Dienstag 09 November 2021, 12:00

Evidence: "Ich habe nicht geglaubt, dass ich gut genug bin, um Profifussballer zu werden"

  • Noch vor drei Jahren spielte Evidence Makgopa als Verteidiger bei Dorfturnieren

  • Als Stürmer glänzt er derzeit in den Reihen Südafrikas in der WM-Qualifikation für Katar 2022

  • Makgopa spricht über seinen raketenhaften Aufstieg und seinen WM-Traum

Als Zwölfjähriger wanderte Evidence endlos durch die verlassenen, staubigen Straßen von Limpopo, einer der ärmsten Provinzen Südafrikas. Zehn Kilometer waren es bis zur Schule. Und nach Hause noch einmal zehn Kilometer. Und das an sieben Tage in der Woche. Denn auch die Wochenenden waren der Bildung gewidmet, dem einzigen Hoffnungsschimmer auf einen Ausweg aus der Armut. Doch dem fussballbegeisterten Jungen machte all das nichts aus. Er stopfte sein Schul-Klemmbrett mit Zeitungsausschnitten von Cristiano Ronaldo, Zlatan Ibrahimovic und anderen Stars voll und schwärmte beim Gehen von ihnen. Kurioserweise beflügelte dies allerdings keine Fantasien, diesen Idolen nachzueifern. Evidence hatte noch nie ein Fussballspiel bestritten - nicht einmal für die Schule, die so viel von seiner Zeit in Anspruch nahm - und "wenn man in einer solchen ländlichen Gegend aufwächst, denkt man nicht wirklich daran, es im Leben zu etwas zu bringen, geschweige denn im Fussball." Der aus Ga-Mampa stammende Junge bewundert auch heute noch Cristiano und Zlatan. Der mittlerweile 36-jährige Ronaldo hat den Länderspiel-Torrekord von Ali Daei gebrochen und will der erste Mann werden, der bei fünf FIFA WM-Endrunden ins Schwarze traf. Und der 40-jährige Zlatan kam aus dem internationalen Ruhestand zurück, um Schweden zur WM 2022 nach Katar zu führen und derzeit liegen die Skandinavier im Rennen um die direkte Qualifikation vor Spanien. Doch die Geschichte von Evidence Makgopa übertrifft alle anderen eigentlich undenkbaren Geschichten. Der 21-Jährige, der erst mit 13 Jahren zum ersten Mal ein Spiel bestritt und vor weniger als drei Jahren bei einem Dorfturnier zufällig als Verteidiger entdeckt wurde, ist Olympiateilnehmer und hat bislang in der Qualifikation für Katar 2022 für die Bafana Bafana geglänzt. Makgopa sprach mit FIFA.com über seinen raketenhaften Aufstieg, Südafrikas Duell mit Ghana um einen Platz in der letzten Qualifikationsrunde und mehr.

