Sonntag 06 Februar 2022, 08:00

Michael: Al Hilal hat 40 Millionen neue Fans

  • Noch vor zehn Tagen genoss Michael als Spieler Flamengos seinen Strandurlaub

  • Nun spielt der 'Kleine Roboter' bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft für Al Hilal

  • Er spricht über eine "völlig verrückte" Woche und seine Ziele in Abu Dhabi

Es gibt nur wenige Fussballer, die derart radikale Veränderungen hinter sich haben wie Michael Delgado.

Noch vor zehn Tagen weilte er mit seiner Frau Andreza und seiner 14 Monate alten Tochter Eloah in den Ferien, die Fussballern in Brasilien eher selten vergönnt sind. Er freute sich über seinen erfolgreich bewältigten Weg aus der Hölle in den Himmel.

Michael wuchs in einer von Drogen geprägten Favela auf, in der es immer wieder Morde gab. Die einzige Möglichkeit gegen Hunger und Verarmung sah er in der Kriminalität. Schon als 13-Jähriger begann er, Drogenhöhlen aufzusuchen. Er verkaufte Dogen und er nahm auch selbst Drogen. Er trank exzessiv. Er ließ sich mit Bandenmitgliedern ein. Er beging Raubüberfälle. Er trug eine Waffe. Der Mann aus Poxoreo überlegte immer wieder, ob er damit sein eigenes Leben beenden sollte. Wenn er es nicht selbst tat, hätte ihn die Polizei mit ziemlicher Sicherheit eines Tages erschossen.

Schon mehrfach war Michael in Feuergefechte mit der Polizei verwickelt gewesen. So flüchtete er nach Goiania. Der Drogendealer, mit dem er sich dort eine Wohnung teilte, wurde ermordet. Für den 19-Jährigen war das der Wendepunkt. Er fand zu Gott... und zum Fussball.

In den fünf Jahren seitdem hat Michael mit seiner charismatischen Sprachgewalt unzählige Jugendliche von der Kriminalität weggelockt. Er stieg zu einem der besten Stürmer in dem an Stürmern gewiss nicht armen Land auf und durchlebte eine Depression, da er anfänglich nicht in der Lage war, mit den teilweise beängstigenden Folgen seines neuen Ruhms umzugehen. Dann klingelte sein Telefon. Eine weitere Verwandlung wurde in Gang gesetzt. Der "Kleine Roboter" brach seinen Strandurlaub ab, unterschrieb einen Vertrag bei Al Hilal und steht nun für dieses Team bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft VAE 2021™ auf dem Feld.

Auf Michaels Instagram-Profil steht "THE FAVELA WON" (MC Dreem hat sogar einen gleichnamigen Funk-Song veröffentlicht), eine Anspielung darauf, dass er es geschafft hat, trotz aller Knüppel, die ihm das Leben zwischen die Beine warf. Jetzt will der 25-Jährige für eine besonders große Sensation sorgen und Al Hilal in Abu Dhabi zum Ruhm verhelfen.

FIFA: Die letzte Woche war ein bisschen verrückt, oder? Michael: Das kann man wohl sagen, und sie ist immer noch völlig verrückt! Wenn da nicht der Kaffee wäre... dieses Zeug hält mich auf Trab! Vor einer Woche war ich in den Ferien. Ich war wirklich glücklich, schlief morgens lange und dachte an all die guten Dinge, die mir passiert waren. Die Zeitverschiebung beträgt sieben Stunden. An manchen Tagen kann ich selbst um vier Uhr morgens noch nicht einschlafen. Ich habe gute Tage, ich habe schlechte Tage. Das ist alles Teil der Umstellung. Ich bin erst seit einer Woche hier, aber ich hoffe, dass ich mich so schnell wie möglich eingewöhnen kann, denn ich möchte wirklich glücklich sein, ich möchte den Fans von Al Hilal viel Freude bereiten und meiner Familie, die immer für mich gekämpft hat und bei mir war, viel Freude bereiten. Ich bin meiner Familie so dankbar... und dem Kaffee auch (lacht).

