Donnerstag 01 Dezember 2016, 14:00

Der weniger bekannte Weg von Suárez bis zum Gipfel

"Wilson, ich werde bei Barcelona spielen." "Luis, wenn du nicht einmal in der siebten von Nacional spielst, wie willst du es in Barcelona schaffen?"

Luis Suárez war 13 Jahre alt, als diese Unterhaltung mit Wilson Pírez stattfand. Letztgenannter ist neben Juan Pablo Spósito nicht nur der Entdecker des Stürmers, sondern der Hauptverantwortliche dafür, dass El Salta bei Nacional Montevideo blieb.

Es war das Jahr 2000 und für Suárez keine leichte Zeit. Nur langsam verblassten zwei traumatische Erlebnisse: Der Wegzug von seinem Geburtsort Salto in die turbulente Hauptstadt und die spätere Trennung seiner Eltern. In fussballerischer Hinsicht lief es ebenfalls nicht wie erwartet.

Damals lernte er Pírez kennen, der bei Nacional für die Jugendarbeit verantwortlich war, aber vor allem die wichtigste Vertrauensperson und im Verein der größte Unterstützer von Lucho werden sollte. Derselbe Pírez, der Suárez bei der Verleihung des Goldenen Schuhs für den besten Torschützen Europas mit einer Videobotschaft rührte.

"Ich sah ihn zum ersten Mal, als er zehn Jahre alt war", sagt Pírez, der heute Spielerberater ist, im Gespräch mit FIFA.com. "Es fiel mir auf, dass seine Spielweise zwar unausgegoren, aber effektiv war. Er war weder kräftig noch am Ball besonders begabt, ja sogar etwas roh. Aber er hatte Charakter und einen beeindruckenden Drang zum Tor!"

In den jüngsten Alterskategorien stach Suárez zwar heraus, aber seine Verpflichtung für den Juniorenbereich erregte unter den Kollegen von Pírez Widerstand. "Er gehörte nicht zu den Spielern, die ein Augenschmaus sind. Die Hauptfiguren und Torjäger des Teams waren Martín Cauteruccio - heute bei San Lorenzo- und Bruno Fornaroli - in Australien. Aber ich blieb dabei: 'Dieser Junge ist hier und die anderen Vereine wollen ihn, wir dürfen ihn nicht verlieren.' So überzeugte ich sie."

Die Teile des Puzzles Doch sein Kampf sollte erst beginnen. "Er wurde nicht oft eingesetzt und verlor die Motivation. Außerdem ging er gerne aus - wie jeder junge Kerl." So kam es, dass Suárez manchmal viele Tore machte und in der nächsten Partie genauso viele Chancen vergab, wenn er eingesetzt wurde. Dann ereignete sich jene Episode Anfang 2002, als Pírez schließlich genug hatte:

"Eines Morgens kam ich um 6:30 Uhr zum Parque Central, um das Spiel seiner Liga vorzubereiten, und Luis schlief auf einer Bank. 'Du bist früh dran', sagte ich zu ihm und er antwortete mir: 'ja'. Er spielte nicht gut, das kann passieren", blickt Pírez zurück. "Aber am Abend zuhause sagte mir meine Tochter: 'Gestern Nacht habe ich El Salta beim Tanzen gesehen'. Er war direkt zum Spiel gegangen!", erinnert er sich und bricht in Gelächter aus.

"Am nächsten Tag bestellte ich ihn in mein Büro: 'Junger Freund, ich habe dich früher verteidigt, jetzt musst du mich verteidigen. Wenn sie dich nicht rauswerfen, mache ich es.' Man musste ihn auch im sportlichen Bereich auf den richtigen Weg bringen, denn in der Schule lief es gut, er machte seine Sachen. Seine Zukunft war der Fussball."

Im Alter von 15 Jahren versprach Luis, sich voll und ganz auf seine Fussballerkarriere zu konzentrieren. Aber die Person, die seine Laufbahn endgültig in die richtige Richtung führte, tauchte erst einige Monate später auf. Er lernte Sofía Balbi kennen, seine heutige Ehefrau.

