Mittwoch 18 August 2021, 08:49

Barrabé und Marrucci – Die Experten haben das Wort

  • Morgen beginnt die FIFA Beach-Soccer-Weltmeisterschaft 2021™

  • Experten prognostizieren hohen Unterhaltungswert

  • Ein Gespräch mit Claude Barrabé und Matteo Marrucci von der TSG

Spektakulär, körperbetont, technisch – mit diesen Adjektiven wird der Beach-Soccer zurecht immer wieder beschrieben. Im Laufe der Jahre hat sich die Sportart von dem Klischee "Badehose, Strand, Ferien" befreit, das ihr vor langer Zeit anhaftete. Und es ist auch kein Zufall, dass die FIFA Beach-Soccer-Weltmeisterschaft, die am 19. August beginnt, in Russland, genauer gesagt in Moskau stattfindet, einer wunderschönen Stadt, die aber nicht gerade für ihre Strände bekannt ist! "Der Beach Soccer ist kein Strandsport, sondern ein Sandsport, hat Eric Cantona einmal gesagt. Ich bin ganz seiner Meinung. Der Strand ist ein ideales Umfeld für die Förderung dieser Sportart, aber wenn es um Hochleistungssport geht, braucht man eine echte Infrastruktur. Um diesen super Sport optimal auszuführen, ist eine den Normen entsprechende Spielunterlage aus Sand erforderlich. Und die wird es in Moskau geben", erklärt Claude Barrabé, Mitglied der Technischen Studiengruppe der FIFA (TSG). Der ehemalige Torwartprofi und spätere französische Nationaltrainer im Beach Soccer wird gemeinsam mit dem ehemaligen italienischen Nationalspieler Matteo Marrucci als FIFA-Experte über die Weltmeisterschaft berichten. FIFA.com hat kurz vor Turnierstart mit den beiden Technikexperten gesprochen.

Welche einschneidenden Veränderungen gab es in den letzten 15 Jahren im Beach Soccer? Claude Barrabé: Taktisch hat es eine große Entwicklung gegeben. Der Beach Soccer ist viel strukturierter als früher. Einige Teams aus Europa und Südamerika praktizieren einen sehr hochklassigen Beach Soccer, mit unterschiedlichen Spielsystemen und konstruktivem Spielaufbau. Aber Taktik und Technik allein reichen heute nicht mehr aus. Man braucht auch eine hervorragende Kondition, und das haben vor allem die großen osteuropäischen Nationen erkannt. Auch die Einstellung hat sich geändert, und die Teams bereiten sich jetzt sehr professionell vor. Zu meiner Zeit war alles lockerer! Matteo Marrucci: Der taktische Aspekt spielt im modernen Spiel auf jeden Fall eine wichtige Rolle. In der Vergangenheit war das Ganze instinktiver. Die technische Qualität der Spieler und die körperlichen Anforderungen auf höchstem Niveau haben eine rasante Entwicklung dieser Sportart ermöglicht. Heute gibt es Spieler, die sich ganz auf den Beach Soccer spezialisiert haben. Früher war das anders! Da gab es Fussballer, die dann zum Teil noch Beach Soccer spielten. Die Ausnahme war Brasilien, denn dort gab es schon sehr früh eine große Zahl von Spezialisten.

ead coach Claude Barrabe

Ist ein guter Fussballer auch automatisch ein guter Beach-Soccer-Spieler? Claude Barrabé: Grundsätzlich nicht! Es gibt aber Ausnahmen, nämlich taktisch und technisch intelligente Spieler, die sich schnell an die neue Spielunterlage gewöhnen. Ich denke da natürlich an Eric Cantona. Es geht darum, barfuß zu spielen und sich an das neue Umfeld anzupassen. Ein intelligenter Spieler kann das schaffen. Matteo Marrucci: Jeder Beach-Soccer-Spieler hat vorher in der einen oder anderen Form Fussball gespielt. Aber Weltklasse-Fussballer können nicht sicher sein, dass sie auch gut Beach Soccer spielen können, bevor sie es nicht ausprobiert haben. Man muss sich mit dem Sand vertraut machen und herausfinden, wie man seine Qualitäten vom Gras auf den Sand überträgt. Das ist ein unumgänglicher Prozess ...

