Dienstag 10 Dezember 2019, 07:49

Xavi: "Ich leide, wenn mein Team nicht in Ballbesitz ist"

  • Innerhalb weniger Monate ist Xavi Hernández bei Al Sadd vom Spieler zum Trainer aufgestiegen

  • Sein Team tritt am Mittwoch im Eröffnungsspiel der Klub-WM 2019 gegen Hienghène an

  • "Ich leide, wenn mein Team nicht in Ballbesitz ist"

Xavi Hernández, der das Turnier mit dem FC Barcelona zweimal gewann (2009 und 2011) kehrt dieses Jahr zur FIFA Klub-Weltmeisterschaft zurück. Er ist mittlerweile Trainer des katarischen Klubs Al Sadd, für den er in den letzten vier Spielzeiten als Spieler aktiv war. Nachdem er die Fussballschuhe im Mai an den Nagel gehängt hatte, nahm er direkt auf der Trainerbank Platz.

In einem Exklusivinterview spricht der Spanier, der mit der Nationalmannschaft seines Landes 2010 in Südafrika Weltmeister wurde, zweimal die Europameisterschaft gewann und unter Pep Guardiola zu den Leistungsträgern des FC Barcelona gehörte, unter anderem über seinen Wechsel vom Spielfeld auf die Trainerbank, seine Vision vom Fussball sowie über Erinnerungen an die Klub-WM.

Xavi, was können Sie uns über den Übergang vom Rasen auf die Trainerbank sagen? Das ging alles so schnell, dass ich gar keine Zeit hatte, darüber nachzudenken. Jetzt trage ich mehr Verantwortung. Als Spieler musst du trainieren und gut arbeiten und brauchst dir über nichts anderes Gedanken zu machen. Jetzt bin ich für eine Gruppe von 40 bis 50 Personen verantwortlich, muss das Training vorbereiten, mir Gedanken über die Gegner machen und darüber, wie ich spielen, angreifen und verteidigen will, über die Taktik eben. Das sind viele Aspekte, aber mir macht es Spaß. Schließlich geht es hier um Fussball, und ich bin ziemlich fussballverrückt. Deshalb gefällt es mir.

War es nicht zuerst komisch, die Spieler zu trainieren, die kurz vorher noch Ihre Teamkameraden waren? Sie kennen mich schon seit vier Spielzeiten und ich kenne sie. Das ist auch ein Vorteil. Ich versuche, ganz natürlich zu sein, ehrlich, direkt ... einfach auf Augenhöhe mit ihnen zu sprechen. Ich habe ihnen gesagt, dass wir da sind, um ihnen dabei zu helfen, Spaß zu haben und zu gewinnen. So sehe ich den Fussball. Und dann muss ich natürlich entscheiden, wer spielt. Viele sind sicher wütend auf mich, weil sie nicht spielen, aber das gehört dazu, oder? Ich versuche, gerecht zu sein.

Und wie ist Xavi als Trainer? Ich leide, wenn mein Team nicht in Ballbesitz ist. Das war schon als Spieler so. Als Trainer möchte ich, dass mein Team das Spiel dominiert und das ist der Fall, wenn du den Ball hast. So habe ich es sowohl bei Barça als auch in der Nationalmannschaft gelernt.

Mein Konzept sieht so aus: viel Ballbesitz, keine Spekulationen, in die Offensive gehen. Je mehr Chancen wir herausspielen, desto mehr Möglichkeiten haben wir, das Spiel zu gewinnen. Allerdings hat es mich selbst überrascht, wie viel ich über das Thema Defensive nachdenke. Darüber grübele ich viel herum, denn in den 30 bis 40 Prozent der Spielzeit, die du nicht in Ballbesitz bist, musst du mehr arbeiten. Ich nehme an, das gehört zum Trainerwerden dazu.

Die Spielweise ist also "nicht verhandelbar" und entspricht der, die Sie vom FC Barcelona und von der spanischen Nationalmannschaft kennen. Möchten Sie dass diese Spielweise das Markenzeichen aller Teams wird, die Sie trainieren? Ja, daran gibt es keinen Zweifel. Ich verstehe einfach nichts von Fussball, der nicht auf Ballbesitz ausgerichtet ist. Und um in Ballbesitz zu kommen, muss man hohes Pressing betreiben und den Ball schnell zurückerobern, indem man nach Ballverlusten viel Druck macht. Darauf sind meine Trainingseinheiten ausgerichtet. Diese Spielweise ist für mich nicht verhandelbar. Natürlich muss man in Abhängigkeit vom Gegner über Angriffs- und Abwehrspiel entscheiden, aber ich möchte nicht, dass meine Teams sich hinten einigeln oder spekulieren.

So wird man Al Sadd, zumindest theoretisch, bei der Klub-WM spielen sehen, und ich möchte bei keinem meiner Teams eine andere Spielweise sehen.

