Samstag 03 September 2016, 09:23

Daum: "Rumänien kehrt zur WM zurück"

Nun also Nationaltrainer. Christoph Daum hat in der Bundesliga-Geschichte seine Spuren hinterlassen – als er mit dem 1. FC Köln und Bayer 04 Leverkusen Mannschaften formte, die fast Deutscher Meister wurden. Als er dieses Ziel überraschend 1992 mit dem VfB Stuttgart erreichte und als er fast Bundestrainer wurde.

Er war vor allem zur Anfangszeit seiner Karriere innovativ, aber auch streitbar – auf Angriff gebürstet. Manch einer bezeichnet den Mann, der über keine große Spielerkarriere verfügte, gar als einen der ersten "Konzepttrainer" der Liga – bevor es dieses Wort überhaupt gab. In der Türkei fand er bei Besiktas (ein Mal Meister, ein Mal Pokalsieger) und Fenerbahce (zwei Mal Meister) eine zweite Heimat, auch bei Austria Wien durfte er mit dem Double 2003 weitere Titel feiern.

Der Mann, der Spieler in Leverkusen einst über Glasscherben laufen ließ, um ihnen "ihre gedanklichen Kräfte" zu verdeutlichen, und dessen Motivationskünste ein Spieler einmal mit den Worten "Wenn du nur 1,65m bist und mit Daum sprichst, dann fühlst du dich wie 1,85m" umschrieb, wollte immer einmal Nationaltrainer werden. Seit Juli 2016 ist er nun der neue Chefcoach Rumäniens – und schon wieder voll motiviert.

"Eines meiner Ziele war immer, mit einer Nationalmannschaft an einer EM oder WM teilzunehmen, weil dort in einer kurzen Zeit alles bestmöglich präsentiert werden muss. Als Vereinstrainer hast du lange Vorbereitungsphasen und als Nationaltrainer musst du deine Erfahrungen in kürzester Zeit gemeinsam mit den Spielern und Mitarbeitern umsetzen. Diese Hochgeschwindigkeitsentscheidungen stellen für mich eine neue Herausforderung dar", erklärte der mittlerweile 62-Jährige im Interview mit FIFA.com.

Die rumänische Nationalmannschaft hatte ihre Hochzeit in den 1990er Jahren, etwa als man mit Starspieler Gheorghe Hagi bei der FIFA Fussball-WM 1994™ in den USA im Achtelfinale Argentinien ausschaltete – vier Jahre später in Frankreich war man letztmals bei einer WM-Endrunde vertreten. Bei der UEFA EURO 2016 vor wenigen Monaten schied man allerdings schon in der Vorrunde aus.

"Der neue Vorstand des rumänischen Fussballverbandes baut hier neue und vor allem bessere Strukturen in allen Bereichen des Fussballs auf, an denen ich gerne mitwirke", sagt Daum, der es als Ehre ansieht, der erste ausländische Nationaltrainer in der Geschichte des rumänischen Fussballs zu sein. Trotzdem hat er auch rasch gemerkt, dass die Arbeiten eines Vereins- und Nationaltrainers sich unterscheiden: "Der Verantwortungsbereich eines Nationaltrainers ist weit größer, als der eines Vereinstrainers. Gilt es im Verein an den optimalen Strukturen örtlich begrenzt mitzuarbeiten, so ist der Wirkungsbereich als Nationaltrainer auf ein ganzes Land ausgeweitet. Die Einfluss und Gestaltungsmöglichkeiten sind sehr umfangreich und reizvoll. Als Nationaltrainer verstehe ich mich in vielen Bereichen als Impulsgeber und Unterstützer aller Fussballvereine, Trainer wie Spieler, in einem Land."

