Donnerstag 21 Oktober 2021, 13:33

Portanova: Ich bekomme eine Gänsehaut, wenn ich nur daran denke, wie mir der Job als Trainer Argentiniens angeboten wurde

  • German Portanova ist seit Juli Trainer des argentinischen Frauen-Nationalteams

  • Der ehemalige Fussballer und Schuhmacher gewann als Trainer in Argentinien drei Titel in der Frauenliga

  • Er sprach mit FIFA.com über seine Karriere, seine Spielphilosophie und seine Ziele

Zwei Spiele in Folge gegen Brasilien, die führende Fussballmacht in Südamerika und aktuell auf Platz 7 der FIFA/Coca-Cola-Weltrangliste der Frauen - die erste Herausforderung für German Portanova, der vor zwei Monaten Trainer des Frauen-Nationalteams Argentiniens wurde, kann man guten Gewissens als Feuertaufe bezeichnen. Natürlich stellt sich die Frage, ob er zu Beginn seiner Amtszeit nicht etwas leichtere Gegner hätte aussuchen können?

"So sehe ich das nicht", erklärte Portanova, der von seinem Vorgänger Carlos Borrello (jetzt Generalkoordinator für Frauen-Nationalteams beim argentinischen Fussballverband) für diese Aufgabe ausgewählt wurde, in einem Exklusiv-Interview mit FIFA.com. "Als Trainer eines Nationalteams muss man anders denken als der durchschnittliche leidenschaftliche Fußballfan."

Der neue Trainer, der diese Woche seinen 48. Geburtstag in Mexiko feierte, wo sein Team am Samstag auf La Tri trifft, fuhr fort: "Ich bin auch sehr leidenschaftlich, aber wir müssen mit unserem Frauenteam einen neuen Ansatz wählen. Früher haben wir uns manchmal geweigert, bei solchen Partien anzutreten, aber der Weg, um zu lernen und sich weiterzuentwickeln, besteht einfach darin, sie zu spielen."

Die Spiele gegen Brasilien endeten beide mit einer Niederlage (1:3 und 1:4), doch Portanova möchte den größeren Zusammenhang deutlich machen. "Ich habe kein Problem damit, wenn es wegen dieser Ergebnisse Kritik gibt; ich habe eine harte Schale", sagte er. Wir haben ziemlich klare Vorstellungen, was wir wollen und was wir dafür tun. Für diejenigen, die nur auf das Ergebnis schauen, sieht es vielleicht so aus, als ob wir in der letzten Länderspielpause schlecht gespielt hätten. Aber was uns betrifft, war alles sehr positiv.

Solche Aussagen geben einen Einblick in den fussballerischen Ansatz von Portanova, der den Klub UAI Urquiza - der mehrere Spielerinnen für das aktuelle Nationalteam stellt - zwischen 2014 und 2019 zu drei Titeln in der Primera División Femenina geführt hat.

"Das erste Ziel war es, das Team zu einen und sicherzustellen, dass alle gut miteinander auskommen und sich wohlfühlen, was sehr wichtig ist", sagte er. "Als nächstes mussten wir unseren eigenen Spielstil finden, der nicht unbedingt davon abhängt, gegen wen wir spielen. Trotz des brasilianischen Drucks und der offensichtlichen Überlegenheit in Eins-gegen-Eins-Situationen haben wir das Spiel zeitweise offensiv gestaltet. Wir haben verloren, aber das ist nicht das Ende der Welt."

Er fügte hinzu: "Wir haben 18 bis 20 Mal gute Spielzüge von hinten heraus gespielt. Wir haben versucht, die Brasilianerinnen unter Druck zu setzen und ihnen einige Male sogar den Ball abgeluchst. Dafür gab es sogar viel Lob von Pia [Sundhage, Brasiliens Trainerin, Red.]. Ich gebe gern zu, dass wir hinten ein bisschen zu offen waren, und das hat uns Gegentore eingebracht. Wir haben Fehler gemacht, auch das ist mir bewusst. Aber es war gegen ein sehr starkes Team. Deshalb werde ich grundsätzlich 'Ja' sagen, auch wenn ich gefragt werde, ob ich gegen die USA oder Kanada spielen möchte."

Von Schuhen zu Fussballstiefeln

Portanovas Weg ans Ruder der Albiceleste war sicherlich ein wenig unorthodox. Während seiner 15-jährigen Karriere spielte der frühere Mittelfeldspieler für eine Reihe eher bescheidener Klubs in seinem Heimatland, aber auch im Ausland in Chile, Paraguay und Spanien, bevor er in Italien in den halbprofessionellen Fussball zurückkehrte.

Welchen Einfluss hat seine Zeit als Spieler auf seine Arbeit als Trainer? "Einen enorm großen Einfluss", sagt er. "Ich bin ein ziemlich religiöser Mensch und ich glaube, dass Gott mich auf diesen Moment vorbereitet hat. In Italien war ich Spielführer bei den letzten Mannschaften, für die ich gespielt habe. Dabei habe ich Führungsqualitäten eingesetzt, die nicht aus dem Spiel selbst kamen, denn ich war eigentlich immer ein eher durchschnittlicher Spieler, sondern aus einem Verständnis für alles, was Führung eigentlich bedeutet.

