Donnerstag 19 November 2020, 09:19

Rakitic: "Modric ist das Beste, was Kroatien je passiert ist"

  • Ivan Rakitic schwärmt von Luka Modric und Lionel Messi

  • Der 32-Jährige spricht über seine Zeit bei Barcelona und die Ziele mit dem FC Sevilla

  • Auch sein kürzlicher Rücktritt aus Kroatiens Nationalteam war ein Thema

"Ich fühle mich wie der glücklichste Mensch im Fussball, weil er mir so viel gegeben hat", so Ivan Rakitic voller Dankbarkeit im Gespräch mit FIFA.com.

Dankbar für die Chance, eine bemerkenswerte Mittelfeldpartnerschaft mit Luka Modric zu bilden und hinter Lionel Messi die Fäden zu ziehen. Dankbar für eine Ehre, die bislang nur dem legendären Diego Maradona zuteil wurde.

Dankbar für den Gewinn der UEFA Europa League als Kapitän des FC Sevilla. Für das erste Tor Barcelonas beim Triumph im Finale der UEFA Champions League. Für den Vorstoß Kroatiens bis ins Finale der FIFA Fussball-WM 2018™. Oh, und natürlich für den wichtigsten Treffer seines Lebens - seine Frau. Sie zu erobern war allerdings viel schwieriger als alles, was er je auf dem Fussballplatz erreicht hat.

FIFA.com sprach mit Rakitic über all diese Themen und seine Rückkehr zum FC Sevilla sowie seinen kürzlichen Rücktritt aus der kroatischen Nationalmannschaft.

FIFA.com: Ivan, Sie sind kürzlich zum FC Sevilla zurückgekehrt. Was sagen Sie zur Fussballleidenschaft in Sevilla?

Ivan Rakitic: Unglaublich, wirklich. Sevilla ist wohl die spanische Stadt mit der größten Leidenschaft für den Fussball. Die Menschen hier lieben den Fussball einfach über alles. Es gibt die beiden Spitzenklubs FC Sevilla und Real Betis, beide in der Primera División. Die beiden Stadien sind nur fünf Minuten voneinander entfernt. Die gesamte Stadt ist absolut fussballverrückt, eine ganz besondere Atmosphäre.

Sevilla ist auch in Bezug auf Ihre Familie eine besondere Stadt…

(lacht) Das ist eine verrückte Geschichte! Als ich am ersten Tag nach Sevilla kam, war es schon ziemlich spät. Am nächsten Morgen stand mein medizinischer Test auf dem Programm und es gab vieles zu erledigen. Ich war etwas nervös, also fragte ich meinen Bruder, ob er noch auf einen Drink mit mir ausgehen würde. Und in der Bar arbeitete dieses Mädchen. In dem Moment, als ich sie sah, wusste ich, dass ich sie heiraten wollte! Ein großer europäischer Klub rief bei meinem Bruder an. Sie wollten ein Flugzeug schicken, um mich aus Sevilla abzuholen, damit ich bei ihnen unterschreibe. Aber ich sagte: 'Ich habe Sevilla mein Wort gegeben. Ich werde bei Sevilla unterschreiben und ich werde dieses Mädchen heiraten!' Das war für mich sonnenklar. Ich war absolut sicher – sie musste meine Frau werden! Sie dazu zu bringen, mit mir auszugehen, war allerdings sehr schwer, denn am Anfang war sie sehr abweisend. Ich musste wirklich hart arbeiten und alle Register ziehen. Hart arbeiten tue ich auf dem Fussballplatz ja auch, aber das war viel, viel schwerer (lacht). Doch nach sieben Monaten willigte sie endlich ein, mit mir essen zu gehen. Und jetzt sind wir bereits seit neuneinhalb Jahren verheiratet.

In ihrer ersten Zeit beim FC Sevilla wurden Sie zum ersten ausländischen Kapitän des Teams seit Diego Maradona. Wie stolz waren Sie darauf?

Selbst heute noch ist es überwältigend, zu hören, dass ich der erste ausländische Kapitän des Teams in so langer Zeit und der erste nach Maradona war. Es gibt Momente in der Karriere, in denen Worte nicht ausreichen, um die Gefühle zu beschrieben. Dies war ein solcher Moment. Ich war sehr, sehr stolz. Der Kapitän ist eigentlich immer Spanier und oft sogar ein Spieler direkt aus Sevilla. Diese Ehre bedeutete mir enorm viel, das Vertrauen des Trainers und der Menschen bei dem Klub. Ich war wirklich sehr, sehr dankbar. Ich hoffe, sie haben meine Zeit als Kapitän genossen. Ich lebe für den Fussball, ich lebe für mein Team und es war ein ganz besonderes Jahr, in dem wir die UEFA Europa League gewonnen haben.

