Freitag 06 August 2021, 11:00

Die Konkurrenten um die Goldmedaille unter der Lupe der FIFA-Experten

  • Die FIFA-Experten unterstreichen den starken Teamgeist Spaniens und das gute Umschaltspiel Brasiliens

  • Hoch postierte Außenverteidiger können für Gefahr sorgen

  • Pascal Zuberbühler über die Torhüter Unai Simon und Santos

Mit Brasilien und Spanien bestreiten zwei internationale Schwergewichte das mit Spannung erwartete Spiel um die Goldmedaille beim Olympischen Fussballturnier der Männer. Die technischen Experten der FIFA nehmen die Kontrahenten genau unter die Lupe und verweisen auf die wichtigsten Qualitäten, die sie auf dem Weg ins Finale gezeigt haben.

Christian Gross (Technischer Experte der FIFA)

Obwohl alle vier Teams im Halbfinale etwas erschöpft wirkten, erwarte ich am Samstag ein spannendes Finale, da Brasilien und Spanien positiv an das Spiel herangehen werden. Beide Mannschaften werden zweifellos versuchen, das Spiel von hinten aufzubauen, wobei die Außenverteidiger eine zentrale Rolle spielen werden. Auf dem Spielfeld werden große Persönlichkeiten zu sehen sein: Dani Alves, der in seiner Karriere über 40 Titel gewonnen hat, ist das beste Beispiel. Er wird mit Sicherheit als gutes Vorbild für seine Teamkameraden fungieren.

Der Erfolg Spaniens ist das Ergebnis eines starken Teamgeistes und einer Mentalität, die das Kollektiv über den Einzelnen stellt. Diese Eigenschaften werden durch die hervorragende Arbeit des Trainers ergänzt.

Technisch dürfte dieses Finale auf einem sehr hohen Niveau ausgetragen werden. Taktisch wird es kaum Überraschungen geben. Beide Teams werden mit einer Viererkette spielen. Aufgrund der Länge des Turniers und der schwierigen Witterungsbedingungen dürfte dies eines der Spiele werden, in dem die Spieler wirklich alles geben müssen, um die Goldmedaille zu erringen. Es ist eher unwahrscheinlich, dass diese Spieler nochmals ein olympisches Finale bestreiten und dessen werden sie sich auch bewusst sein. Ich hoffe auch, dass derart bedeutende Spiele in naher Zukunft wieder vor vollen Rängen ausgetragen werden können.

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Steve McClaren (Technischer Experte der FIFA)

Die Spanier werden versuchen, über den Ballbesitz das Spiel zu dominieren, so wie sie es während des gesamten Turniers getan haben. Dies beginnt mit dem Spielaufbau, der meist über die beiden Innenverteidiger und den defensiven zentralen Mittelfeldspieler läuft. Die beiden offensiven Mittelfeldspieler werden versuchen, zwischen den Linien des gegnerischen Mittelfelds und der Abwehr zu agieren, während die spanischen Außenverteidiger sich relativ weit vorn positionieren dürften. Es bleibt abzuwarten, ob sich Spanien für den Torjäger Rafa Mir oder für eine falsche 9 im Sturmzentrum entscheiden wird. Dieser Spieler wird zusammen mit den offensiven Mittelfeldakteuren und den Flügelspielern (7 und 11) eine tragende Rolle beim Erzielen von Toren spielen, da ihre Durchbrüche durch die brasilianische Abwehr entscheidend sein werden.

Flanken und Rückpässe von den Außenverteidigern, insbesondere vom hoch positionierten linken Außenverteidiger, sind weitere Möglichkeiten, wie Spanien dem Gegner gefährlich werden kann. Es ist wichtig, dass bei solchen Aktionen genügend spanische Spieler im Strafraum sind. Außerdem hat die Roja ja schon bewiesen, dass ein effektives Gegenpressing der Stürmer und offensiven Mittelfeldspieler zu Torchancen führen kann. Eine Schwachstelle dieser Mannschaft ist allerdings das Umschaltspiel: Die Qualität der brasilianischen Mannschaft in diesem Bereich kann die Räume neben den Innenverteidigern ausnutzen. Interessant wird, wie Spanien mit der stark ausgeprägten Physis des brasilianischen Spiels zurechtkommen wird.