Ich habe trotz vier Knieoperationen bis zu meinem 36. Lebensjahr gespielt, weil ich auf mich geachtet habe, weil ich verstanden habe, was es heißt, verantwortungsvoll mit Training, Ernährung, Selbstfürsorge und Erholung umzugehen. Ich würde sagen, dass ich viele kleine Punkte aufgeschnappt habe, und dass mich diese Eigenschaft zu dem detailorientierten Trainer gemacht hat, der ich heute bin."

German Portanova, coach of the Argentina women national team+

2011 kehrte Portanova nach Argentinien zurück, allerdings nicht wegen des Fussballs, sondern wegen des Heimwehs, das er nach seinem Geburtsland hatte. Und was hat er damals beruflich gemacht? "Ich habe Schuhe hergestellt. Ein Freund von mir hatte eine Schuhfabrik mit einem Kundenstamm, das ganze Drumherum. Es lief gut, aber ich war dabei nicht glücklich."

Dann kam der Anruf von UAI Urquiza, dass er das Jugendteam betreuen sollte. "Ich habe sofort zugesagt", erinnert er sich. "Das bedeutete zwar eine enorme Gehaltseinbuße, aber das war mir egal. Die Idee war, dass alle Mannschaften des Klubs einen guten Fussball spielen sollten, dass sie alle den gleichen Stil haben sollten. Und das haben wir letztlich auch erreicht."

2014 wurde er dann gefragt, ob er Interesse hätte, die Leitung des Frauenteams zu übernehmen. "Ich habe eineinhalb Stunden mit den Mädchen trainiert und ich weiß noch, dass ich dachte: 'Das wäre das Richtige für mich'", sagte er. "Ich habe gemerkt, dass die Frauen wirklich bereit sind, sich zu verbessern; sie haben besser aufgepasst. Und es gab einige sehr talentierte Spielerinnen unter ihnen."

Sofortiger Erfolg mit dem Team

Die Fussballerinnen waren so hochkarätig, dass das Team gleich in diesem Jahr seinen ersten Meistertitel gewann. "Wir hatten unter anderem Belen Potassa, Florencia Bonsegundo, Laurina Oliveros und Miriam Mayorga im Team", erklärt der in Buenos Aires geborene Portanova, der eine Saison lang die Herrenmannschaft trainierte, bevor er zum Frauenteam zurückkehrte. "Dann kamen Spielerinnen wie Mariana Larroquete, Milagros Menendez und Dalila Ippolito. Sie und einige weitere schafften es schließlich mit Argentinien sogar zur FIFA Frauen-Weltmeisterschaft."

Portanova gehörte zu den begeisterten Zuschauern, als Argentinien bei der FIFA Frauen-WM Frankreich 2019™ in drei Spielen respektable Leistungen zeigte und seine ersten zwei WM-Punkte holte. "Ich habe mir die Spiele aus der Perspektive eines Trainer angesehen, weil ich versuche, so viel Frauenfussball wie möglich zu sehen, aber auch aus der Perspektive eines Fans des Teams und der Mädchen, zu denen ich ein so gutes Verhältnis habe", sagte er. "Ich habe sogar einige Spielzüge im Stil von UAI Urquiza gesehen!"

Er wollte das Team jedoch nicht mit den Augen ihres zukünftigen Trainers sehen. "Ich konnte nicht aufhören, darüber nachzudenken. Selbst als mein Name in diesem Zusammenhang genannt wurde, wollte ich die Konzentration auf meine Arbeit nicht darunter leiden lassen. Wenn ich jetzt an den Moment zurückdenke, als Carlos Borrello mir den Job offiziell anbot, bekomme ich eine Gänsehaut!"

Das wichtigste Ziel ist natürlich die Qualifikation für die FIFA Frauen-Weltmeisterschaft 2023. Das ist der große Traum", so der Trainer. "In unserem letzten Trainingslager mit dem Nationalteam haben wir mit Blick auf die Copa América Femenina 2022 an der Verstärkung gearbeitet. Brasilien ist zwar auf einem anderen Niveau, aber die anderen Teams liegen recht dicht beieinander."

Für Portanova ist die Form ein entscheidender Faktor: "Unsere Stärke wird in erster Linie dadurch definiert, dass wir auf und abseits des Feldes ein geschlossenes Team sind. Das hat auch Einfluss darauf, wie man mit jedem Ball umgeht. Darüber hinaus wird es auf harte Arbeit und auf unsere Spielweise ankommen. Wir wollen eine wichtige Rolle spielen, wir wollen Risiken eingehen, und wir wollen gute Ergebnisse holen. Mit ein bisschen Glück können wir bei der Copa América sehr gut abschneiden und uns für die Weltmeisterschaft qualifizieren."