Zunächst einmal ist er aber als Impulsgeber für eine Nationalmannschaft gefragt, die bei der EURO mit nur einem Punkt aus den Gruppenspielen gegen Frankreich, die Schweiz und Albanien doch ein wenig enttäuschte. "Bisher ging es in erster Linie um Informationssammlung, das heißt Auswertung und Livescouting vieler Spiele unserer potenziellen Nationalspieler, das bestmögliche Team um das Team auszuwählen und kleine Anpassungen in der Infrastruktur vorzunehmen", so Daum über seine ersten Schritte im neuen Job. "Rumänische Spieler standen immer für attraktiven und erfolgsorientierten Fussball. Immer anzugreifen, ob mit oder ohne Ball, war eine rumänische Tugend. Dies gilt es uns wieder bewusst zu machen und dazu mit Flexibilität und taktischer Disziplin, eine unerschütterliche Siegermentalität und größtmöglichen Teamgeist zu aktivieren."

Dabei will sich der neue rumänische Nationaltrainer aber nicht auf ein bestimmtes Spielsystem oder eine starre Spielphilosophie festgelegt sehen: "Mein Pragmatismus lautet: Immer die besten Entscheidungen für den Mannschaftserfolg zu treffen." Daum hat es in seiner Karriere tatsächlich immer wieder geschafft, Mannschaften zu formen, die Leistungen ablieferten, welche über den Erwartungen lagen. "Es geht eigentlich überall im Fussball um das gleiche Ziel: Den einzelnen Spieler und damit das gesamte Team besser zu machen", fasst er seine Kernphilosophie zusammen."Wir alle haben nur ein Ziel im Herz und Kopf: Die WM-Qualifikation! Ich bin davon überzeugt, dass Rumänien nach 20 Jahren wieder an einer WM teilnehmen wird."

Als ein Coach, der seit über 30 Jahren im Geschäft ist, hat man natürlich einiges erlebt und sich durch das Erlebte auch verändert. "Das würde ein ganzes Buch füllen", antwortet er auf die Frage, wie genau er sich denn gegenüber früher verändert habe. "Ich musste in vielen Trainingsbereichen eine ständige Anpassung vornehmen. Die taktischen Anforderungen sind immer umfangreicher geworden, die technische Ausstattung hat meine Trainerarbeit verändert und der Anteil der Öffentlichkeitsarbeit hat sich enorm gesteigert. Der Fussball hat in allen Facetten an Geschwindigkeit zugelegt." Das aber stört ihn nicht. "Grundsätzlich habe ich mich damals wie heute immer als ein Impulsgeber und teilweise Vorreiter gesehen. Daran hat und wird sich nichts ändern. Neue und vor allem bessere Wege einzuschlagen, ist für mich eine Freude."

Da ist es hilfreich, dass der Fussballlehrer erkannt hat, dass er nicht nur dazu da ist, seinen Spielern etwas beizubringen, sondern gleichzeitig auch von ihnen lernen kann. "Eigentlich habe ich permanent von meinen Spielern lernen können", erinnert der Rheinländer sich. "Morten Olsen hatte mir früh seine Vorstellungen über attraktiven Offensivfussball in vielen Einzelgesprächen mitgeteilt. Von ihm habe ich viele Akzente im Umschaltspiel übernommen. Pierre Littbarski hat mir beigebracht, wie man mit etwas mehr Gelassenheit und Souveränität erfolgreich sein kann. Michael Ballack hatte mir die Bedeutung der Flexibilität eines Spielers und der gesamten Mannschaft zu einem Zeitpunkt verdeutlicht, als wir uns noch sehr am Positionsspiel orientierten. Roberto Carlos hatte mir eindeutig demonstriert, wie wichtig das ständige Üben von Standardsituationen ist."

Nun geht es in der Gruppe E der Qualifikation zur FIFA Fussball-WM 2018 gegen Polen, Dänemark, Armenien, Montenegro und Kasachstan. "Ich weiß alles Notwendige über unsere Qualifikationsgegner. Jeder, der gegen uns antritt, wird hochmotiviert sein. Es liegen zehn schwierige Finalspiele vor uns, in denen wir immer wieder über unsere jetzigen Grenzen gehen müssen, um als Sieger den Platz zu verlassen", so Daum vor dem Auftaktspiel am Sonntag zuhause gegen Montenegro. "Nur als vereintes Team auf und außerhalb des Platzes wird uns die direkte Qualifikation gelingen. Ich bin überzeugt, das jeder rumänische Spieler für die WM-Qualifikation in dieser starken Gruppe sein Bestes geben wird."