Dienstag 01 Juni 2021, 09:37

Gallese: "Wir müssen die WM in Russland abhaken"

  • Torhüter und Aushängeschild der peruanischen Nationalmannschaft

  • Themen: die Qualifikation für Katar, Karrierebeginn, aktuelle Situation und mehr

  • "Du wirst Nationaltorhüter, spielst eine entscheidende Rolle und wirst bei einer WM dabei sein"

Pedro Gallese war zehn Jahre alt, als er diesen Satz zum ersten Mal von seiner Tante Soña hörte, und ihm war damals nicht wirklich bewusst, was er für ihn und für Peru bedeuten würde.

"Damals lebte ich bei ihr und sie sprach immer wieder über diese Thema. Ich hielt sie für verrückt", erklärt Gallese im Gespräch mit FIFA.com. Inzwischen ist er einer der Leistungsträger Perus, das 2018 nach fast vier Jahrzehnten zum ersten Mal wieder an einer WM teilnahm. Mit 31 Jahren ist er unumstrittener Stammtorhüter der Blanquirroja.

Die FIFA U-17-Weltmeisterschaft 2007, bei der er als Ersatztorhüter dabei war, erwies sich als guter Karriereauftakt. Nur ein Jahr später gab er sein Profidebüt. In der A-Nationalmannschaft kam er 2014 zum ersten Mal zum Einsatz, der endgültige Durchbruch gelang ihm dann unter dem aktuellen Nationaltrainer Ricardo Gareca, der das Amt im März 2015 übernahm und von Beginn an auf seine Elastizität und guten Reflexe setzte.

Seitdem hat der Krake oder die Tarantel, wie er auch genannt wird, höchstens ab und an verletzungsbedingt gefehlt und zwei Meilensteine erreicht: Er ist mit 62 Einsätzen Rekordtorhüter der peruanischen Nationalmannschaft und hat außerdem die meisten WM-Qualifikationsspiele bestritten (18).

Gallese ist zu einem Aushängeschild seines Nationalteams avanciert und analysiert im Gespräch mit FIFA.com den schwachen Auftakt Perus in der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Katar 2022™, wo das Team mit einem von zwölf möglichen Punkten derzeit auf dem vorletzten Platz rangiert. Außerdem spricht er über die nächsten Gegner und die Chancen auf die Qualifikation für das nächste Weltturnier. Weitere Gesprächsthemen sind sein Karrierebeginn, seine aktuelle Topform bei Orlando City in der nordamerikanischen MLS, die nächste Copa América und seine Hobbys.

Pedro, erzählen Sie uns etwas über ihren ersten Auftritt im Tor? Woran erinnern Sie sich?

Das war bei einem Turnier zwischen unterschiedlichen Stadtvierteln in Barrancos. Damals war ich sieben Jahre alt. Ich war Feldspieler und wir bekamen eine richtige Abreibung. Also sagte ich zum Torwart: 'Jetzt halt doch mal einen und mach den Kasten dicht!' Er antwortete: 'Mach es doch selber' und schon stand ich im Tor! Ich hatte noch nicht einmal Handschuhe. Mit bloßen Händen! Die Angriffe kamen, ich habe ein paar Bälle gehalten und es hat mir Spaß gemacht. Am nächsten Tag wurde ich direkt ins Tor geschickt, und dabei ist es geblieben.

Was war das für eine Geschichte mit Ihrer Tante Soña?

Mein Cousin spielte an einer Akademie in Lima, und sein Team kassierte immer hohe Niederlagen. Meine Tante sagte, sie habe einen Neffen, der gut im Tor sei, könne die Schule jedoch nicht bezahlen. Man sagte ihr, sie solle trotzdem mit mir vorbeikommen. Damals war ich neun Jahre alt, sie stellten mich ins Tor und das Team verlor nicht mehr. Da fing sie damit an, dass ich eines Tages eine WM spielen würde ... Als wir uns dann tatsächlich qualifiziert haben, habe ich ihr alles geschenkt, was ich beim entscheidenden Spiel gegen Neuseeland anhatte.

