Dienstag 30 Juni 2020, 08:43

"The Other Final": Einzigartiges Spiel zwischen Bhutan und Montserrat

  • "The Other Final" – Das andere Finale kam 2003 heraus

  • Der Dokumentarfilm handelt von einem einzigartigen Spiel zwischen Bhutan und Montserrat

  • Regisseur Johan Kramer spricht mit FIFA.com über die Erfahrung

Beim Fussball geht es um viel mehr als um Siege und Niederlagen. Es gibt noch viele andere Lektionen, die man aus diesem schönen Spiel ziehen kann. Das wurde auch in dem wunderbar realisierten Dokumentarfilm "The Other Final" – Das andere Finale deutlich.

Der niederländische Filmemacher Johan Kramer tat sich für dieses Projekt mit Matthijs de Jongh, einem Kollegen aus seiner Agentur KesselsKramer, zusammen. Beide waren frustriert über das Scheitern der Niederlande in der Qualifikation für die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ 2002. Da kam ihnen die Idee, ein Spiel zwischen den beiden Teams am unteren Ende der FIFA-Weltrangliste zu organisieren, damals Bhutan und Montserrat. Die Partie sollte am 30. Juni 2002 ausgetragen werden, demselben Tag wie das offizielle WM-Finale.

"Ich dachte, ein Dokumentarfilm über Niederlagen könnte interessant sein", so Kramer in einem Exklusiv-Interview mit FIFA.com. "Ich hatte schon immer ein Faible für Außenseitergeschichten im Fussball. Ich fand, Bhutan und Montserrat seien zwei Länder, die nichts gemein hatten – eine sehr ungewöhnliche Kombination also. Da wäre es doch super, wenn sie gegeneinander antreten könnten. Es war eine sehr naive Idee."

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In Kramers Augen war das in gewisser Weise eine erfundene Geschichte. Kramer und De Jongh sandten jeweils ein Fax an die Mitgliedsverbände, um deren Interesse an dem Spiel auszuloten. Weder in Bhutan noch in Montserrat war das Internet damals weit verbreitet. "Montserrat antwortete noch am gleichen Tag begeistert, Bhutan ließ sich hingegen drei Wochen Zeit, weil weise Buddhisten in Ruhe über so etwas nachdenken."

De Jongh, der Produzent des Projekts, ist praktizierender Buddhist und hatte Bhutan bereits bereist. Das sollte sich als hilfreich erweisen, denn er hatte Kontakte, die die Idee ausführlich erläutern konnten.

Von da an ging alles ganz schnell, und das Schicksal schien seinen Lauf zu nehmen. Die Idee hatten die beiden im Dezember 2001, was laut Kramer fast schon ein Vorteil war, weil "die Leute nicht viel Zeit hatten, darüber nachzudenken".

Der ganze Film hat etwas Traumhaftes an sich, und genau das war Kramers Intention. Er verknüpft die Realität mit Fantasie-Elementen. Beispielsweise stellte er in einigen Szenen die Träume der beiden Mannschaftskapitäne in der Nacht vor dem Spiel dar.

Außerdem haben Bhutan und Montserrat vollkommen unterschiedliche Kulturen. Die Spieler Montserrats suchten die örtliche Bibliothek auf, um Bhutan in einem Atlas und einer Enzyklopädie nachzuschlagen. Ein Aufeinandertreffen dieser beiden Teams war also wirklich etwas ganz Besonderes. Kramer ließ diesen Aspekt mit viel Fingerspitzengefühl einfließen.

Vom logistischen Standpunkt erwies sich die Filmproduktion als ausgesprochen schwierig. Die Reise des Teams von Montserrat nach Bhutan war allein schon eine enorme Herausforderung. Bhutan war als Gastgeber ausgewählt worden, weil die Spielbedingungen dort besser waren und auf Montserrat kurz zuvor ein Vulkan ausgebrochen war und einen Großteil der Insel verwüstet hatte. Die abenteuerliche Reiseroute sah folgendermaßen aus: Von Montserrat ging es nach Antigua, von Antigua nach St. Martin, von St. Martin nach Curaçao, von Curaçao nach Amsterdam, von Amsterdam nach Bangkok, von Bangkok nach Calcutta und von Calcutta nach Thimphu, der Hauptstadt Bhutans.

