Freitag 09 September 2016, 16:03

Ricardinho – Inspiration und Talent

Jeder Künstler hat seine Muse. Da bilden auch die Ballkünstler keine Ausnahme, die den Futsal zu einem einzigartigen Spektakel machen. "Meine Muse? Die erste war das Internet, vor allem YouTube", meint Ricardinho lachend im Gespräch mit FIFA.com.

Und wie es das Schicksal will, tauchen genau dort nun die Spielzüge und Tore auf, mit denen der Star der portugiesischen Auswahl Kenner dieser Sportart und Außenstehende gleichermaßen in Erstaunen versetzt. Sein grandioses Repertoire will er nun auch bei der WM 2016 in Kolumbien wieder abrufen, der dritten FIFA Futsal-Weltmeisterschaft seiner Karriere.

"Ich schaue mir auch einige Fussball-, Basketball- und Hallenfussballspieler an. Vor allem Falcão, der für mich immer ein Vorbild war", fügt der Flügelspieler hinzu, der kürzlich das 31. Lebensjahr vollendet hat. "Ah, und meine Freunde aus dem Freestyle-Bereich. Die machen unglaubliche Sachen!"

Das ist aus dem Mund von Ricardinho sicher ein besonderes Lob. Schließlich sagt das jemand, der blind perfekte Zuspiele abliefert, unglaubliche Tunnel spielt und immer für ein Traumtor gut ist. Einen solchen Treffer erzielte er beispielsweise bei der letzten Europameisterschaft gegen Gastgeber Serbien. Beim Spielstand von 0:1 wurde er auf der linken Flanke von einem Gegenspieler bedrängt, trickste ihn mit einer Finte aus, lupfte den Ball über den Gegenspieler hinweg und umrundete ihn gleichzeitig, ließ das Leder dann von der Brust abtropfen und beförderte es mit einem starken Volleyschuss ins Tor.

Wir wollten wissen, wie das ist, sich seine eigenen Traumtore noch einmal anzuschauen. "Ich bekomme eine Gänsehaut, zum Ersten, weil ich nicht weiß, wie oft ich so etwas wiederholen kann", erklärt der Spieler. "Zum Zweiten bin ich immer hin und weg, wenn ich die Gesichter meiner Teamkameraden sehe. Nach meinem Treffer gegen Serbien hatten alle die Hände über dem Kopf zusammengeschlagen und einige wussten gar nicht recht, ob sie zu mir hinlaufen sollten. Der einzige, der das Tor feierte, war ich selbst!"

"Außerdem ist es ein sehr schönes Gefühl, wenn 12.000 Zuschauer, die dich auspfeifen, weil du ihr Team in Bedrängnis bringst, dir plötzlich applaudieren. Beim Hallenfussball bekommt man von den Leuten Anerkennung, wenn sie etwas Schönes sehen. Und es gibt keine bessere Auszeichnung als den Respekt derjenigen, die bezahlen, um sich die Spiele anzuschauen."

Der Gegner, er selbst und das Team Laut Ricardinho zeigen seine Aktionen auch die eigene Wertschätzung und die des Gegners. "Für mich ist es wichtig, so etwas in schwierigen Situationen zu probieren. Es ist einfach, wenn die Dinge gut laufen oder man auf der Siegerstraße ist. Ich versuche das auch noch, wenn wir verlieren, mit viel Respekt vor dem Gegner. Ich glaube, das ist in diesem Fall das beste Mittel. Ich spiele gerne so."

Manchmal ist er überrascht von seinen eigenen Aktionen. Daher nimmt er es auch hin, dass die Gegner versuchen, ihn durch Stöße und Trikotziehen aufzuhalten. "Niemand möchte bei einer Finte, einem Lupfer oder Heber stocksteif und machtlos dastehen. Ich kann das wegstecken, solange die Grenzen des Fairplay nicht überschritten werden", meint er humorvoll.

Ähnlich respektvoll ist er, wenn er auf der anderen Seite steht. "Ich sehe gern Spieler von solcher Qualität, und für sie hat es noch einen anderen Wert, wenn ihnen gegen mich eine schöne Aktion gelingt. Manchmal habe ich sogar Lust, ihnen die Sache zu erleichtern."

Aus all diesen Gründen gilt er als natürlicher Nachfolger von Falcão, ein Vergleich, der ihn keinesfalls schreckt. "Ich wollte nie besser sein als er! Wir sind Freunde, und ich habe sogar eine Tätowierung von ihm auf der Wade. Ich möchte Spuren hinterlassen, selbst Geschichte schreiben. Wenn ich einmal aufhöre, möchte ich, dass die Leute sagen: 'Hallenfussball, das ist Ricardinho'."

Mit demselben Engagement stellt er sich auch in den Dienst der Mannschaft. "Vor allem ist mir wichtig, dass mein Team gewinnt. Dazu möchte ich so viel wie möglich beitragen: Tore, Vorlagen oder auch den Gegner auf mich ziehen, damit ein Teamkamerad sich frei bewegen kann", erklärt der Portugiese, der in neun WM-Spielen acht Treffer erzielt hat.

In Kolumbien endlich zum großen Erfolg? Ricardinho hat die Rasenvariante des Fussballs vor fünf Jahren definitiv zugunsten des Futsal aufgegeben, als ihm laut eigenen Worten bewusst wurde, welche Anstrengung es ihn gekostet hatte, im Futsal so weit zu kommen. Seiner Ansicht nach hat das Team an mentaler Stärke gewonnen. "Wir haben im Kopf einen Schalter umgelegt. Früher hat es uns manchmal geschreckt, wenn wir gehört haben, wie gut Brasilien, Spanien, Italien oder Russland sind. Wir müssen uns selbst beweisen, dass wir gut sind, nicht den anderen."

Viele zählen Portugal bei der WM in Kolumbien zum Favoritenkreis, genau wie vor vier Jahren in Thailand. "Favoriten sind die Teams, die bereits etwas gewonnen haben, und wir haben noch nichts gewonnen", meint er dazu.

Nicht einmal die jüngsten Erfolge Portugals bei der FIFA Beach-Soccer-Weltmeisterschaft 2015 oder der EURO 2016 können Ricardinhos Meinung ändern. "Wir haben über das Thema gesprochen und möchten natürlich nicht scheitern. Aber unser Ziel ist der Einzug ins Halbfinale. Damit wären wir einem Erfolg schon näher."

Das Team wird gleich zu Beginn im Rampenlicht stehen, denn die Portugiesen treten zum Auftakt gegen die Auswahl des Gastgebers an. "Das ist der schwierigste Gegner, den wir erwischen konnten. Einerseits wegen des heimischen Publikums und andererseits weil das Team zeigen möchte, dass der Erfolg vor vier Jahren kein Zufallstreffer war. Dennoch betone ich noch einmal, dass wir unseren Blick nach innen richten und uns auf uns selbst konzentrieren müssen."

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