Montag 11 April 2022, 10:00

Parsons: Die Herausforderung hat mich gereizt

  • Mark Parsons ist als Nationaltrainer der Niederlande Nachfolger von Sarina Wiegman

  • Der Engländer erläutert gegenüber der FIFA seine Pläne für den amtierenden Europameister

  • Er erklärt auch, wie er das Beste aus Multitalent Vivianne Miedema herausholen will

Mark Parsons beschreibt sich selbst in erster Linie als "Baumeister" von Fussballteams. Allerdings hat er auch große Erfolge in der amerikanischen NWSL gefeiert, als er das am Boden liegende Team von Washington Spirit wieder auf die Beine brachte und den verlorenen Glanz bei den Portland Thorns wiederherstellte. Dort baute er erfolgreich auf vorhandenen Strukturen auf und merzte Fehler aus.

Einige fragten sich daher, ob der 35-jährige Engländer als Trainer der Niederlande eine gute Wahl wäre. Denn es heißt ja, dass man nicht reparieren soll, was nicht kaputt ist – und die Oranjeleeuwinnen, die Sarina Wiegman zum Europameistertitel und dann bis ins Finale der FIFA Frauen-Weltmeisterschaft™ geführt hatte, waren ganz sicher nicht kaputt.

In diesem Interview erklärt Parsons, was ihn dazu bewogen hat, die Herausforderung anzunehmen, und spricht auch über die Identität der Niederlande nach Wiegman und das Dilemma um die Starspielerin der Mannschaft. 

Lieke Martens, Co-Trainer Niels de Vries, Trainer Mark Parsons, Jill Baijings und Fenna Kalma

Die Aufgabe

Parsons hat nicht nur die Nachfolge der erfolgreichsten Trainerin in der Geschichte der Niederlande angetreten. Indem er den Vereinsfussball und ein Team, bei dem er sehr beliebt war, gegen seine erste Aufgabe im internationalen Fussball eintauscht, wagt er einen großen Sprung heraus aus seinem bewährten Umfeld. 

"Es gab vor diesem Job schon einige andere gute Angebote als Nationaltrainer. Aber ich war so zufrieden in Portland, dass ich mit dem Klub vereinbart hatte, dass man mir gar nicht Bescheid sagen sollte, wenn jemand wegen mir anrief. Unsere familiäre Situation – meine Frau saß mit unserem achtjährigen Sohn zu Hause –, die COVID-19-Pandemie und die Reisebeschränkungen veranlassten uns, die Sache zu überdenken und eine Rückkehr nach Europa ins Auge zu fassen. Der Anruf des niederländischen Fussballverbands KNVB kam dann aber trotzdem viel früher, als wir geplant hatten, und ich befürchtete, dass es wegen des Timings nicht klappen würde. Aber nach einem zweistündigen Gespräch war ich absolut überzeugt, dass dies das richtige Angebot war."

"Wenn sie gesagt hätten: 'Das Team ist perfekt, wir brauchen nur jemanden, der die Dinge am Laufen hält', dann wäre das nichts für mich gewesen. Stattdessen sagten sie, dass das Team zwar sehr erfolgreich war, es aber durchaus große Herausforderungen für die Zukunft gab. Genau diese Situation hat mich gereizt. Sarina Wiegman hat einen unglaublichen Job gemacht und viel mehr erreicht, als man erwarten konnte. Trotzdem konnte man erkennen, dass das Team eine Phase erreicht hatte, in der es sich weiterentwickeln und verändern musste."

Mark Parsons während einer Trainingseinheit

Der Trainer

"Zuerst die Menschen, dann die Menschen, dann die Menschen. Und dann noch ein bisschen Fussball" – so beschrieb Parsons seinen Ansatz als Trainer, als er die Portland Thorns verließ. Er schwor, diesem Grundsatz treu zu bleiben, "wo immer ich auch hingehe", und sieht die reduzierte Kontaktzeit mit den Spielerinnen nicht als Hindernis für den Aufbau der so wichtigen persönlichen Beziehung. 

"Ich mag Menschen, ich liebe es, mit ihnen zu reden und mich mit ihnen zu beschäftigen, aber es geht nicht darum, dass ich etwas nur tue, weil ich es mag. Es geht um Leistung. Wenn man eine Spielerin oder einen Spieler als Individuum begreift und es einen guten Draht gibt, kann man schneller auf den Punkt kommen. Es ist definitiv richtig, dass man als Trainer eines Nationalteams seine Zeit mit den Spielerinnen oder Spielern effizienter nutzen muss. Ich werde wohl erst im Verlauf der nächsten Jahre lernen, wie man das am besten macht. Aber ich habe das Gefühl, dass ich in diesem Job mehr Kontakt zu den Spielerinnen aufbauen kann."

