Dienstag 28 Juli 2020, 06:52

"Panther" gegen "Spinne"

  • 28. Juli 1966: Spiel um WM-Platz drei zwischen Russland und Portugal

  • Die "schwarze Spinne" Lev Yashin war der Alptraum eines jeden Elfmeterschützen

  • Er schüchterte (beinahe) den "schwarze Panther" Eusebio ein - der Beginn einer großen Freundschaft

"Mein Geheimnis? Vor einem Spiel rauchte ich oft eine Zigarette, um die Nerven zu beruhigen, und kippte einen schönen Wodka, um den Tonus der Muskulatur zu verbessern!"

So antwortete Torhüterlegende Lev Yashin auf die Frage nach den Erfolgsfaktoren, die es ihm ermöglichten, während seiner Karriere mehr als 150 Elfmeter zu halten - mehr als jeder andere Torhüter der Welt.

Wenige Momente, bevor dieses Bild im Spiel um Platz drei bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft England 1966™ aufgenommen wurde, schien die "schwarze Spinne" wie üblich völlig entspannt, der "schwarze Panther" indes überhaupt nicht – und das, obwohl er beim unvergesslichen 5:3-Sieg gegen die DVR Korea im Viertelfinale zwei Elfmeter verwandelt und im Halbfinale auch gegen den großartigen Gordon Banks einen Strafstoß versenkt hatte.

Doch Eusebio war klar, dass er nun – vor nicht weniger als 88.000 Zuschauern im Wembley-Stadion – gegen den Alptraum eines jeden Elfmeterschützen antreten musste. Drei Jahre zuvor hatte er an gleicher Stelle an der Seite von Yashin gespielt, neben weiteren Topstars wie Josef Masopust, Raymond Kopa, Francisco Gento, Alfredo Di Stefano, Uwe Seeler und Ferenc Puskás. Nämlich bei einem Spiel einer Weltauswahl gegen England anlässlich des hundertjährigen Gründungsjubliäums des englischen Fussballverbandes FA.

"Wir hatten vor dem Spiel alle zusammen trainiert", erinnerte sich Eusebio. "Schüsse, Elfmeter, Kopfbälle - er hat einfach alles gehalten. Er war der größte Torhüter aller Zeiten und Völker und ganz sicher auch der Beste, wenn es ums Parieren von Elfmetern ging. Gegen Yashin zum Elfmeter anzutreten war ganz anders, als gegen andere Torhüter. Allein ihn zwischen den Pfosten zu sehen, hat so manchen eigentlich selbstbewussten Spieler unglaublich verunsichert. Ich wusste also, dass ich einen perfekten Schuss abliefern musste."

Respekt für den Sieger

Wie üblich ließ Eusebio den Ball auf dem Weg zum Elfmeterpunkt ein paar Mal aufspringen. Doch seine Nervosität war regelrecht greifbar. Als er sich rückwärts vom Ball entfernte, hielt er den Kopf geneigt. Sein Mitspieler Jose Augusto gab ihm einen aufmunternden Klaps, der gegen die Nervosität helfen sollte.

Tatsächlich gelang dem Stürmer von Benfica der perferkte Schuss, den er sich gewünscht hatte. Mit all seiner Kraft jagte er den Ball genau unter die Latte, wie das Bild oben zeigt.

Yashin und Eusebio fielen sich gleich danach in die Arme. Der Moskauer war beim Parieren von Elfmetern derart souverän, dass er den wenigen Gegnern, die ihn überwinden konnten, meist persönlich gratulierte. An diesem verregneten Mittwoch des Jahres 1963 begann im Wembley-Stadion eine lang andauernde Freundschaft zwischen den beiden Stars.

Nach dem Schlusspfiff und dem 2:1-Sieg Portugals umarmten sich Yashin und Eusebio erneut. Es sollte nicht das letzte Mal bleiben.

Eusebio nahm neben Franz Beckenbauer, Pelé und weiteren Lichtgestalten auch an Yashins Abschiedsspiel vor mehr als 100.000 Fans in Moskau teil. Der Star von Dynamo Moskau besuchte Eusebio auch in Lissabon. Sie sahen sich nur relativ selten, doch stets genossen beide diese wertvollen Augenblicke.

Im März 1990 wurde kurz vor dem Viertelfinal-Rückspiel im Europapokal zwischen Dnipro Dnipropetrovsk und Benfica Lissabon über die Lautsprecheranlage im Meteor-Stadion der Tod Lev Yashins bekannt gegeben. Immer wieder schwenkten die Kameras auf ein Mitglied der Delegation des portugiesischen Klubs, dem Tränen über die Wangen liefen - es war Eusebio. Er hatte einen Freund verloren. Doch die Erinnerungen an ihn verlor er nie – und eine davon war der verwandelte Elfmeter im Wembley-Stadion.

Hätten Sie's gewusst?

Yashin sagte einmal: "Die Freude, Juri Gagarin durch das All fliegen zu sehen, wird nur durch die Freude eines gut gehaltenen Elfmeters übertroffen." Gagarin war ein Pionier im sowjetischen Raumfahrtprogramm, in dessen Rahmen auch der Satellit Sputnik II gestartet wurde – im November 1957, also sieben Monate vor Beginn der FIFA WM 1958 in Schweden. Es war die erste von drei WM-Endrunden, an denen Yashin teilnahm. Bei der letzten überreichte er seinen Trainingspullover an seinen Freund, den früheren französischen Torhüter Francois Remetter. Dieser Pullover – und unzählige weitere Ausstellungsstücke – sind im FIFA Welt Fussball Museum in Zürich zu besichtigen.