Sevilla hat die UEFA Europa League sogar sechs Mal gewonnen, ist aber in der Champions League noch nie über das Viertelfinale hinausgekommen. Ist das ein wichtiges Ziel für den Klub?

Ja, das ist für uns ein sehr bedeutendes Ziel. Das Team und der Klub haben in den vergangenen 10, 15 Jahren enorme Fortschritte gemacht. Es ist schon sehr beeindruckend, dass Sevilla die Europa League sechs Mal gewonnen hat. Auf diese Titel sind wir natürlich sehr stolz, aber wir wollen die nächsten Schritte in der Champions League machen. Es wäre toll, über das Viertelfinale hinauszukommen. Und ich bin sicher, dass unser jetziges Team in der Champions League wirklich etwas Besonderes erreichen kann. Zunächst einmal müssen wir uns auf unsere nächsten drei Gruppenspiele konzentrieren, die sehr schwer werden. Wir haben sieben Punkte aus drei Spielen geholt und sind damit wirklich sehr zufrieden, auch mit unserer Spielweise in diesen drei Partien. Aber wir haben in der Gruppe noch einige Aufgaben vor uns. Dann können wir hoffentlich ein neues Kapitel der Vereinsgeschichte schreiben.

Was war es für ein Gefühl, als Sie 2014 zum FC Barcelona kamen, einem Starensemble mit Xavi, Andres Iniesta, Neymar, Luis Suárez und Lionel Messi?

Das war kein schlechtes Gefühl! (lacht) Nein, ganz im Ernst, es war unbeschreiblich, nun Teil des wohl besten Teams der Welt zu sein. Für den Rest meines Lebens fühle ich mich dieser großen Familie zugehörig. Ich wusste, dass ich nun an der Seite all dieser großartigen Spieler spielen würde. Ich war schon vorher sehr aufgeregt. Und als ich dann in die Kabine kam und sie sah, da hat es mich wirklich von den Socken gehauen. Ich wäre vor Ehrfurcht fast erstarrt. Es war einfach fantastisch, mit diesen Größen Fussball zu spielen. Ich sehe sie als meine lebenslangen Freunde und das bedeutet mir sehr viel. Mit Andres [Iniesta] bin ich wirklich eng befreundet, wir sprechen oft miteinander. Ich bin sehr, sehr dankbar für diese sechs Jahre und werde sie nie vergessen.

Und was für ein Gefühl war es, als Sie im Champions-League-Finale 2015 nach vier Minuten das Führungstor erzielt haben? Wie war dieser Tag in Berlin?

Boom! Einfach unglaublich. In einem solchen Moment denkst du nur: "Es ist irre, verrückt, unglaublich". Du arbeitest dein ganzes Leben lang auf einen solchen Moment hin. Und wenn es dann wirklich so weit ist und du diesen wichtigen Titel holst – unglaublich, das Gefühl vergisst du nie!

Sie haben auch immer in den Duellen gegen Real Madrid geglänzt, im Clásico. Wie haben Sie diese Partien erlebt?

Ich denke, das ist das größte Spiel der Welt. Ich habe in vielen Clásicos gespielt, habe viele davon gewonnen und auch einige Tore erzielt, manchmal war ich sogar der Matchwinner. Das ist ein fantastisches Gefühl, das mich mein ganzes Leben begleiten wird. Jedes dieser Spiele war anders, jedes war besonders. Ich habe sehr viele sehr tolle Erinnerungen an diese Spiele. Ich bin stolz darauf, Teil der Geschichte des spanischen Klassikers zu sein.

Wie würden Sie Ihre Zeit bei Barcelona beschreiben?

Sechs Jahre, 311 Spiele – ich bin der Ausländer mit den viertmeisten Spielen hinter Messi, Dani Alves und Javier Mascherano – 13 Titel. Ich denke, ich kann mit Fug und Recht sagen, dass ich Teil der Klubgeschichte bin. Mir haben diese vier Jahre überaus viel gegeben. Ich werde Barcelona – den Klub, die Stadt, die Menschen – für den Rest meines Lebens in meinem Herzen tragen. Und meine Familie hat sich dort vergrößert: Meine jüngere Tochter wurde in Barcelona geboren. Ich bin sehr stolz auf meine Zeit dort und werde sie immer in guter Erinnerung behalten.

Was halten Sie von Lionel Messi als Spieler?

