Sonntag 04 Juli 2021, 08:35

Fernando Batista: Der Traum vom Gold

  • Trainer der argentinischen Olympiaauswahl

  • Er spricht über seine Vorfreude, die Vorbereitung, die Kaderliste und das Ziel

  • Wertvoller Rat von seinem Bruder, der Olympiasieger wurde

Jedes Mal, wenn Fernando Batista bei seinem Bruder Sergio zu Besuch ist, schaut er sich die Goldmedaille an und beginnt zu träumen. "Ich schaue sie mir sehnsüchtig an und denke mir 'Hoffentlich kann ich mir bald selbst eine umhängen'", erklärt der Trainer der argentinischen Olympiaauswahl, die beim Olympischen Fussballturnier der Männer Tokio 2020 antritt, im Gespräch mit FIFA.com. "Ich mache das, um mir immer wieder bewusst zu machen, dass es möglich ist und wir hart arbeiten müssen, um sie zu bekommen." Der 50-jährige ehemalige Verteidiger war als Spieler bei der U-20-Weltmeisterschaft 1989 dabei. Er ist der jüngere Bruder von Sergio Batista, dem Trainer des Teams, das mit Lionel Messi, Javier Mascherano, Ángel di María und Sergio Aguëro 2008 in Peking die Goldmedaille gewann. Zum damaligen Zeitpunkt hatte Fernando schon seit acht Jahren auf Vereinsebene mit Jugendteams gearbeitet. 2017 übernahm der dann den Posten des Assistenztrainers bei der argentinischen U-20-Auswahl und reiste mit dem Team zur WM dieser Altersklasse. Nach einem kurzen Intermezzo bei den U-18- und U-19-Teams Armeniens kehrte Batista 2018 zur argentinischen U-20-Auswahl zurück, dieses Mal als Cheftrainer. 2019 belegte er mit dem Team bei der Südamerikameisterschaft den zweiten Platz und zog noch im selben Jahr bei der U-20-WM in Polen ins Achtelfinale ein. Seine Erfolge brachten ihm den Posten bei der U-23 ein, mit der er das vorolympische Turnier der Conmebol und die Panamerikanischen Spiele gewann. Kurz vor dem Auftaktspiel der Argentinier in Sapporo unterhielt er sich mit FIFA.com.

Seit der Qualifikation sind 16 Monate vergangen und es gab viel Unsicherheit rund um die Olympischen Spiele. Wie sind Sie mit der Anspannung umgegangen? Ich bin eigentlich kein nervöser Mensch. Es kommt mir vor, als sei die Qualifikation schon fünf Jahre her! Aus spielerischen Gründen ist es sehr schade, dass wir nicht vier Monate später spielen konnten. Jetzt ist die Unsicherheit vorbei, und langsam macht die Anspannung mir zu schaffen, weil es ein harter Kampf war, so weit zu kommen. Allerdings werden das keine normalen Olympischen Spiele werden und wir werden für unsere Olympia-Teilnahme inmitten der Pandemie in Erinnerung bleiben. Wie konnten Sie unter diesen Umständen planen? Wir mussten uns anpassen. Selbst heute müssen wir noch sehr anpassungsfähig sein, denn du weißt zwar, welche Spieler du einsetzen möchtest, aber nicht, ob sie am Ende auch wirklich verfügbar sind. Du brauchst also einen Plan A, aber auch einen Plan B, C, D und E. Für eine Weile mussten wir all unsere Pläne beiseite legen und warten, aber ich glaube, wir haben die Zeit gut genutzt und uns alle auf individueller Ebene verbessert.

Fernando Batista of Argentina is seen during the U-24 international friendly

Wie haben Sie es geschafft, Ihr Konzept und Ihre Taktik an die Spieler weiterzugeben? Ich haben einen Vorteil, denn die meisten Spieler haben schon früher unter mir gespielt, entweder bei der U-20-Südamerikameisterschaft 2019, die als Qualifikation für die WM in Polen fungierte, bei den Panamerikanischen Spielen in Lima oder beim vorolympischen Turnier. Sie kennen mich, wissen, wie ich arbeite, wie ich die Dinge regele und was ich auf und neben dem Platz von ihnen erwarte. Das ist natürlich keine Garantie, aber ich habe sie ja ebenfalls kennengelernt und weiß, wie ich zu ihnen durchdringe und das Beste aus jedem Einzelnen herausholen kann. Außerdem sind wir natürlich immer in Kontakt geblieben. Gibt es einen Aspekt, an dem Sie in der letzten Vorbereitungsetappe für Olympia gern noch länger gearbeitet hätten? Ich hätte gern mehr Zeit gehabt, um Spiele zu bestreiten, um Zweifel zu beseitigen und den Neulingen mehr Chancen zu geben. Eine Ergebnisgarantie bekommst du dadurch nicht, aber es erleichtert die Arbeit in dieser letzten Phase. Die Pandemie bringt auch neue mentale Herausforderungen mit sich, durch die Vorsichtsmaßnahmen und die Angst sich mit COVID-19 anzustecken. Wie wollen Sie damit umgehen? Wir waren vor zwei Monaten für einige Freundschaftsspiele in Tokio, und das Protokoll war sehr streng. Wir durften noch nicht einmal in die Lobby des Hotels und hatten einen eigenen Aufzug. Man möchte den Spielern natürlich gern die Möglichkeit geben, zwischendurch einfach mal abzuschalten, und ich weiß nicht, ob das möglich sein wird. Also nehmen wir eine Spezialistin mit, die mit den Sportlern arbeiten wird – und mit uns natürlich auch!