"Am Anfang hat das keiner ernst genommen, in diesem Alter... Aber mit 16 war sie seine Freundin und er sagte, dass sie die Mutter seiner Kinder und die Frau seines Lebens sein würde. Als die Eltern von Sofía 2003 nach Barcelona auswanderten, war das ein schwerer Schlag. Luis wollte nach Europa, um näher bei ihr zu sein."

In dieser Zeit hatte Suárez wieder zu alter Form gefunden. Er war unumstrittener Stammspieler in der sechsten und fünften Spielklasse. An einem Wochenende spielte er gleich in drei verschiedenen Kategorien und krönte sein Debüt in der dritten Liga im Vorfeld eines Erstligaspiels mit zwei Toren.

Suárez wurde Anfang 2005 in die erste Mannschaft befördert und kam im Mai erstmals zum Einsatz. "Die erste Zeit bei Nacional war sehr hart", erinnert sich Pírez. "Nicht nur, dass Sofía nicht da war, er vergab auch viele Chancen und wurde kritisiert, genauso wie der Trainer, Martin Lasarte. Beide wurden beleidigt."

"'Hörst du, wie sie mich drangsalieren, weil ich deinen Jungen einsetze?', sagte Lasarte zu mir. Aber in der zweiten Hälfte schaffte er den Durchbruch. Er begann, Tore zu machen, als er das Trikot mit der Nummer 13 abgab, das ihm El Loco Abreu gegeben hatte, und die Nummer neun überstreifte. Sie sind dicke Freunde und scherzen noch heute darüber."

Fussballerische Entwicklung Der Rest der Geschichte ist allgemein bekannt, aber Pírez kennt einige Details, um sie auszuschmücken. Wie zum Beispiel sein Wechsel zum holländischen Klub Groningen. "Es waren honduranische Geschäftsleute und sie kamen wegen Elías Figueroa von Liverpool. Am Tag darauf sahen sie Luis bei Nacional und sagten: 'Den wollen wir haben.'"

Seine Beziehung zu Suárez veränderte sich trotz des Abschieds nicht: "Es waren die gleichen Gespräche, aber per Telefon oder im Chat."  In fussballerischer Hinsicht aber ließ sich der kommende Aufstieg erahnen. "In Groningen wurde er geschliffen und es war klar, dass er bei Ajax nur noch besser werden konnte: Das Team war offensiver, die gegnerischen Verteidiger hatten alle Hände voll zu tun und er ist sehr listig, um das auszunutzen."

Nach seinem Wechsel zu Liverpool überraschten ihn zwei Entwicklungen. Zunächst seine Freistoßtore: "'Du hast dich verbessert', sagte ich zu ihm. Er antwortete: 'das Ergebnis von hartem Training.'" Und dann seine Fähigkeiten als Vorlagengeber. "Ich kannte seinen Egoismus, wenn es ums Toreschießen ging. Es war eine eindeutige Weiterentwicklung seines Spiels. Dies machte ihn zu einem der besten Stürmer der Welt."

Als er bei Real Madrid gehandelt wurde, wusste es Pírez besser. "Er hatte mir schon gesagt, dass der Wechsel zu Barcelona fix ist. Ich glaube, das wussten nur sein Berater, Sofía und ich. Es war eine Riesenfreude für mich, dass er, der wie ein Sohn für mich war, sein Ziel erreichte."

Auch der Zwischenfall bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft Brasilien 2014 konnte nicht verhindern, dass sich jene Vorahnung des 13-jährigen Suárez bewahrheiten sollte. "Es war eine schwere Zeit. Den Inhalt unserer Gespräche behalte ich für mich. Aber ich habe nie daran gezweifelt, dass er nach der Sperre stärker als je zuvor zurückkehren würde."

Pírez betont etwas, das im Leben von Suárez weniger bekannt ist. "Sein Herz. Er ist bescheiden, dankbar und hat ein großes Herz. Er zeigt sich, wie er ist, ob beim Grillen mit seinen Freunden oder wenn er in Barcelona spielt. Er spielt nicht den Freund von Messi oder Neymar, er ist es. Deshalb bringt er mit ihnen zusammen so gute Leistungen."

Wird es reichen, um zu den Finalisten für die Auszeichnung The Best - FIFA-Weltfussballer 2016 zu gehören? "Das sollte es. Für mich ist er mindestens einer der drei maßgebenden Fussballer der Gegenwart."

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