100 Prozent Fussball. Ganz egal, wer du auch bist – ihm muss man einfach zuschauen und es genießen. Er ist einfach auf einem anderen Level. Mit allem Respekt für die anderen Größen: Es gibt nur einen Allerbesten, und das ist Lionel. Es war ein einziger Traum, 311 Spiele an seiner Seite zu spielen. Ich habe es sehr, sehr genossen. Ich will einfach nur sagen: "Danke für alles, Leo, denn du wirst wohl nie wissen, wie viel es mir bedeutet hat, an deiner Seite zu spielen."

Sprechen wir über die Nationalmannschaft: Welche schönste Erinnerung haben Sie an die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Russland 2018™?

Es ist nicht möglich, hier eine einzelne Erinnerung herauszupicken, denn jeder Tag in Russland – und auch schon alle Tage der Vorbereitung auf die WM – war etwas ganz besonderes. Die Atmosphäre im Team, die Freundschaft zwischen uns allen – das war einfach fantastisch. Tag für Tag zusammen zu arbeiten, eineinhalb Monate lang - in diesen Situationen kann man es wirklich spüren. Wir haben alle hart gearbeitet und unser Bestes gegeben. Die Niederlage im Finale war natürlich bitter, aber andererseits war sie auch unser größter Erfolg: Wir haben Kroatien auf der ganzen Welt beliebt gemacht. Das war einfach fantastisch. Wir haben unzählige Botschaften aus aller Welt bekommen. Ich bin sicher, 90 Prozent der ganzen Welt stand im Finale hinter uns. Natürlich werde ich diese Niederlage nie vergessen, denn wir waren ganz nah dran am größten Titel, den man in einer Fussballerkarriere gewinnen kann. Aber ich bin sehr stolz auf das, was wir gemeinsam erreicht haben. Es war die größte Leistung in der Fussballgeschichte Kroatiens.

Und das bei einem Land mit nur vier Millionen Einwohnern…

Vier Millionen Kroaten sind für mich besser als 100 Millionen einer anderen Nationalität. Sie hätten unsere Rückkehr nach Zagreb erleben müssen – das war unglaublich! All diese Menschen – einfach völlig verrückt, verrückt. Als wir am Flughafen ankamen, sagte man uns, wir würden in einem offenen Bus ins Zentrum von Zagreb gefahren. Es würde eine Stunde, vielleicht eineinhalb Stunden dauern. Letztlich hat es sieben Stunden gedauert! Es war alles absolut brechend voll. Diese Begeisterung und Liebe all dieser Kroaten zu spüren, war einer der schönsten Momente meines Lebens. Das wird keiner von uns jemals vergessen.

Können Sie uns etwas über Ihre Entscheidung zum Rücktritt aus der Nationalmannschaft sagen?

Es war wohl der schwerste Moment meiner Karriere, diesen Rücktritt zu erklären. Aber irgendwann muss man eben feststellen, dass der Moment gekommen ist. Nach mehr als 13 Jahren und mehr als 100 Länderspielen, und nun mit dieser COVID-Sache und meiner Rückkehr zu Sevilla ist es für mich einfach wichtig, mich zu 100 Prozent auf meinen Klub zu konzentrieren, und auch mehr Zeit für meine Familie zu haben. Außerdem hat Kroatien wirklich eine Menge junger, talentierter Spieler und ich finde, sie haben ihre Chance verdient. Es war also der perfekte Zeitpunkt.

Wie würden Sie Ihre internationale Karriere beschreiben?

Absolut fantastisch. Bei meinem Debüt für Kroatien als 19-Jähriger hätte ich mir nie träumen lassen, dass ich eines Tages das größte Spiel der Fussballgeschichte bestreiten, mehr als 100 Länderspiele absolvieren, bei Europameisterschaften und Weltmeisterschaften dabei sein würde. Es war fantastisch, das kroatische Nationaltrikot zu tragen und zu hören, wie sehr die Kroaten mich schätzen. Ich bin ich wirklich sehr stolz auf all das.

Verraten Sie uns zum Abschluss noch, was Sie über Luka Modric denken?

Er ist das Beste, was Kroatien je passiert ist. Für mich ist er wie ein großer Bruder. 13 Jahre zusammen in der Nationalmannschaft, und viele, viele Duelle im Clásico (lacht). Aber im Ernst, zwei Kroaten im größten Spiel im spanischen Vereinsfussball – das war einfach unglaublich für unser Land. Ich war jedes Mal sehr glücklich und stolz, wenn er eine Auszeichnung bekommen hat, denn die waren nicht nur für ihn, sondern für ganz Kroatien. Ich war wirklich sehr berührt, als er die Auszeichnung als The Best – FIFA-Weltfussballer bekam. Er ist der perfekte Botschafter Kroatiens rund um die Welt. Er macht mich stolz darauf, Kroate zu sein.