Die FIFA half dabei, kurzfristig einen Schiedsrichter für die Partie zu finden. Die Aufgabe übernahm schließlich der ehemalige Premier-League-Schiedsrichter Steve Bennett. "Das hat dem Film einiges an Dramatik verliehen!" Der Weltfussballverband sorgte außerdem dafür, dass die Partie in die Berechnungen für die FIFA-Weltrangliste einfloss.

"Für mich war es herzzerreißend zu sehen, wie sehr sich die beiden Teams ins Zeug legten, aber wenn du auf einer Insel lebst, die keinen guten Fussballplatz hat, wird es natürlich schwer", so Kramer. "Ich habe beide Teams sehr bewundert. Ich glaube, der Film gefällt auch vielen Leuten, die Fussball gar nicht mögen, weil es eigentlich eher eine Geschichte über den Menschen ist als eine Geschichte über Fussball.

Das Spiel hatte viele positive Ergebnisse. Schulen in Bhutan und Montserrat haben gemeinsame Projekte veranstaltet und die beiden Länder haben sogar eine gemeinsame Briefmarke herausgegeben.

"Das ist das Schöne am Fussball", so Kramer. "Er verbindet alle. Der Fussball ist eine universelle Sprache. Für mich ist es das schönste Spiel, das ich je gesehen habe."

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Der Spielverlauf

Zu Hause fühlt man sich bekanntlich wohler, und die Höhenlage war auf jeden Fall ein Vorteil für Bhutan. Kapitän Wangay Dorji erzielte per Kopf einen frühen Führungstreffer für den Gastgeber, und zur Halbzeit stand es 1:0.

"Die Hälfte der Einwohner Thimphus kam zu dem Spiel", meint Kramer. "Was dann in der zweiten Halbzeit passierte, war wirklich erstaunlich. Bhutan war auf der Siegerstraße, doch die Zuschauer fühlten sich deshalb irgendwie schuldig, denn als Buddhisten glaubten sie, dass es keinen Sieger geben sollte. Ein Unentschieden wäre in ihren Augen das beste Ergebnis gewesen, und deshalb feuerten sie den Gegner an."

Dank Dorji, der einen Hattrick erzielte, gewann Bhutan am Ende mit 4:0. Nach dem Abpfiff sangen Spieler Bhutans in einer beispiellosen Geste der Kameradschaft zu Ehren des Gegners einen Song, den das Team aus Montserrat ihnen beigebracht hatte, nämlich "Hot, Hot, Hot" vom einheimischen Künstler Arrow.

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Später kamen die beiden Teams dann in Thimphu zusammen, um sich gemeinsam das Finale der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2002 zwischen Brasilien und Deutschland im Fernsehen anzuschauen.

"Für mich persönlich war es etwas erschreckend, als einige Leute mir nach Abschluss des Drehs sagten, ich könne jetzt aufhören, denn dies werde sicherlich das außergewöhnlichste Projekt meines Lebens sein", erklärt Kramer. "Ich wollte das damals nicht hören, denn ich wollte noch viele weitere Filme machen."

"Aber 18 Jahre später muss ich sagen, dass sie wahrscheinlich recht hatten. Es ist das außergewöhnlichste Projekt, das ich je realisiert habe. Die ganze Dynamik hat gestimmt. Es gab so viele ungewöhnliche Momente. Es waren so viele, dass man sie gar nicht alle aufzählen kann."

Kramer ist mit dem Vorschlag an die FIFA herangetreten, das Konzept von "The Other Final" – Das andere Finale vielleicht alle paar Jahre erneut umzusetzen. Denkbar wäre es, das in Zukunft tatsächlich zu tun. Im Augenblick könnten wir in diesem Fall von einem Finale zwischen Anguilla und San Marino am 18. Dezember 2022 träumen.

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