Unser erstes Ziel ist es, um die Medaillen mitzuspielen. Und wenn du so weit kommst, willst du natürlich Gold. Das ist der Traum.
Fernando Batista

Australien, Ägypten und Spanien heißen Ihre Gegner – in dieser Reihenfolge. Wie bewerten Sie Ihr Los? Ich gehöre nicht zu denen, die sich bei Auslosungen bestimmte Gegner wünschen, denn im Fussball ist zwei plus zwei nicht immer vier. Wenn du große Titel gewinnen willst, musst du darauf vorbereitet sein, gegen jeden Gegner zu gewinnen. Wenn du eine scheinbar "leichte" Gruppe erwischt und dann kommt Deutschland, was machst du dann? Neu auslosen? Ich analysiere gern sehr gründlich die erste Partie, denn die anderen beiden kann ich besser vor Ort analysieren. Ich kann viele Informationen über Spanien oder Ägypten bekommen, sogar Daten dazu, welche Seiten die Innenverteidiger abdecken oder welcher Fuß der stärkere eines Stürmers ist. Aber aufgrund der Pandemie haben weder wir noch die anderen Teams viel gespielt. Deshalb ist es schwierig, das Kollektiv zu analysieren. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, wie ich die Spanier ausbremsen kann, dann nützt mir das gegen Australien nichts. Das Spiel gegen Australien ist im Augenblick mein Finale. Während andere sich schwertun, jemanden zu finden, mit dem sie über die Bedeutung der Olympischen Spiele sprechen können, haben Sie Ihren Bruder Sergio. Erzählen Sie uns etwas über die Gespräche mit ihm. Es ist wirklich ein Vorteil, dass ich mit ihm darüber sprechen kann. Schließlich hat er nicht nur olympisches Gold gewonnen, sondern ist als Spieler auch noch Weltmeister und Vizeweltmeister geworden. In unseren letzten Gesprächen ging es um den Kader. Ich wollte zum Beispiel wissen, wie viele Spieler er für die einzelnen Positionen ausgewählt hätte. Solche Einzelheiten eben.

Argentina coach Sergio Batista talks with Lionel Messi during the Beijing 2008 Olympic Games

Und welche Ratschläge hat er Ihnen gegeben? Vor allem hat er mir gesagt, dass es darauf ankommt, genau zu wissen, was man will. Das ist wichtiger, als die Erfahrungen anderer. Und dann soll ich die Spiele auf jeden Fall genießen, denn er hat das nicht getan. Sie waren damals ein paar Tage im Olympischen Dorf, und dort sind ihm [Rafael] Nadal, Kobe Bryant und einige andere über den Weg gelaufen. Aber er war so mit seinen eigenen Dingen beschäftigt, dass ihm die Dimension des Ganzen erst später richtig bewusst geworden ist. Wegen der Pandemie wird die Situation bei uns eine andere sein, aber das habe ich mir gemerkt. Wenn es möglich ist, würde ich gern Fotos mit allen argentinischen Athleten machen. Das sind einzigartige Erinnerungen. Vielleicht konnte Ihr Bruder das Ganze nicht wirklich genießen, weil es angesichts von Spielern wie Messi, Mascherano, Agüero, Di María und [Juan Román] Riquelme um alles oder nichts ging. Was meinen Sie? Es ist schwierig zu sagen: 'Ich werde das jetzt einfach genießen', vor allem mit Argentinien, weil dort alle von dir erwarten, dass du gewinnst. Mir ist es auch so gegangen: Wir haben die Panamerikanischen Spiele und das vorolympische Turnier gewonnen, ich habe mir die Medaille um den Hals gehängt und es schien ein Moment wie jeder andere zu sein. Aber so ist es nicht! Du gehst in die Kabine, legst die Medaille weg und dir wird erst viel später bewusst, was du da erreicht hast. Es ist nicht einfach, Meister zu werden, erst recht nicht bei einem solchen Turnier. Wie gehen Sie mit dem Druck um, gewinnen zu müssen? Ich gehe nicht mit dem Gedanken an die Sache heran, dass es um Leben und Tod geht. Ich tue, was ich kann, um das bestmögliche Team zusammenzustellen, und versuche, die Goldmedaille zu gewinnen. Und zwar nicht mit der Einstellung: 'Wir sind Argentinien, wir werden gegen alle gewinnen', sondern mit harter Arbeit. Unser erstes Ziel ist es, um die Medaillen mitzuspielen. Und wenn du so weit kommst, willst du natürlich Gold. Das ist der Traum.

Fernando Batista of Argentina looks on