Sonntag 07 März 2021, 23:25

Chan: Eine Pionierin, die Barrieren beseitigt

  • Chan Yuen Ting ist eine Trainerin aus Hongkong

  • Erste Frau, die die höchste Spielklasse eines Landes als Trainerin eines Männerteams gewann

  • Heute ist sie Trainerin der U-16-Frauen-Auswahl der VR China

Chan Yuen Ting war 2015 die erste Frau in Asien, die einen Erstligisten des Männerfussballs trainierte, avancierte 2016 zur ersten Trainerin, die die höchste Spielklasse eines Landes im Männerfussball gewann und 2017 zur ersten Frau, die ein Männerteam bei einem kontinentalen Vereinswettbewerb trainierte (bei der AFC Champions-League). Man kann sie also mit Fug und Recht als Pionierin bezeichnen!

Anlässlich des Weltfrauentages am 8. März hat FIFA.com sich mit der 32-jährigen Ausnahmetrainerin unterhalten, die derzeit in der VR China für die U-16-Auswahl der Frauen zuständig ist. Mit Bescheidenheit blickt sie auf ihre Erfolge zurück. Mit Scharfsinn geht sie auf die Rolle der Frau in Asien an. Mit Respekt spricht sie über ihre Mentoren David Beckham und Corinne Diacre. Hier kommt das Interview.

Vor fünf Jahren gelang es Ihnen als erster Trainerin eines Männerteams, die höchste Spielklasse eines Landes zu gewinnen. Damals waren sie 27 Jahre alt. Fühlen Sie sich in der Rolle der Pionierin wohl?

Ehrlich gesagt war die Ernennung zur Trainerin des Eastern SC im Jahr 2015 eine große Überraschung für mich. Damit wurde ein Traum für mich wahr, ohne dass ich damit gerechnet hatte. In der ersten Zeit musste ich darauf achten, dass mir das Ganze nicht zu Kopf steigt. Ich glaube, ich habe es geschafft, diese Ernennung mit einer gewissen Bescheidenheit anzunehmen. Schließlich war ich noch in der Ausbildungsphase und weit davon entfernt, mich für eine gute Trainerin zu halten. Das war alles eine einzige Herausforderung. Den Titelgewinn hatte ich überhaupt nicht auf dem Schirm. Am Ende haben wir es geschafft, und ich muss zugeben, dass ich mich auch heute noch frage, ob das alles nicht nur ein Traum war [lacht] ...

Kann man Sie als Heldin betrachten?

Ich habe hier und da gelesen, dass diese Leistung ein "Wunder" oder eine "Heldentat" war, aber ich sehe die Sache ganz anders. Ich hatte einfach nur eine Riesenchance, weil mir ein sehr hochklassiges Team anvertraut wurde. Es stimmt natürlich, dass es nie zuvor einer Trainerin gelungen ist, mit einem Männerteam eine solche Trophäe zu gewinnen, aber bei diesem Titelgewinn spielte ich nur eine zweitrangige Rolle. An vorderster Front stehen die Spieler, und die Anerkennung gebührt in erster Linie ihnen.

Head coach Chan Yuen-ting poses with the trophy after guiding Eastern S.C. to the 2016 season Hong Kong Premier League title

War dieser Titelgewinn nicht trotzdem der stolzeste Moment in ihrer noch jungen Karriere?

[Denkt nach] Ja, ohne Zweifel ... Ich denke immer wieder an diese Saison zurück und an das, was ich in diesem Jahr erreicht habe. Auch wenn ich mich selbst nicht gern in den Vordergrund stelle, hatte dieser Titel doch ein großes Medienecho und manchmal wurde mir gesagt, ich sei eine Quelle der Inspiration für andere Frauen. Das ist es vielleicht, was mich am meisten berührt. Aber ich bin noch immer eine junge Trainerin und hoffe daher, dass MEIN großer Erfolgsmoment noch aussteht!

Hat sich Ihr Leben nach diesem Titelgewinn verändert?

