Samstag 06 Juni 2020, 08:10

Sparv: "EURO-Qualifikation wird meine Karriere bestimmen"

  • Tim Sparv führte Finnland zu seinem ersten großen Turnier

  • Der Mittelfeldspieler ist außerdem Blogger, Kolumnist und Lese-Botschafter

  • Bei FIFA.com spricht er über seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft

"Der wichtigste Tag in meinem Leben." Das sind große Worte. Tim Sparv spricht sie gelassen aus.

Der besagte Tag war der 15. November 2019, als Finnland – die Mannschaft, deren Kapitän Sparv ist und für die er seit über zehn Jahren spielt – sich für die UEFA EURO 2020 qualifizierte. Für die finnische Nationalmannschaft der Männer ist es das erste große Turnier und fraglos ein großer Erfolg. Dennoch: Der wichtigste Tag im Leben? Wirklich?

"Da sich Finnland noch nie für ein wichtiges Turnier qualifiziert hat und es ein so großer Teil meiner Identität ist, für mein Land zu spielen, glaube ich tatsächlich, dass dies meine Fussballkarriere bestimmen wird", sagt Sparv bei FIFA.com. "Diesen Abend werde ich bestimmt nie vergessen."

"Von den Finnen heißt es ja, sie würden kaum Gefühle zeigen, seien bierernst und verzögen keine Miene – vielleicht denken die Leute dabei an Kimi Räikkönen [den "Eismann" genannten Formel 1-Fahrer] oder so. Aber an diesem Abend war wirklich alles völlig anders. Alles herzte sich, küsste sich, feierte wie verrückt."

"Es war für alle ein fantastischer Moment, ganz besonders aber für mich. Ich bin seit 18 Jahren im erweiterten Kreis der Nationalmannschaft, einige im Betreuerstab sind sogar seit über 40 Jahren dabei. Für uns ging also eine lange Durststrecke zu Ende."

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Nachdem Finnland also neun Jahrzehnte und 32 Qualifikationen auf sein erstes großes Turnier gewartet hatte, müssen sich Sparv und Kollegen nun noch etwas länger gedulden. Schuld daran ist COVID-19. Wegen der Pandemie wurde die Europameisterschaft bekanntlich um ein Jahr verschoben.

"Meine erste Reaktion auf die Absage war natürlich große Enttäuschung", gesteht der 33-Jährige. "Ich fand, wir hatten einen richtigen Lauf. Wir haben gut gespielt, wir hatten durch die Qualifikation das nötige Selbstvertrauen, und wir freuten uns auf das Turnier."

"Aber natürlich sehe ich, was momentan weltweit los ist und weiß, dass es Wichtigeres gibt als Fussball. Für uns bedeutet das, die EURO liegt erst einmal auf Eis, und wir müssen uns auf andere Dinge konzentrieren."

Sparv weiß nur zu gut um die Gefahren des Tunnelblicks bzw. die Vorteile des erweiterten Horizonts. In jungen Jahren war Fussball nicht nur Beruf und Leidenschaft für ihn, sondern sein kompletter Lebensinhalt. "Es wurde zu extrem", gab er unlängst zu. "Eine schlechte Trainingseinheit und der ganze Tag war im Eimer."

Inzwischen hat sich das grundlegend gewandelt und Sparv hat so viele andere Interessen, dass einem davon fast schwindelig wird. Er ist Botschafter für das Lesen, Zeitungskolumnist und Blogger. Seine Themen reichen von Klimawandel bis Menschenrechte. Auch seelische Belastung behandelte er kürzlich in seinem Blog. Sparv hält es für seine Aufgabe als finnischer Nationalmannschaftskapitän und einflussreicher Routinier bei seinem Verein Midtjylland, psychisch angeschlagenen Mitspielern zu helfen.

"Ich sehe das als Teil meines Berufs und bin der Meinung, alle erfahrenen Spieler sollten ein Auge darauf haben. Auf Fussballern lastet riesiger Druck und gerade für junge Spieler können die Erwartungen zu viel sein."

"Deshalb ist es wichtig, das richtige Umfeld zu schaffen – ein sicheres Umfeld, in dem sich die Jungs frei fühlen und über alles reden können. Für mich liegt außerdem auf der Hand, dass Spieler, die sich abseits des Platzes gut fühlen, auch bessere Leistungen bringen."

"Das war definitiv auch eine Stärke der Nationalmannschaft, denn der Trainerstab dort legt Wert darauf, die Spieler einzubinden, ihre Meinungen zu hören und darauf zu achten, dass wir alle hinter dem stehen, was wir tun. Das ist im Grunde sehr demokratisch und kommt uns entgegen. Ich mag die Verantwortung, die mir als Kapitän übertragen wird."

Seine Fähigkeit, in einem Buch oder einem Blog Erfüllung zu finden, machte den Shutdown wegen COVID-19 für Sparv immerhin erträglicher. Aber er hält sich nicht nur fit und pflegt seine anderen Leidenschaften, sondern bereitet sich mit seinem ersten Trainerlehrgang für die UEFA-B-Lizenz auch auf das Leben nach der Spielerkarriere vor.

Sparv sieht seine Zukunft definitiv "auf der Trainerbank". Aber noch hat er einige Spiele als Aktiver vor der Brust. Und wer weiß? Falls Finnland bei der EURO die eine oder andere Überraschung gelingt, gibt es vielleicht einen neuen wichtigsten Tag in Sparvs Leben.

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