Sie haben erst recht spät mit dem Fussballspielen angefangen, nicht wahr? Ich hatte noch nie Fussball gespielt, bevor ich 13 wurde. Natürlich habe ich ein bisschen auf der Straße gekickt, aber an einem richtigen Spiel hatte ich noch nie zuvor teilgenommen. Mein Leben war der Schule gewidmet. Ich habe jeden Tag gelernt, auch samstags und sonntags, und musste über zehn Kilometer zur Schule und über zehn Kilometer nach Hause laufen. Und wenn ich mal Zeit hatte, vom Fussball zu träumen, hatte ich Angst davor, in einem wichtigen Spiel einen Fehler zu machen, also beließ ich es dabei, ein wenig auf der Straße zu kicken. Als ich 13 Jahre alt war, sah mich jemand beim Straßenfussball und sagte: 'Dieser Junge hat was drauf'. Dann nahm ich zum ersten Mal an Spielen in meinem Dorf teil. Ich spielte als Verteidiger, aber eigentlich hat sich niemand an seine Position gehalten. Alle sind dem Ball hinterhergejagt, einfach so zum Spaß. Die Spielfelder waren extrem schwer zu bespielen. Sie waren sehr staubig, es gab keinen weichen Boden. Haben Sie auf diesem langen Schulweg davon geträumt, Fussballer zu werden? Nein. Für jemanden aus meinem Dorf war es zu unrealistisch, auch nur davon zu träumen. Wenn man in einer solchen ländlichen Gegend aufwächst, denkt man nicht wirklich daran, es im Leben zu etwas zu bringen, geschweige denn im Fussball. Ich hatte ein Klemmbrett für die Schule und füllte es mit Zeitungsausschnitten über Fussballer. Auf dem Weg zur Schule sah ich sie mir an und dachte: 'Wie toll muss es sein, dieser Spieler zu sein? Er muss ein fantastisches Leben haben.' Aber davon zu träumen, etwas Ähnliches zu schaffen, war einfach zu unrealistisch. Wenn Sie mir damals gesagt hätten, dass ich einmal Profifussballer werden würde, hätte ich Sie für völlig verrückt gehalten. Baroka hat sie im Dezember 2018 zufällig bei einem Dorfturnier in der Abwehr spielen sehen. Stimmt es, dass Sie dachten, Sie wären nicht gut genug, als Sie danach angesprochen wurden? Als ich zum ersten Mal davon hörte, dachte ich: 'Okay' (überrascht). Mein Traum war es, es im Leben zu etwas zu bringen. Das mit dem Fussball war etwas aus einem verrückten Traum. Ich habe nicht geglaubt, dass ich gut genug bin, um Profifussballer zu werden. Ich hatte eine Menge Zweifel. Aber dann habe ich mir gesagt: 'Diese Chance kann ich nicht verstreichen lassen. Ich muss alles geben.' Wenige Jahre später feierten Sie Ihr Debüt für die Bafana Bafana und steuerten nach der Einwechslung zwei Tore zu einem 3:2-Sieg bei… Das war einfach unglaublich. Ich hatte erst 15 Monate zuvor zum ersten Mal Profifussball gespielt, und da stand ich nun als Nationalspieler. Ich war im Vorfeld sehr, sehr nervös, aber ich habe mir gesagt: "Nimm den Kopf runter, sei bescheiden, arbeite hart, du weißt, dass du es schaffen kannst. Zum Glück verlief alles nach Plan. Ich habe einen Doppelpack geschnürt und wir haben gewonnen. An diesem Tag ging für mich ein Traum in Erfüllung. Ich weiß noch, dass ich gleich nach dem Spiel ein Videogespräch mit meiner Familie machte. Meine Mutter schickt mir selbst heute noch ständig Textnachrichten. Wenn wir verlieren, versucht sie immer, mich aufzumuntern, und sagt mir, dass ich beim nächsten Mal ein Tor schießen werde und wir gewinnen werden. Und wenn wir gewinnen, lobt sie mich immer. Ich weiß noch, wie stolz sie war, und das hat mir sehr, sehr viel bedeutet.

Wie haben Sie sich gefühlt, als Sie für die Olympischen Spiele nominiert wurden? Ich fragte mich, 'Ist das wirklich wahr?' Ich weiß noch, wie ich ins Flugzeug stieg und immer noch das Gleiche dachte. Ich habe mein Debüt für die Bafana Bafana gegeben, und jetzt stehe ich kurz davor, Olympionike zu werden. Solche Sachen passieren Leuten wie mir eigentlich nicht. Wann werde ich endlich aufwachen? Aber ich wollte auch alles geben, um diese unglaubliche Chance zu rechtfertigen. Jemand hatte an mich geglaubt und mir eine Chance gegeben. Ich hatte den Vorzug vor einem erfahrenen Spieler erhalten. Ich war sehr dankbar und wollte das zurückzahlen. Südafrika hat zwar alle drei Spiele verloren und ist ausgeschieden, aber sie persönlich haben geglänzt. Sind Sie stolz auf Ihre Leistungen? Ja, ich kann wirklich sagen, dass ich stolz auf meine Leistungen bin, vor allem auf das Spiel gegen Frankreich. Ich habe ein Tor geschossen, einmal den Pfosten getroffen und hatte das Gefühl, dass ich ihre Verteidiger überlistet habe. Das war eine fantastische Erfahrung. Wenn man an all die großen Spieler denkt, die bei den Olympischen Spielen mitgemacht haben, an all die großen Sportler aus anderen Sportarten, dann ist das Gefühl, ein Olympionike zu sein, wirklich etwas Besonderes.

