Freitag 24 September 2021, 08:00

Ricardinho: Der WM-Titel wäre der perfekte Karriereabschluss

  • Ricardinho war schon sechs Mal bester Futsal-Spieler der Welt

  • Er beurteilt seinen Platz unter den größten Spielern aller Zeiten

  • Der Zehner spricht auch über Portugals Titelhoffnungen in Litauen

"Das sind doch keine Fussbälle", schrie Americo seinen sechsjährigen Sohn an und fuchtelte mit einer zerschmetterten Orange herum, deren Saft an einer Mauer des bescheidenen Hauses heruntertropfte. "Mach das sauber, bevor deine Mutter böse wird!"

Man könnte ihn ungehorsam nennen, denn 30 Jahre später spielt Ricardinho immer noch mit einem kleinen, schweren Ball - und treibt seinen Eltern die Tränen in die Augen.

Die Orangen liegen jetzt allerdings ordentlich in der Obstschale. "O Mágico" hat die Früchte seines Sports mit Futsal-Bällen geerntet. Alle Früchte – bis auf eine.

Ricardinho wurde sechs Mal zum besten Spieler der Welt gewählt und hat Portugal 2018 zum ersten Titelgewinn bei der UEFA Futsal EURO geführt - und seine Eltern damit zu Tränen gerührt. Einzig die Trophäe der FIFA Futsal-Weltmeisterschaft™ fehlt ihm noch in seiner Sammlung. Ricardinho sprach mit FIFA.com über die Mission, diesen Titel in Litauen zu holen.

Welche Erwartungen haben Sie an das Achtelfinalspiel gegen Serbien? Wir wollen bei diesem Turnier Schritt für Schritt den Weg zum Erfolg gehen. Wir wissen, dass es nicht einfach wird. Wir haben eine gute Bilanz gegen Serbien, aber die meisten Spiele endeten ziemlich knapp, nur mit einem oder zwei Toren Differenz. Wir wissen auch, dass Serbien körperlich sehr stark ist. Jetzt sind wir in der K.o.-Phase, da darf man sich keinen Ausrutscher mehr leisten. In der Gruppenphase konnte man einen Ausrutscher noch ausbügeln. Wer jetzt verliert, fliegt raus und fährt nach Hause - und das will natürlich niemand.

Portugal hat die letzte UEFA Futsal EURO gewonnen, eine portugiesische Mannschaft ist Titelverteidiger der UEFA Futsal Champions League. Haben Sie das Gefühl, dass jetzt mehr Druck auf Ihnen lastet? Ich halte Druck eigentlich immer für eine positive Sache. Er ist ja ein Zeichen dafür, dass man etwas geleistet hat, und das bringt eben auch neue Verantwortung mit sich. Aber ich sage immer, dass die Top-Titelanwärter diejenigen Teams sind, die die WM bereits gewonnen haben, also Argentinien, Brasilien und Spanien. Wir hingegen sind Außenseiter, die triumphieren wollen. Wir müssen hart arbeiten, ohne Druck auf unseren Schultern, denn unser Ziel ist es, Schritt für Schritt voranzukommen.

Welches Ziel hat sich Portugal für Litauen 2021 gesetzt? Wir sind mit dem Ziel hierher gekommen, besser abzuschneiden als bei der letzten WM. Damals sind wir Vierter geworden und unser Ziel ist es, diese Platzierung zu übertreffen. Das wird nicht einfach und wir brauchen dazu wohl auch etwas Glück. Wenn wir gegen Serbien weiterkommen, treffen wir möglicherweise in einer Neuauflage des EM-Finales auf Spanien. Wir arbeiten jedenfalls hart dafür, Spiel um Spiel zu gewinnen.

Wer sind Ihre größten Rivalen im Kampf um den Titel? Ich würde auf die zwei Nationalteams setzen, die schon eine Menge gewonnen haben. Eines insbesondere wegen der Stärke des Teams, nämlich Argentinien, und ein anderes wegen der Stärke der Stars, nämlich Brasilien. Bei beiden gibt es enorm viel Talent. Ich kann mich nicht zwischen beiden entscheiden.

