charakter, und man braucht Mut. Man muss das Drumherum ausblenden, auch wenn es schwierig ist. Aber in dem Moment, in dem man auf dem Platz steht, ist es eben einfach nur ein Fussballspiel. Wir sind es gewohnt, Fussballspiele vor Fans zu bestreiten, Spiele, bei denen es um etwas geht. Man muss das Drumherum ein bisschen verdrängen und voll konzentriert bleiben.

Steven Nzonzi feiert mit den Bleus bei der WM in Russland 2018.

Wie ist es, den FIFA WM-Pokal tatsächlich zu berühren?

[lacht] Wenn man das Spielfeld betritt, steht der Pokal dort. Man kann ihn aus nächster Nähe sehen. Das verursacht eine ganze Menge Gefühle. Man denkt sich: "Ah ja, das ist er. Das ist er, der echte Pokal. Man hat ihn schon tausende Male gesehen, als Kind und auch als Erwachsener. Es ist die Trophäe Nummer eins, der Gral, also ist es schon etwas Besonderes, diesen Pokal zu sehen. Und dann stellt man sich darauf ein, dieses Spiel unter allen Umständen zu gewinnen, es gibt keine andere Alternative. Und wenn man ihn dann gewonnen hat, ihn hochheben kann, ihn der Familie zeigt und all das mit den anderen Spielern teilt – das ist außergewöhnlich, absolut außerordentlich, einmalig.

Wie würden Sie den Trainer Didier Deschamps beschreiben und warum gewinnt Frankreich unter ihm?

Eine seiner größten Stärken ist der Wettkampfcharakter, den jeder spüren kann. Wir haben einen Trainer, der stets gewinnen will. Er macht den Job nicht, um irgendjemandem einen Gefallen zu tun. Er will wirklich gewinnen. Ich persönlich habe in meiner Karriere nicht viele Menschen mit einer derartigen Siegermentalität kennen gelernt. Er hat einfach die DNA eines Wettkämpfers, wie sie nur wenige haben.

Und ich denke, er kann sehr gut mit seinem Team umgehen. Auch das ist eine seiner Stärken. Er ist ziemlich nah an den Spielern dran. Er macht Witze und ist sehr umgänglich, aber er weiß auch sehr genau, wie man sich Respekt verschafft. Wir wissen, wann wir arbeiten, ernsthaft sein und gewinnen müssen.

Steven Nzonzi feiert mit den Fans von Sevilla.

Sie sind 33 und wurden bereits mit Frankreich Weltmeister und gewannen mit dem FC Sevilla die UEFA Europa League. Haben Sie alle Ihre Karriereziele erreicht?

Nein, ich habe nicht alle meine Ziele erreicht, weil ich ein Wettkämpfer bin und noch mehr Trophäen gewinnen will. Ich will noch weitere Endspiele erreichen. Ich denke, so lange man aktiv ist, darf man nie zufrieden sein. Wenn man die Chance hat, auf hohem Niveau zu spielen, ist das wie eine kleine Droge, die man immer braucht, vor allem, wenn man anfängt, den Geschmack des Siegens zu kosten.

Mit dem FC Sevilla habe ich in der Champions League gespielt, das Finale der Copa del Rey erreicht, das Finale der Europa League gewonnen... Das macht Lust darauf, es immer wieder zu probieren und öfter zu gewinnen. Also nein, ich habe nicht alle meine Ziele erreicht, aber ich bin sehr stolz auf die Erfolge, die ich bislang erreicht habe.

Haben Sie die französische Nationalmannschaft abgehakt? Wenn nicht, haben Sie einen Plan, wie Sie bis November wieder ins Team kommen können?

Ich habe die französische Nationalmannschaft keineswegs abgehakt, weil ich mich körperlich gut fühle. Aber was muss man tun, um für die französische Nationalmannschaft nominiert zu werden? Kann ein Spieler, der in Katar spielt, es schaffen, in die französische Nationalmannschaft berufen zu werden? Es gibt viele Fragen, die sich mir stellen. Die Wahrheit ist, dass es sehr schwierig ist. Es ist schon sehr schwierig, in einem anderen Land in Europa zu spielen und für Frankreich nominiert zu werden.

Ich bin in Katar, ich spiele regelmäßig, ich bin sehr professionell und wir werden sehen, was passiert. Aber aktuell bin ich schon allein aufgrund der Liga, in der ich spiele, ziemlich weit von der französischen Nationalmannschaft entfernt. Wir werden sehen, wie ich spiele, was passiert, wo ich spiele. Aber warum nicht? Die Bleus sind jedenfalls in meinem Herzen.

Ich habe aber keinen Aktionsplan. Ich bin einfach ein Spieler, der auf dem Platz sein Bestes gibt. Ich bin weder ein Superstar noch sonst etwas. Ich spiele so gut ich kann und nehme mich nicht wichtig. Was ich bisher schon in der französischen Nationalmannschaft erlebt habe, war sehr schön. Ich bin durchaus stolz auf mich.

Es war nicht leicht für mich. Ich wurde erst sehr spät das erste Mal nominiert. Diese Nominierung war ein großes Glück. Ich habe an einer Weltmeisterschaft teilgenommen. Das ist außergewöhnlich, also kann ich mich nicht beschweren. Alles ist schon sehr, sehr gut für mich. Und sollte sich in der nahen oder ferneren Zukunft die Möglichkeit ergeben, zu den Bleus zurückzukehren, dann würde ich das sehr gerne tun.

Jay-Jay Okocha mit Paris Saint-Germain.

Welche Spieler haben in Ihrer Jugend Ihre Liebe zum Fussball geweckt?

Der erste Spieler, der mich für den Fussball begeistert hat, war Jay-Jay Okocha bei Paris Saint-Germain und in Nigeria. Ich mochte offensive, technische und dribbelstarke Spieler – ganz anders, als mein eigener Spielstil. Dann waren da noch Ronaldinho und Zidane – Zehner, von denen in meiner Generation einfach alle Spieler geträumt haben.

Aber der erste war eben Okocha. Für mich war er ein absolut außergewöhnlicher Spieler. Ich liebte alles an ihm: seine Art zu laufen, seine Dribblings, seine Schüsse. Einfach alles. Damals spielte er bei PSG. Ich selbst habe in meiner Jugend auch bei PSG gespielt, also habe ich ihn fast jedes Wochenende spielen sehen. Er war mein absoluter Favorit. Und gleich danach kam Ronaldinho.

Was sind ihre ersten WM-Erinnerungen?

Die WM 1998 in Frankreich. Ich war damals ein zehnjähriger Knirps. Das Halbfinale gegen Kroatien, in dem Thuram beide Tore für Frankreich erzielte. Und auch die Verlängerung im Achtelfinale gegen Paraguay, in der Laurent Blanc das Golden Goal für uns erzielte. Das sind fantastische Erinnerungen. Und natürlich das 3:0 im Finale gegen Brasilien. Ich habe sehr genaue Erinnerungen an diese Weltmeisterschaft, an viele Details. Es war die erste Weltmeisterschaft, die ich verfolgt habe und bei der ich alt genug war, um wirklich zu verstehen und mitzufiebern. Das sind meine ersten WM-Erinnerungen.

Welche fünf Spieler der WM-Geschichte waren die Besten?

Die Top 5? Das ist einfach. Pelé, Maradona, Ronaldo, der Brasilianer, Ronaldinho, Zidane. Alle diese Spieler haben die Weltmeisterschaft gewonnen. Sie sind ganz eindeutig meine Top 5.