"Außerdem bin ich mir der Qualitäten anderer Leute sehr bewusst, und ich denke auch, dass ich mir meiner eigenen Qualitäten ziemlich bewusst bin. Ich weiß, dass ich ziemlich intensiv sein kann. Schon vor ein paar Jahren habe ich festgestellt, dass die Intensität, mit der ich meine Schützlinge anspornte, sich ständig zu verbessern, nach zwei oder drei Monaten Arbeit in einer Saison etwas nachließ. Ich erinnere mich, dass ich schon damals dachte: 'Ein Job als Nationaltrainer könnte gut für mich sein; neun Tage lang die Spieler intensiv anspornen und dann bekommen sie eine wohlverdiente Pause von mir!' (lacht) Ich habe tatsächlich das Gefühl, dass ich in den Jahren seither klüger geworden bin. Ich bin zwar immer noch genauso zielstrebig, aber wohl etwas weniger intensiv. Aber ich habe schon eine Weile im Hinterkopf, dass der Trainerposten in einer Nationalmannschaft zu meiner Persönlichkeit und meiner Arbeitsweise passen würde. Der internationale Fussball hat mich schon immer gereizt, und die damit verbundene Herausforderung, als Trainer mit weniger Zeit mehr zu erreichen. Und jetzt genieße ich jeden Moment."

Die Philosophie

Die Fussballwelt kennt das starke niederländische Team, das von Parsons Amtsvorgängerin geformt wurde. Man darf gespannt sein, welche kleinen oder vielleicht sogar großen Änderungen Parsons an Wiegmans Erfolgsrezept vornehmen wird. Priorität dürfte die Stärkung der Abwehr bekommen, die beim letztjährigen Olympischen Fussballturnier der Frauen im vergangenen Jahr in vier Spielen zehn Gegentore kassierte. 

"Dies ist der Beginn einer neuen Ära, und das nicht nur, weil es einen neuen Cheftrainer gibt. Meine Philosophie als Trainer ist, dass ich in jedem Moment mit und ohne Ball angreifen will, aber ich sage auch: Die Qualitäten der Spielerinnen stehen an erster Stelle. Ich denke, die Leute werden ein Team sehen, das sich in der Aufbauphase befindet, das die Kernwerte und Erfolgsfaktoren beibehalten will - den Kampfgeist und die Energie -, das aber taktisch flexibel ist und versucht, das Beste aus jeder einzelnen Spielerin herauszuholen."

"Wir wollen auch sicherstellen, dass das Team in der Abwehr solider wird als in den letzten zwölf Monaten. Es geht darum, eine bessere Grundlage dafür zu schaffen, wie wir verteidigen, ohne dabei die Qualitäten zu verlieren, die für diese Mannschaft wichtig sind, oder den starken Zusammenhalt, der hier aufgebaut wurde." 

Die Starspielerin

Vivianne Miedema, die schon im Alter von 22 Jahren zur niederländischen Rekord-Torschützin wurde, stellte im vergangenen Jahr mit zehn Toren bei nur vier Einsätzen in Tokio einen olympischen Rekord auf. Doch die 25-Jährige ist viel mehr als nur eine Torjägerin, was ihren Trainer vor ein spannendes Dilemma stellt.

"Es ist ein Privileg, mit Viv zu arbeiten, denn sie ist derzeit die beste Torjägerin der Welt und das größte Naturtalent, mit dem ich je gearbeitet habe. Es ist auch aus der Sicht des Trainers interessant, weil man sich die Frage stellt, wo sie am besten eingesetzt werden kann und wie sie das Spiel am besten beeinflusst. Sie war Spielmacherin, dann als Sturmspitze eine echte Nummer 9 und jetzt ist sie bei Arsenal wieder eine 10, weil sie Stina Blackstenius geholt haben." Und der Pass, den sie kürzlich auf Blackstenius gespielt hat, war einfach unglaublich."

"Viv ist nicht nur im Strafraum die Beste, sondern auch bei der Ballverteilung und im Spielaufbau. In allen drei Belangen ist sie absolute Weltklasse. Für mich als ihren Trainer geht es also darum, das richtige Gleichgewicht zu finden und ihr zu ermöglichen, all das zu tun, was sie am besten kann."