Dienstag 03 November 2020, 07:48

Deutschlands "Bomber der Nation" wird 75

"Dann macht es bumm, ja und dann kracht's, und alles schreit: der Müller macht's."

Diese simple Zeile aus einem Lied, das Gerd Müller während seiner Karriere vertonte, und das aus heutiger Sicht vielleicht ein wenig befremdlich oder komisch wirken mag, beschreibt trotzdem ganz wunderbar, was für ein Spieler der vor 75 Jahren im bayerisch-schwäbischen Nördlingen Geborene war: einer, der die Tore macht. Er steht gemeinsam mit Franz Beckenbauer, Paul Breitner und Sepp Maier als Synonym für die großen Erfolge des FC Bayern und der deutschen Nationalmannschaft in den 1970er Jahren und gilt noch heute als die klassische Nummer 9.

Es ist natürlich kein Zufall, dass es ausgerechnet Müller war, der die Bundesrepublik Deutschland, die 1974 vielleicht als Außenseiter in das Endspiel der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft ging, zum zweiten Titelgewinn nach 1954 schoss. Und es war auch ganz sicher kein Zufall, dass dieses Tor auf eine für Müller typische Art und Manier fiel - denn eigentlich war das gar keine echte Torchance, als Müller kurz vor dem Halbzeitpfiff rund acht Meter vor dem Tor angespielt wurde. Er war gedeckt, verschaffte sich jedoch ein wenig Raum und verwandelte dann blitzschnell aus der Drehung.

Aktuell geht es Müller leider nicht gut. Seit rund fünf Jahren ist er schwer an Demenz erkrankt und lebt in einem Heim südlich von München, wo er von seiner langjährigen Ehefrau Uschi regelmäßig besucht wird. "Er isst so gut wie nichts mehr, kann kaum mehr schlucken, liegt fast 24 Stunden im Bett, hat nur wenig wache Momente. Es ist so schön, wenn er kurz die Augen aufmacht", sagte Uschi Müller in der Bild. "Er ist immer ein Kämpfer gewesen, war immer tapfer, sein ganzes Leben lang. Das ist er auch jetzt."

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Spielstil

Gerade wenn man Müller nicht mehr spielen gesehen hat, ist es wichtig, sich mit seinem Spielstil zu beschäftigen - denn der Deutsche erreichte Torquoten, wie es heute nur Lionel Messi oder Cristiano Ronaldo gelingt, was zu spannenden Diskussionen in Online-Foren geführt hat, was ein Gerd Müller wohl auf dem heutigen Transfermarkt wert wäre. Er tat dies aber auf eine ganz andere Art und Weise, als der Portugiese oder der Argentinier.

Müller war untersetzt und bewegte sich vergleichsweise wenig. Er hatte ein unglaubliches Gespür dafür, wo im Strafraum er sich in welchem Moment befinden und wie er sich bewegen musste, um die damals noch üblichen Manndecker für den Bruchteil einer entscheidenden Sekunde loszuwerden. Dann schlug er zu. Eiskalt, aus allen Lagen und mit allen legalen Körperteilen erzielte er seine Tore. Müller war weder besonders schnell, noch glänzte er mit technischen Tricks - allerdings verfügte er über eine unglaubliche Wendigkeit, Koordinationsfähigkeit und einen extremen Antritt auf den allerersten Metern. Nie zuvor und nie danach gab es wohl so einen unglaublichen Abschluss-Spieler.

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Zahlen

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Fakten und Anekdoten

  • Am Tag vor dem WM-Endspiel 1974 hatte er Bundestrainer Helmut Schön seinen Rücktritt aus der Nationalmannschaft bekanntgegeben, im Alter von 28 Jahren, um mehr Zeit für die Familie zu haben

  • Während Müller bei den Bayern meistens die 9 trug, spielte er bei der Nationalelf zumeist mit der 13

  • Müller litt nach seiner Karriere an einem Alkoholproblem; seine alten Weggefährten Uli Hoeneß, Franz Beckenbauer und Karl-Heinz Rummenigge versuchten ihm bei dessen Überwindung zu helfen

  • Er unterschrieb 1964 bei den Bayern, weil er sich beim damals führenden Lokalrivalen TSV 1860 München keine Chance ausrechnete

  • Müller soll es angeblich zum 1. FC Nürnberg gezogen haben, der eine Verpflichtung abgelehnt haben soll, weil schon zwei Spieler namens Müller im Kader standen

  • Kaum bekannt: Aber Müller erzielt 1974 im WM-Finale noch einen zweiten Treffer, der wegen einer vermeintlichen Abseitsstellung keine Anerkennung fand

  • In seiner ersten Bundesliga-Saison erzielte Müller im Ligaspiel gegen den HSV das 1:0, sprang dann für den verletzten Sepp Maier als Torwart ein und übergab beim Stande von 4:0 zurück an Maier

Das sagt er

"Als Torjäger musst du wissen, wo das Tor steht. Und das habe ich gewusst."