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Der erste Gegner heißt Hienghène Sports, aber es ist sicher schwer, nicht von einem Halbfinale gegen den FC Liverpool zu träumen. Das wäre für uns der Jackpot, denn dann hätten wir zuerst den Ozeanienmeister und dann den Champion der CONCACAF, nämlich Monterrey, besiegt. Wir haben Monterrey analysiert, und das ist eine sehr hochklassige Mannschaft. Wir wären gegen das Team nicht in der Favoritenrolle. Falls wir tatsächlich ins Halbfinale gegen Liverpool einziehen, würden wir gegen eine der drei besten Mannschaften der Welt antreten. Natürlich ist das Halbfinale ein Ziel für uns, aber man muss auch ehrlich sein: Das wird sehr schwer werden.

Der Fussball entwickelt sich immer weiter, und derzeit wird viel Wert auf schnelles Umschaltspiel im Angriff und in der Abwehr sowie auf Standardsituationen gelegt. Ist dieser Fussball kompatibel mit Ballbesitzfussball? Ja. Es gibt viele Dinge, an denen man arbeiten muss, nicht nur am Ballbesitz. Ich will so viel Ballbesitz wie möglich, aber dann spielen natürlich auch strategische Spielzüge und Standardsituationen eine Rolle. Auch damit beschäftigen wir uns ganz ausführlich. Das Umschaltspiel ist super wichtig. Es ist einfach wunderbar zu sehen, wie Liverpool Konter spielt. Oder auch Barça unter Luis Enrique. Wir haben vielleicht etwas zurückgezogener gespielt und sind dann mit dem Trio Neymar, Suárez und Messi in die Räume vorgestoßen.

Wir trainieren das Umschaltspiel sowohl im Angriff als auch in der Abwehr, beschäftigen uns damit, wie wir Konter aufhalten können. Im Training müssen viele Aspekte berücksichtigt werden, ohne von der eigenen Spielweise abzuweichen.

Gibt es einen Trainer, dessen Methodik Sie besonders bewundern auch wenn sie vielleicht ganz anders ist als Ihre eigene? Da ich jetzt weiß, welche Schwierigkeiten dieser Beruf mit sich bringt, bewundere ich alle Trainer, die zum Beispiel bei einem Klub einen Umbruch geschafft haben. Die Spielweise von [Diego] Simeone entspricht nicht meiner eigenen, aber ich bewundere ihn trotzdem für das, was er mit Atlético Madrid erreicht hat. Er, Guardiola, [Jürgen] Klopp ... Jeder hat seinen eigenen Stil, und sie alle haben ihren Teams ihren Stempel aufgedrückt. Und dann wären da noch Luis Aragonés, Vicente del Bosque, Luis Enrique, die sich als Trainer in ihren Teams widerspiegeln.

Von Ihnen wurde schon als Spieler gesagt, dass Sie das Zeug zum Trainer hätten. Gab es im Laufe Ihrer Karriere einen Trainer, der Sie besonders geprägt hat? Von Van Gaal bis hin zu Luis Enrique, Guardiola, Del Bosque und Aragonés … Ich habe während meiner Spielerkarriere praktisch mit den besten Trainern der letzten 20 Jahre zusammengearbeitet. Das ist ein Riesenvorteil. Und ich habe viele Dinge von ihnen übernommen, von taktischen Aspekten bis hin zu Strategien für Einzelgespräche oder die Mannschaftsführung.

Mit Guardiola stehe ich noch immer in Kontakt, und er hilft mir viel bei Aspekten der Mannschaftsführung. Ich stütze mich da sehr auf ihn. Auch auf Joan Vilá, meinen Mentor bei Barça. Und dann hatte ich das Glück , in Katar auf Trainer wie Antonio Conte, [Massimiliano] Allegri, [Carlo] Ancelotti, Unai Emery, Niko Kovač zu treffen. Du schaust dir an, was sie machen, und entwickelst eigene Ideen.

Sie haben die Trainerausbildung gemeinsam mit ehemaligen Teamkameraden der Roja absolviert. Was können Sie darüber berichten? Der Trainerlehrgang hat sehr viel Spaß gemacht. Unterschiedliche Ideen und Spielkonzepte wurden erörtert, es gab viele Diskussionen, oder vielmehr fussballerische Debatten über die Spielbeherrschung, Ballbesitz, darüber, ob man ein Spiel auch ohne Ballbesitz dominieren kann. Wir hatten im Verband sehr gute Lehrer, und ich glaube, dass diese Generation mit Raúl, Xabi Alonso, Luis García, Albert Riera, Míchel Salgado, Víctor Valdés, Aitor López Rekarte und Co. noch von sich reden machen wird.

Xabi Alonso, Xavi Hernandez and goalkeeper Victor Valdes of Spain