Ja, denn durch diesen Titel hatte ich im Anschluss die Möglichkeit, an der AFC Champions League teilzunehmen. Durch dieses Turnier habe ich eine Reife erlangt, die ich sonst nie erlangt hätte. Es war eine beispiellose Erfahrung, gegen die besten Teams des Kontinents anzutreten, auch wenn wir nicht wirklich erfolgreich waren. Ich habe durch die hohen Niederlagen eine Menge gelernt, obwohl das damals moralisch ein ganz schöner Dämpfer war. Ich glaube, da musste ich einfach durch. Dadurch bin ich wieder geerdet und in die Rolle der kleinen Trainerin zurückverwiesen worden, die noch viel Arbeit vor sich hat. Und das ist eine Motivation, um für noch größere Erfolge zu kämpfen.

Sie haben gesagt, dass es Ihnen vielleicht gelungen ist, andere Frauen zu inspirieren. Von wem haben Sie selbst sich inspirieren lassen?

Ich bin wegen David Beckham zum Fussball gekommen. Als ich 13 Jahre alt war, hatte ich nur Augen für ihn. Also habe ich begonnen, mir die Spiele von Manchester United anzuschauen. Ich hatte Spaß daran. Später habe ich mir mehr Spiele der Premier League angesehen und dann noch mehr Spiele ... Auf jeden Fall hat David Beckham den Stein ins Rollen gebracht. Er hatte einen extremen Einfluss auf mein Leben, obwohl wir uns noch nie begegnet sind. Aber ich gebe nicht auf, denn eines Tages wird es schon klappen! [lacht]

Und bei den Frauen?

Corinne [Diacre] ist eine Trainerin, die mich unglaublich inspiriert. Wir haben uns im Rahmen des Mentoringprogramms der FIFA Besuche abgestattet. Sie hat mir viel beigebracht. Es hat mich sehr beeindruckt, sie bei der Frauen-Weltmeisterschaft 2019 auf der Trainerbank zu sehen. Sie hat einen tollen Job gemacht, auch wenn Frankreich am Ende kein Glück hatte. Sie hat mich noch stärker davon träumen lassen, eines Tages bei einer WM dabei zu sein, und der Traum hat vorher schon viel Raum eingenommen!

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Welche Erinnerungen haben Sie an das FIFA Trainerinnen-Mentorenprogramm?

Das war wirklich eine tolle Erfahrung für mich. Ich hatte Gelegenheit, eine Woche in Clairefontaine zu verbringen, und das war sehr lehrreich in Bezug auf die Infrastruktur und das Training. Ich konnte mit eigenen Augen sehen, wie ein internationales Spitzenteam funktioniert. Ich werde diese Woche nie vergessen. Mit Corinne bin ich in Kontakt geblieben. Wir schicken uns regelmäßig Nachrichten. Sie hat immer gute Ratschläge für mich. Sie ist die perfekte Mentorin.

Genau wie Sie hat auch Corinne Diacre in der Vergangenheit bereits ein Männerteam trainiert, nämlich Clermont Foot. Doch es gibt noch nicht viele Frauen, die solche Erfahrungen machen durften ...

Ich hatte das Glück, aus Hongkong zu stammen, wo Geschlechtergleichheit groß geschrieben wird. Doch anderswo in Asien ist man davon noch weit entfernt. In vielen Ländern meines Kontinents haben Frauen noch immer nicht dieselben Rechte wie Männer. Es ist sehr schwierig, mit der Tradition zu brechen. Traditionell betrachtet ist Fussball ein Männersport ... Ich habe jedoch den Eindruck, dass es anderswo, vor allem in Europa, ausgeglichener ist, und ich kann mir vorstellen, dass wir dort mehr Frauen sehen werden, die die Führung von Männerteams übernehmen, wo sich der Frauenfußball in den letzten Jahren enorm entwickelt hat. Bei der letzten Frauen-WM waren sieben der acht Viertelfinalisten aus Europa. Europa hat den Wind in den Segeln!

Jetzt trainieren Sie die U-16-Frauenauswahl der VR China. Trainieren Sie lieber Jungen- oder Mädchenteams? Haben Sie da eine Präferenz? Wo liegen die Hauptunterschiede im Training?