"Am schönsten war halt doch die Weltmeisterschaft"

"Man muss auch blind treffen können, man muss ohne Hinschauen wissen, wo das Tor steht. Wenn du nachdenkst, ist es eh zu spät."

"Der Strafraum war mein Reich. Von außerhalb des Sechzehners habe ich in meiner Karriere nicht viel Tore geschossen."

"Einmal hab ich gegen die Glasgow Rangers einen Freistoß verwandelt, aber das war mehr aus Versehen. Ich sollte gar nicht schießen, ich hab mir einfach den Ball geschnappt."

"Wenn der Franz kam, wusste ich immer: Er will Doppelpass. Wenn der Franz mich schwach angespielt hat, dann sollte ich zurückspielen. Hat er mich aber scharf angespielt, dann musste ich mit dem scharfen Ball was machen."

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Das sagen andere

"Es waren viele spektakuläre Tore. Natürlich auch Abstauber, weil er vorausdachte, richtig stand. Der Gerd sagte immer: 'Tor ist Tor.’. Er hat sich nicht mal an den Tritten gestört. Er sagte, ich habe nichts dagegen, wenn mir einer auf die Socken haut. Nur wenn mich einer am Trikot packt, dann könnte ich ihn umbringen." Uschi Müller, Ehefrau

"Wie oft habe ich im Training zu 'Katsche' Schwarzenbeck gesagt: 'So, jetzt hau'n wir ihn um.' Und was war? Eine Drehung, noch eine, und Katsche und ich haben auf dem Arsch gesessen. Und der Gerd war weg." Franz Beckenbauer

"Auf eine Stufe mit Gerd Müller würde ich mich nicht stellen. Ich habe sehr viel mehr Spiele gebraucht, um auf diese Anzahl von Toren zu kommen. Das spricht für ihn. Gerd Müller darf man mit niemandem vergleichen. Was er geleistet hat, ist einmalig. Das habe ich ihm auch schon persönlich gesagt." Miroslav Klose über Müller, nachdem er ihn als Rekordtorschütze der deutschen Nationalmannschaft abgelöst hatte

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"Was soll ich mit einem Gewichtheber?" Zlatko Čajkovski, Müllers Trainer den Bayern, bei seiner Verpflichtung

"Er war eines der größten Genies, das ich je im Fussball gesehen habe." Paul Breitner

"Kleines dickes Müller" Čajkovski später liebevoll

"Ich versuchte, über meiner Suppe eine besonders hartnäckige Fliege zu verscheuchen. Es half nichts. Neben mir saß Gerd Müller. Er sagte nach einer Weile: 'Lass mal.' Dann sah er der Fliege aufmerksam zu. Als sie wieder über meinem Teller tanzte, schoss seine Hand blitzartig nach vorn. Dann öffnet er sie und griente: Darin lag die tote Fliege." Beckenbauer

"Natürlich war er ein schwerer Alkoholiker. Niemand jedoch hat darüber geschrieben, dass der Gerd einer der ganz, ganz wenigen ist, die nie mehr rückfällig wurden. Wenn es Nein war, dann war es Nein. Sein ganzes Leben lang war er ein guter, tapferer Mensch. Er war sich seiner großen Erfolge niemals bewusst, es hat ihm einfach Spaß gemacht. Er hat nie gedacht, ich bin der Allergrößte. Er war immer ein bescheidener, zurückhaltender, zurückgezogener Mensch. Immer freundlich, einer der letzten Gut-Menschen, die es gibt." Uschi Müller

"Wenn wir den Gerd nicht gehabt hätten, dann säßen wir an der Säbener Straße heute noch in Holzbaracken. Dann wären wir alle ein großes Stück ärmer." Franz Beckenbauer