Brasilien wird wie üblich mit einer 4-2-3-1-Formation spielen, wobei der linke Außenverteidiger bei entsprechenden Gelegenheiten hoch aufrücken wird, um die Formation offensiver auszurichten. Die Brasilianer werden sich entscheiden müssen, ob sie Angriffspressing oder konventionelles Mittelfeldpressing spielen wollen. Dieser Aspekt könnte von großer Bedeutung sein, da Spanien bisher noch keinen Gegner hatte, der schon hoch mit dem Pressing begann. Die Innenverteidiger werden versuchen, lange Bälle hinter die spanische Abwehr zu spielen, um das Tempogefälle zwischen Spaniens Innenverteidigern und Brasiliens Stürmern auszunutzen. Die Südamerikaner werden Tore am ehesten durch ihr dominantes Umschaltspiel, verschiedene Kombinationen rund um den Strafraum, wie Dribblings, Doppelpässe und Läufe durchs Mittelfeld, oder durch Flanken und Rückpässe der beiden Außenverteidiger - insbesondere der Nummer 3 - erzielen.

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Pascal Zuberbühler (FIFA Torhüter-Experte)

Im selben Sommer an der UEFA-Europameisterschaft und an den Olympischen Spielen teilzunehmen, ist eine beeindruckende Leistung. Unai Simons Können und sein Potenzial wurden bei der EURO in vollem Umfang sichtbar, als er seiner Mannschaft zum Erreichen des Halbfinales verhalf. Seitdem hat sich Simon stets als wertvoller Aktivposten für Spanien erwiesen und eine Schlüsselrolle auf dem Weg ins Finale gespielt.

Sein Stellungsspiel und seine Antizipation sind seine Stärken. Er besitzt die Fähigkeit, lange Bälle abzufangen, die für seine Verteidiger unerreichbar sind, und hat den Mut, die Linie zu verlassen und sie zu klären. Mit seiner Abwehr harmoniert er vorbildlich. Er kommuniziert gut und ist Dreh- und Angelpunkt beim Spielaufbau aus der Abwehr heraus. Simon ist nicht unbedingt für große Paraden bekannt, aber die Art und Weise, wie er seine Arbeit verrichtet, macht deutlich, dass er ein sehr starker Torhüter ist.

Brasiliens Schlussmann Santos hat ebenfalls bewiesen, dass er ein Torhüter auf höchstem Niveau ist, der auch in großen Spielen bestehen kann. Seine entscheidende Rettungstat im Elfmeterschießen gegen Mexiko im Halbfinale zeigt, wie stark er auf der Linie ist und beweist, dass sich sein Team in entscheidenden Momenten auf ihn verlassen kann. Da Santos bereits in der vorherigen Runde ein Elfmeterschießen erlebt und siegreich abgeschlossen hat, könnte er einen psychologischen Vorteil haben, falls das Finale ebenfalls erst im Elfmeterschießen entschieden werden sollte.

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Javier Mascherano (Technischer Experte der FIFA)

Die beiden wohl besten Mannschaften des Turniers haben es bis ins Finale geschafft.

Spanien hat sich vorgenommen, offensiven Fussball zu spielen und zu versuchen, das Spiel zu kontrollieren, indem man den Ball in den eigenen Reihen hält und dann den Gegner durch geschickte Kombinationen aushebelt. Diese Spielweise ist schon seit vielen Jahren Teil der fussballerischen Identität der spanischen Nationalmannschaft, und es ist unwahrscheinlich, dass sie sich davon allzu weit entfernen wird. Wenn es den Spaniern gelingt, im letzten Drittel gut zu kombinieren und die sich daraus ergebenden Chancen konsequent zu nutzen, werden sie im Finale am Samstag ein schwieriger Gegner sein.

Brasilien ist eine sehr offensiv eingestellte Mannschaft mit hochkarätigen Spielern und viel Erfahrung. Die Brasilianer haben eine sehr stabile Defensive und beeindruckendes Potenzial in der Offensive und sie haben gezeigt, dass sie auch mit Druck umgehen können. Ein weiterer wichtiger Aspekt besteht darin, dass mehrere Spieler im Team stehen, die schon mehrfach Endspiele bestritten haben. Diese Erfahrung ist von unschätzbarem Wert, da diese Spieler ihre weniger erfahrenen Mitspieler in den entscheidenden Phasen des Spiels führen können. Die Partie kann sehr interessant werden, wenn sich Brasilien dafür, die spanische Hintermannschaft früh zu pressen, die bisher noch nicht auf diese Weise gefordert wurde. Sollten die Brasilianer versuchen, Spanien den Ballbesitz hoch stehend streitig zu machen, könnte sich ein sehr schönes Spiel entwickeln.

Ich bin sicher, dass wir ein faszinierendes Finale zwischen zwei Mannschaften erleben werden, die stets mit starkem Drang zum Tor agieren.

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