Wie wichtig ist individuelle Genialität für den Gewinn von Titeln? Ich denke, dass individuelle Geniestreiche durchaus den Sieg in einem Spiel bringen können. Aber um eine Meisterschaft zu gewinnen, um Titel wie die Weltmeisterschaft oder die EURO zu holen, braucht es mehr als nur Geniestreiche. Futsal ist viel körperbetonter und taktischer geworden. Geniale Spieler, die ein Spiel im Alleingang entscheiden können, werden durchaus vermisst. Es steht ja fest, dass heutzutage viel stärker die Abwehr für den Gewinn von Meisterschaften und Turnieren verantwortlich ist, und es ist schwieriger für die Spieler, kreativ zu sein.

Welchen Stellenwert hätte der Gewinn der Weltmeisterschaft für Sie? Es wäre ein schöner Abschluss, die einzige Trophäe zu gewinnen, die ich noch nicht habe. Das wäre das perfekte Ende meiner internationalen Karriere.

Als Kind haben Sie oft mit Orangen gespielt, richtig? (lacht) Ich habe mit ganz verschiedenen Früchten Fussball gespielt. Mein Vater arbeitete auf einem Obstmarkt und brachte eine Menge Obst mit nach Hause. Da unsere finanziellen Verhältnisse nicht gerade rosig waren, musste ich mich anpassen. Ich habe mit aufgerollten Socken und Orangen gespielt, Dribblings und andere Dinge ausprobiert. Ich habe mit Orangen Hochhalten gespielt und war ziemlich gut darin. Leider habe ich allerdings auch viele Orangen an der Wand zerschmettert und meine Eltern waren nicht eben glücklich darüber!

Stellen Sie sich manchmal vor, was für eine Karriere Sie im Fussball hätten machen können? (lacht) Wir träumen eine ganze Menge und stellen uns auch viel vor. Aber von dem Moment an, als ich beschloss, dass Futsal mein Leben sein würde, ließ ich alle Fussballträume hinter mir. Ich hätte ein großer Spieler werden können, aber ich hätte auch nur ein weiterer durchschnittlicher Spieler werden können. Jedenfalls bin ich sehr dankbar, dass ich mich für Futsal entschieden habe.

Wie sehr hat sich der Futsal seit Ihrer ersten WM-Teilnahme 2008 verändert? Sehr, sehr stark. Der Wandel ist enorm. Futsal ist viel schneller, taktischer und physischer geworden. Es gibt eine viel stärkere Ausgeglichenheit zwischen den Nationalteams. Zuvor gab es eine wirklich große Kluft zwischen Brasilien, Spanien und Russland und all den anderen. Es gab viele sehr hohe Kantersiege. Ich hoffe, der Futsal entwickelt sich genau so intensiv weiter.

Was sagen Sie zu Falcão? Falcão ist mein großes Idol. Er war schon immer mein Idol. Falcão war immer ein Vorbild für mich. Ich wollte immer versuchen, sein Niveau zu erreichen. Ich freue mich sehr, dass es mir gelungen ist, ihn in einigen Dingen sogar zu übertreffen. Bei anderen Dingen habe ich es nicht geschafft, aber das Wichtigste ist, dass wir alle unsere eigenen Kapitel im Futsal schreiben. Ich denke, Falcão wird immer einer der Größten aller Zeiten sein, und auch ich habe es geschafft, eine schöne Seite in der Futsal-Geschichte zu schreiben.

Sie wurden sechs Mal als bester Spieler der Welt ausgezeichnet und sind damit Rekordhalter. Denken Sie, dass Sie der beste Spieler der Futsal-Geschichte sind? Ich denke nicht, dass man das daraus folgern kann. Es ist wie mit vielen anderen Rekorden: Pelé hat 77 Länderspieltore erzielt, aber viel weniger Spiele bestritten als andere. Heute absolvieren die Spieler viel mehr Partien und daher ist viel einfacher, mehr Tore zu schießen, mehr Rekorde zu brechen. Falcão hat nie außerhalb von Brasilien gespielt. Tobias hat in Brasilien und in Spanien gespielt. Ich selbst habe in Japan, Russland und Spanien gespielt. Ich denke, jeder hat es geschafft, in seiner eigenen Liga, in seiner eigenen Nationalmannschaft ein Idol zu sein. Ich denke, wir waren alle Helden in unseren eigenen Epochen.