Welche Bedeutung hatte die U-17-WM für Ihre Karriere?

Das war wirklich eine tolle Sache, weil damals normalerweise nur Spieler von großen Klubs in die Jugend-Nationalteams kamen. Für Spieler von Akademien, wie mich, war es schwierig, den Sprung zu schaffen. Als ich dann dort war, dachte ich immer wieder: 'Wenn eine Jugend-WM schon so toll ist, wie muss es dann mit der A-Nationalmannschaft sein!'

Und wie war dann die Erfahrung bei der WM 2018 in Russland?

Als wir die Playoff-Runde gewonnen hatten, war ich glücklich, aber erst bei der WM selbst wurde mir die volle Tragweite dieser Qualifikation bewusst. Bevor vor dem ersten Spiel die Hymne angestimmt wurde, schaute ich auf meine Teamkameraden und die vielen Peruaner, die gekommen waren, und mir wurde bewusst, was wir da erreicht hatten. Ich hatte ganz schönes Herzklopfen. Ich erinnere mich noch an jede einzelne Minute der drei Spiele, obwohl ich sie mir danach nicht noch einmal angeschaut habe.

Was war damals der entscheidende Faktor in der Qualifikation?

Die 36 Jahre [ohne WM-Teilnahme] waren eine ziemliche Belastung, ebenso wie die Tatsache, dass wir gut gespielt, aber trotzdem verloren haben. Die Last wurde mit jedem Spiel größer. Unsere Einstellung und der Wille, uns im Laufe der Qualifikation zu steigern, waren sehr wichtig. Wir haben immer daran geglaubt.

Welche Bilanz ziehen Sie nach dem schwachen Start in die Qualifikation für Katar?

Das war ein schwieriger Start, weil wir nicht schlecht gespielt haben, aber trotzdem weniger Punkte als erwartet holen konnten. Wir wissen, dass wir uns noch in vielen Aspekten verbessern müssen, in allen Mannschaftsteilen. Wir müssen die WM in Russland abhaken. Dies ist ein neues Turnier, und darauf müssen wir uns konzentrieren.

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Glauben Sie, dass Peru diesmal in einer gewissen Favoritenrolle war, die sich letztendlich negativ ausgewirkt hat?

Früher hieß es vor Spielen oft: 'Wir spielen gegen Peru, da haben wir die drei Punkte schon im Sack'. Unsere Gegner waren ganz entspannt, das steht fest. Jetzt analysieren sie uns stärker, sie analysieren jeden einzelnen Spieler, und das macht die Sache für uns natürlich etwas schwieriger. Andererseits ist das auch positiv, weil sie jetzt viel mehr Respekt vor uns haben. Wir müssen diesen Aspekt zu unserem Vorteil nutzen.

Woran hat es dem Team in spielerischer Hinsicht gemangelt?

Teilweise war es die hohe Konzentration, die wir vorher im Angriff hatten, und dann das Verteidigen bis zum Umfallen. Aber das Wichtigste ist, dass wir das Zeug haben, um oben mitzuspielen. Darüber haben wir auch miteinander gesprochen. Wenn wir das Zeug nicht hätten, würden wir uns mit der bloßen Teilnahme zufriedengeben, aber wir können mithalten, das haben wir bewiesen.

Es scheint für das Team ein weiterer Charaktertest zu werden ...

In der letzten WM-Qualifikation hatten wir sechs Spieltage vor Schluss kaum noch Chancen auf den Playoff-Platz. Wir mussten all unsere Heimspiele gewinnen und auch auswärts Punkte holen, durften nicht verlieren. Damals waren wir der Herausforderung gewachsen. Jetzt sind wir in einer ähnlichen Situation, aber zu einem früheren Zeitpunkt. Wir haben schlecht begonnen, aber ich glaube, das wird uns stärker machen.