Wie würden Sie sich selbst als Spieler beschreiben? Ich denke, meine größten Stärken sind mein Abschluss, meine Sprungkraft und meine Beweglichkeit. Bei meiner Herkunft war klar, dass es für mich besonders schwierig sein würde. Also musste ich mich ganz besonders ins Zeug legen und immer noch etwas mehr tun. Also habe ich angefangen, Spieler sehr genau auf YouTube zu studieren, und ich glaube, das hat mir wirklich geholfen. Seit ich als Stürmer spiele, habe ich Edinson Cavani, Zlatan Ibrahimovic, Tammy Abraham, Cristiano Ronaldo, Romelu Lukaku und Lebo Mothiba studiert. Was die Bewegungen angeht, habe ich viel von Cavani gelernt. Was die Technik angeht, von Ibrahimovic. Und was die Ballverteidigung angeht, von Mothiba. Ich studiere immer noch Spieler auf YouTube. Das hat mir sehr geholfen. Viele der größten südafrikanischen Talente der letzten Jahrzehnte wurden dafür kritisiert, eher faul zu sein, aber Sie sind für Ihre hervorragende Arbeitseinstellung bekannt. Bemühen Sie sich bewusst darum, sich die Seele aus dem Leib zu arbeiten? Ja. Und zwar in jedem einzelnen Spiel. Ich weiß, dass es durchaus Stürmer gibt, die schneller sind als ich, die geschickter sind, die besser abschließen, und daran kann ich nichts ändern. Aber ich kann härter trainieren und ich achte darauf, dass ich das tue. Ich möchte keinem Trainer, egal in welchem Spiel meiner Karriere, die Möglichkeit geben, meine Leistungsbereitschaft zu kritisieren. Lieber würde ich auf dem Spielfeld zusammenbrechen. Ghana hat Thomas Partey von Arsenal, Mohammed Kudus von Ajax, Kamaldeen Sulemana von Rennes und die Ayew-Brüder. Die Ghanaer waren der hohe Favorit auf den Sieg in Gruppe G, aber derzeit liegt Südafrika mit einem Punkt Vorsprung an der Spitze... Der Fussball ist voller Überraschungen. Ja, sie haben Spieler bei großen Klubs in Europa, aber uns ist es egal, wer sie sind. Wir wollen unbedingt nächstes Jahr in Katar dabei sein, und wir sehen sie als Spieler, die uns auf dem Weg dorthin im Weg stehen. Wir müssen uns also steigern und kämpfen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass Südafrika am Ende den ersten Platz in unserer Gruppe belegen wird. 2010 war ein unglaubliches Jahr für Südafrika, aber die zwei WM-Turniere danach haben wir verpasst. Sie sind kurz vor der WM 2010 zehn Jahre alt geworden. Was ist Ihnen von diesem Turnier in Erinnerung geblieben? Ich werde niemals vergessen, wie Tshabalala das erste Tor des Turniers schoss. Was für ein unglaublicher Moment für Südafrika. Im ganzen Land brachen riesige Jubelstürme los. Es war das Tor, das allen Südafrikanern den Glauben schenkte. Ich habe das Spiel mit meiner ganzen Familie gesehen. Es gab eine Riesenleinwand in einem Park. Alle waren völlig aus dem Häuschen. Wie viel würde es für die Südafrikaner bedeuten, endlich wieder bei einer WM dabei zu sein? Ich kann mir nicht einmal ansatzweise vorstellen, was das bedeuten würde. Die Südafrikaner sind außerordentlich leidenschaftliche Fussballfans. Für sie ist es etwas sehr Persönliches. Sie kommen auf dich zu und kritisieren dich, aber dann versuchen sie, dich für das nächste Spiel wieder aufzurichten. Sie wollen dich immer unterstützen. Und wir wollen den Menschen die Freude über eine neuerliche WM-Teilnahme schenken.