Wie konnte das alles so schnell passieren? Ich war im Urlaub. Ich wusste nichts von dieser Entwicklung. Dann sagte mein Manager: 'Es gibt da so eine Möglichkeit. Hättest du Lust darauf?' Ich sagte: 'Wenn es gut für Flamengo ist, wenn es gut für mich ist und wenn es gut für Al Hilal ist, können wir uns einigen. Ich möchte niemanden verärgern, niemanden enttäuschen.' Aber alle drei Parteien haben sich geeinigt, und ich bin hier wirklich glücklich. Ich hoffe, dass ich meine Freude, meine Geradlinigkeit und mein Glück auf die anderen übertragen kann, denn ich möchte ihnen nicht nur auf, sondern auch abseits des Platzes helfen.

Vor sechs Wochen haben Sie noch für Flamengo im Finale der Copa Libertadores gespielt. Haben Sie da an die Teilnahme an der FIFA Klub-WM gedacht? Ja, das hatten wir natürlich im Hinterkopf. Es war mein Traum, bei der Klub-Weltmeisterschaft zu spielen. Als ich bei Flamengo war, haben wir immer gescherzt und darüber gesprochen, wie es sein würde, weil einige der anderen Spieler schon dabei waren aber ich noch nicht. Für mich ist es eine tolle Erfahrung, eine neue Erfahrung, und ich werde versuchen, sie so intensiv wie möglich zu genießen.

Al Hilal hat jetzt bestimmt ein paar Fans mehr, oder? (lacht) Ja, ganz bestimmt! Ich danke jedem einzelnen Flamengo-Anhänger. Ich hatte eine unglaubliche Zeit bei Flamengo und eine ganz besondere Beziehung zu den Fans. Ich weiß nicht, ob sie es hier schon wissen, aber ja, Al Hilal hat jetzt weitere 40 Millionen Fans, die sie bei dieser Klub-Weltmeisterschaft unterstützen! Nicht schlecht, oder? (lacht) Jetzt möchte ich eine schöne Geschichte über mich, die Al Hilal-Fans und den Klub schreiben.

Welches Ziel hat sich Al Hilal bei der FIFA Klub-Weltmeisterschaft gesetzt? Ich bin erst seit Kurzem hier. Alles passierte sehr schnell. Die wenige Zeit, die ich hatte, zum Beispiel auf dem Flug, habe ich genutzt, um wenigstens ein paar Brocken Englisch zu lernen, denn ich konnte überhaupt nichts sagen! Aber ich denke, unser Ziel ist es immer, zu gewinnen. Denn ein Klub dieser Größe geht stets mit dem Willen zum Erfolg in ein Turnier, in jedes Spiel. So war es auch bei mir [bei Flamengo]. Ich hoffe, dass ich weiterhin Titel holen und der Mannschaft helfen kann, dass man mit meinen Leistungen zufrieden sein wird und dass ich mich über viele Siege freuen kann.

Noch vor wenigen Jahren haben Sie in Goias in einer unteren Liga gespielt. Was ist es für ein Gefühl, nun hier bei der FIFA Klub-WM zu spielen? Ich bin sicher, es wird eine einzigartige Erfahrung. Ich hoffe wirklich, dass ich es so sehr wie möglich genießen und alles in mich aufnehmen kann. Ich denke, man muss das Leben so weit wie möglich genießen. Das ist eine einmalige Chance, eine unglaubliche Chance. Ich habe immer davon geträumt, bei der Klub-Weltmeisterschaft zu spielen, und es ist kaum zu glauben, dass sich diesen Traum nun erfüllt. Ich bin sehr glücklich, aber ich sage Ihnen etwas: Ich möchte noch glücklicher werden. Und es gibt da eine schöne Trophäe, die dafür sorgen würde! (lacht)