Wie bewerten Sie die nächsten Duelle zu Hause gegen Kolumbien und auswärts gegen Ecuador?

Beides sind direkte Rivalen. Kolumbien hat eine ähnliche Spielweise wie die, die wir anstreben, mit schönem Spiel und konsequenter Verteidigung. Gegen die Kolumbianer wird sich die Auseinandersetzung im Mittelfeld abspielen. Ecuador spielt direkter, und die Höhenlage spielt in Quito immer eine Rolle. Ich persönlich habe in Orlando die Möglichkeit, mit Instrumenten zu trainieren, die die Höhe simulieren. Das ist ein wichtiger Zusatzfaktor.

Sind Sie aufgrund der Verschiebungen durch COVID besorgt?

Nicht wirklich besorgt, sondern wir möchten die komplizierte Situation, die wir gerade durchmachen, zum Positiven wenden.

Bald steht die Copa América an, bei der Sie mit dem Team letztes Mal den zweiten Platz belegt haben. Welches Ziel haben Sie bei der diesjährigen Auflage?

Wenn du an einem Turnier teilnimmst, möchtest du dein Land gut vertreten, aber du willst es auch gewinnen oder zumindest so weit wie möglich kommen. Jetzt kommt uns das Turnier gelegen, um als Mannschaft noch besser zusammenzuwachsen, denn unser Fokus liegt zu 100 Prozent auf der WM-Qualifikation.

Letzte Frage: Hat Ihre Tante Soña sich irgendwie zur WM in Katar geäußert?

Sie hat mir gesagt, wir müssten uns für eine weitere WM qualifizieren und dass ich mich nicht mit der ersten zufriedengeben könnte! [lacht] Ich musste ihr versprechen, dass wir ein zweites Mal an der WM teilnehmen werden. Von ihr bekomme ich mehr Druck als von ganz Peru! [lacht wieder]

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Kurzer Schlagabtausch mit Gallese über ...

Seine Rekorde. "Als ich zum Nationalteam kam, schienen sie weit entfernt zu sein, aber dann knackst du sie und freust dich. Es ist schön, in die Statistiken einzugehen, solange damit auch größere Erfolge einhergehen."

Seine hervorragende Saison bei Orlando City. "Ich bin hergekommen, weil das Angebot interessant war. Ich wollte eine neue Herausforderung angehen und tue mein Bestes. Ich bekomme gute Kritiken, und das ist gut."

Die Tatsache, dass sein Trikot zu den meistverkauften in Orlando gehört. "Dasselbe: Es freut mich, weil es für die gute Arbeit spricht, die ich dort leiste."

Seine Rolle als Teamfrisör. "Das fing an, als die MLS den Spielbetrieb wieder aufnahm. Wir waren zweieinhalb Monate praktisch eingesperrt. Ich habe ein paar Geräte gekauft, mir Videos angeschaut und meine Mitspieler hatten Spaß daran. Jetzt bitten sie mich darum, dass ich ihnen weiterhin die Haare schneide."

Seinen Erfolg in Tik Tok während der Pandemie. "Die Pandemie hat mich verrückt gemacht, ich wusste nichts mit mir anzufangen. Mein Frau hat mich gefragt, ob mir das nicht Spaß machen würde, wir haben es ausprobiert, und es hat den Leuten gefallen. Aber das ist auch schon alles! "

Seine eigene Bekleidungsmarke. "Ich habe mich schon als Kind für Mode begeistert, und das Geschäft entwickelt sich langsam. Aber ich designe nicht selbst, ich stimme den Designs nur zu oder lehne sie ab! Es ist eher ein Zeitvertreib."

Was würden Sie Ihrer Tochter oder Ihrem Sohn sagen, wenn sie Torhüter werden wollten? "Dass es eine undankbare Position ist und noch dazu die am schlechtesten bezahlte! Wenn es ihnen gefällt, würde ich sie voll und ganz unterstützen. Es ist sehr schön, Tore zu verhindern und den Torjubel von anderen mitzuerleben."