Cantona Beach Soccer WC

Haben bestimmte Teams oder Kontinente ihren ganz eigenen Stil? Claude Barrabé: Absolut. In Afrika, einem Kontinent, den ich gut kenne, weil ich dort 2015 mit Madagaskar den Afrikanischen Nationen-Pokal gewonnen habe, wird zum Beispiel sehr direkt gespielt. Ich habe damals versucht, einen europäischen Touch hereinzubringen, weil wir in Europa und Südamerika Teams sehen, die besser strukturiert sind und das Spiel versiert von hinten aufbauen. Matteo Marrucci: Brasilien und Portugal haben eine sehr ähnliche Spielweise, das haben wir zumindest bei den beiden letzten Weltmeisterschaften festgestellt. Sie bauen auf individuelle Stärken, auf Einzelspieler, die sowohl in Eins-gegen-Eins-Situationen als auch im Kollektiv stark sind. Andererseits spielt der Torhüter kaum eine Rolle beim Spielaufbau, im Gegensatz zu Teams wie der Schweiz, Tahiti oder Senegal, bei denen der Torwart allgegenwärtig ist. Andere Mannschaften liegen irgendwo dazwischen, ich denke da an Japan, das systematisch das 2-2-Spielsystem beibehält und im Spielaufbau variiert. Ich kann es kaum erwarten, all diese Teams auf dem Sand von Moskau zu sehen!

Gibt es heute ein bevorzugtes Spielsystem? Claude Barrabé: Es gibt kein klassisches Spielsystem. Jedes Team hat seine eigene Spielweise. Die Spielsysteme werden jeweils an den Spielern ausgerichtet, die den Trainern zur Verfügung stehen. Bevorzugt werden 2-2-, 3-1- und 1-2-1-Systeme angewandt, aber die Teams sind heute in der Lage, mitten im Spiel das System zu ändern, um die Schwächen des Gegners auszunutzen. Nichts ist absolut festgelegt. Matteo Marrucci: Man kann nicht sagen, dass eine Taktik besser ist als die andere. Am Ende macht die individuelle Klasse der Spieler den Unterschied, und traditionell haben Teams wie Portugal und Brasilien sich in dieser Hinsicht immer ausgezeichnet. Sie hatten immer eine Vielzahl talentierter Spieler in ihren Reihen. Die neue Regel, wonach der Torhüter den Ball in der eigenen Hälfte nicht länger als vier Sekunden halten darf, dürfte Einzelspielern zugute kommen, die ihre Gegner mit einem Dribbling ausschalten können.

Bruno of Brazil scores with a spectacular overhead kick

Welchen Einfluss hat diese neue Regel auf das Spiel? Claude Barrabé: Sie hat viel verändert, das haben wir in der Qualifikation für diese WM gesehen. Das Spiel hat sich entwickelt, ist zwangsläufig schneller geworden. Wir sind zu einem direkteren Spiel zurückgekehrt, weil die Torhüter keine andere Wahl haben, als den Ball schnell nach vorne zu spielen. Diese Regel erfordert vom Torhüter heutzutage viel Ballgefühl. Mit dieser Regel wird er zu einem Bindeglied für die Verteidiger. Matteo Marrucci: Diese Regel verändert den BeachSoccer grundlegend! Meiner Meinung nach wird der Einfluss so groß sein, dass die Mannschaft, die sich am besten darauf einstellt, in Russland den Titel gewinnen wird.

Russia v Brazil : FIFA Beach Soccer World Cup Final - 11-Sep, 2011

Welches Team wird Ihrer Meinung nach in 15 Tagen Weltmeister sein? Claude Barrabé: Russland hat zu Hause immer eine Chance. Nicht zu vergessen sind auch Brasilien und der amtierende Weltmeister Portugal. Dieses Turnier stellt sich im Moment ganz offen dar, es könnte also durchaus auch ein afrikanisches Team für eine Überraschung sorgen! Matteo Marrucci: Diese Weltmeisterschaft wird sehr ausgeglichen sein, mit mehreren Titelanwärtern, darunter Brasilien, Portugal und Russland. Ich sehe dieses Trio auch als große Favoriten. Die Tatsache, dass Russland zu Hause antritt, könnte den entscheidenden Ausschlag für dieses ohnehin sehr starke Team geben. Wenn ich also eine Prognose abgeben soll, würde ich auf Russland tippen. Spanien hat auch eine Außenseiterchance. Seit sechs Jahren war das Team nicht mehr bei einer Weltmeisterschaft vertreten. Deshalb wollen sie ihre Sache unbedingt gut machen. Und dann würde ich natürlich noch Japan erwähnen. Die Japaner muss man immer auf dem Zettel haben! Aber vielleicht sorgt ja auch ein anderes Team für eine Überraschung und wir erleben eine dieser wunderbaren Geschichten, die der Sport manchmal schreibt.