Ich habe an allem gleich viel Spaß. Ob es sich nun um Mädchen oder Jungen, Nachwuchsteams oder erfahrenere Akteure handelt, ist meiner Meinung nach egal. Eine gute Trainerin muss anpassungsfähig sein. Das Alter oder Geschlecht sollte kein Hindernis sein. Aber natürlich ist die Herangehensweise eine andere. Bei Eastern war ich für Profis zuständig, erfahrene Spieler, denen ich nicht beibringen musste, wie man Eckbälle ausführt. Vielmehr bestand meine Rolle vor allem darin, ein Team zusammenzustellen und eine Strategie zu entwickeln, die an den Eigenschaften der einzelnen Spieler ausgerichtet war, die mir zur Verfügung standen. In der VR China übernehme ich hingegen eher die Rolle einer Lehrerin, denn ich habe es mit Spielerinnen zu tun, die sich schwer tun, Entscheidungen zu treffen, und denen es noch immer lieber ist, wenn man ihnen sagt, was sie auf und neben dem Platz tun sollen. Bei den Profis steht das Ergebnis im Vordergrund, beim Nachwuchs die Entwicklung.

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Als Sie selbst 16 Jahre alt waren, wussten Sie da schon, dass Sie das Zeug hatten, eine so gute Trainerin zu werden?

Nein. Als ich 16 Jahre alt war, wusste ich noch nicht wirklich, was ich wollte. Ich habe angefangen zu studieren. Ich wusste zwar, dass ich den Fussball mochte, aber leider gehörte er nicht zu meinen Hauptfächern. Ich habe also zunächst einen Abschluss in Geographie gemacht. Allerdings wurde mir bald bewusst, dass ich meine Leidenschaft gern zum Beruf machen würde, ich wusste aber nicht wirklich wie ... Ich belegte dann Kurse in Sportwissenschaft und Gesundheitsmanagement, was zu meinem ersten Job in der Fussballwelt führte – als Datenanalystin beim FC Hong Kong Pegasus. Dann habe ich nach und nach die Trainerinnenlaufbahn eingeschlagen.

Würden Sie unter Ihren 16-jährigen Spielerinnen diejenigen erkennen, die in Zukunft gute Trainerinnen abgeben würden?

Bei einigen Spielerinnen beobachte ich eine gewisse Mentalität, Charakter- und Führungsstärke ... Einige dieser Tugenden sind nötig, um eine gute Trainerin zu werden. Aber solange sie mich nicht darum bitten, ihnen bei diesem Thema behilflich zu sein, werde ich auch nichts in dieser Richtung tun. Sie müssen ihren eigenen Weg finden.

Wie stellen Sie sich Ihr Leben in fünf Jahren vor?

Schwer zu sagen. Das Leben einer Trainerin ist voller Ungewissheiten. Es richtet sich nach den Ergebnissen. Doch wie alle Trainerinnen bin ich ehrgeizig und hoffe, dass ich dann auf einem höheren Niveau arbeiten werde. Es wäre schön, wenn es außerhalb Hongkongs wäre, da man im Ausland hervorragend Erfahrung sammeln kann.

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Ihre Lieblingstrainerin? "Das ist natürlich Corinne ."

Ihr Lieblingstrainer? "Ich mag Pep Guardiola und Jürgen Klopp. Sie haben eine andere Arbeitsweise als die anderen Trainer. Guardiola hat den Fussball in taktischer Hinsicht revolutioniert, bei Klopp gefällt mir vor allem seine Art."

Der Klub, den Sie am liebsten trainieren würden? "Manchester United! Mit diesem Klub hat für mich alles angefangen. Und ich bin auch heute noch Fan."

Welche Spielerin würden Sie gern trainieren? "Keine bestimmte Spielerin. Aber ich würde gern einmal ein japanisches Team trainieren. Ich mag die Mentalität und die Art, wie dort Fussball gespielt wird. Das ist sehr erfrischend."

Welchen Spieler würden Sie gern trainieren? "Ob ich wohl David Beckham trainieren könnte? Sonst wäre ich auch glücklich, wenn ich eines Tages Nationaltrainerin Hongkongs werden könnte!"

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Dieser Artikel ist Teil einer Serie, die dem Frauenfussball und Frauen im Fussball gewidmet ist, und wurde anlässlich des Weltfrauentages 2021 verfasst. Weitere Informationen zur Frauenfussballstrategie der FIFA und Förderprogrammen sowie weitere Artikel wie diesen finden Sie hier.