Montag 25 Januar 2016, 08:49

Champions-League-Sieger heuert bei Dorfklub an

Nachdem ein Traum in Erfüllung gegangen ist und sich die anfängliche Euphorie gelegt hat, stellt sich oftmals eine quälende Frage: 'Was mache ich nun?' Auch Trainer Colin Bell musste sich diese Frage stellen, nachdem er den 1. FFC Frankfurt im vergangenen Mai zum Titelgewinn in der UEFA Champions League der Frauen geführt hatte. Von allen möglichen Optionen schien ein Verbleib bei den Hessen die am wenigsten reizvolle zu sein.

"Ich wusste bereits damals, dass es an der Zeit war zu gehen, dass ich mich verändern musste, sagte er im Gespräch mit FIFA.com. "Ich hatte eine fantastische Zeit in Frankfurt, für die ich immer dankbar sein werde, doch ich hatte das Gefühl, dass die Zeit für eine neue Herausforderung reif war – vorzugsweise in einem anderen Land."

Es stellte sich also die Frage, wohin er gehen würde. Angesichts eines solch großen Triumphs wären die nächstliegenden Optionen ein Wechsel in die mit Stars gespickte U.S.-amerikanische NWSL oder eine Rückkehr in sein Heimatland England gewesen. Auch ein Engagement als Nationaltrainer wäre ein logischer Schritt gewesen. Doch der 54-Jährige beschritt einen völlig anderen Weg und wechselte vom Champions-League-Sieger Frankfurt in ein kleines norwegisches Dorf.

Avaldsnes, ein Ort mit weniger als 3.000 Einwohnern, ist Bells neue Heimat, wo er die hohe Erwartungshaltung von Avaldsnes IF erfüllen soll. Seine Aufgabe besteht nun darin, diese kleine Ortschaft, die nicht unbedingt zu den Fussballhochburgen Norwegens zählt, in der Welt des Fussballs bekannt zu machen.

"Ich habe nicht in Frankfurt sondern in einem etwa 170 Kilometer entfernten kleinen Dorf mit etwa 200 Einwohnern gewohnt, daher wird die Umstellung gar nicht so groß sein, wie man vielleicht denken könnte", erklärt Bell. "In Avaldsnes dürfte es sogar noch etwas belebter zugehen, als ich es gewohnt bin! Ich weiß, dass das Dorf großes Interesse an der Mannschaft hat und dass die Mädchen hier sehr beliebt sind. Ich freue mich daher bereits sehr auf meine neue Aufgabe."

"Ich habe mich nicht nur wegen der sportlichen Herausforderung für diese Aufgabe entschieden, sondern auch um eine neue Kultur, eine neue Lebensweise und eine neue Sprache zu lernen. Norwegen ist ein wunderschönes Land und der Frauenfussball hat hier einen hohen Stellenwert – all das hat ebenfalls eine Rolle gespielt, als Avaldsnes an mich herangetreten ist.

Ich lerne die Sprache bereits seit ein paar Monaten, so dass ich bei meinem Amtsantritt grundlegende Kenntnisse und die Fussballterminologie beherrschen werde. Ich weiß, dass die Norweger alle sehr gut Englisch sprechen, doch ich möchte den Mädchen zeigen, dass ich voll bei der Sache bin und mein Herzblut in dieses Projekt stecke."

"Ich möchte hier Erfolge feiern und Titel holen. Der Verein hat große Ziele und setzt alles daran, Lillestrøm hinter sich zu lassen, das in den vergangenen Jahren die Liga dominiert hat. In der vergangenen Saison konnte sich Avaldsnes für die Champions League qualifizieren; auch das war natürlich ein Anreiz für mich. Meiner Meinung nach kommt dieser Wettbewerb dem Frauenfussball gerade auf Vereinsebene sehr zugute, wo noch großer Entwicklungsbedarf herrscht."

Angesichts des hohen Stellenwerts, den die Champions League bei ihm genießt, mag es nicht überraschen, dass er den Gewinn dieses Turniers als größten Erfolg seiner langen und abwechslungsreichen Fussballkarriere erachtet. "Ich bin schon sehr lange im Fussballsport aktiv. Ich begann meine Karriere im Alter von 16 Jahren und bestreite bereits meine 26. Saison als Trainer", sagte Bell, der im zarten Alter von 20 Jahren von England nach Deutschland ging, nachdem er sich bei Leicester City nicht durchsetzen konnte. "All diese Erfahrung machte den Gewinn der Champions League umso schöner. Wenn ich einen solch großen Titel bereits früher in meiner Karriere gewonnen hätte, hätte ich ihn bestimmt nicht so sehr zu schätzen gewusst.  Doch da ich bereits in so vielen unterschiedlichen Bereichen und Altersklassen dieser Sportart tätig gewesen bin – in der Männer-Bundesliga, bei U-19- und U-23-Mannschaften, bei Teams mit Hartplätzen und winzigen Umkleidekabinen –, habe ich das Gefühl, bereits alles erlebt zu haben."

Gerade aufgrund dieser vielschichtigen Fussball- und Lebenserfahrung würde sich Bell keinesfalls ärgern, wenn sein Abenteuer in Norwegen nicht wie geplant verlaufen sollte. "Ich mache mir keine Sorgen und auch keinen Stress, denn ich habe das Gefühl, dass die Zeit reif dafür ist, und ich weiß, dass ich im schlimmsten Fall, wenn es nun gar nicht läuft, einfach wieder zurück nach England gehen kann. In meinem beruflichen und privaten Leben gab es viele Höhepunkte, aber auch einige Rückschläge. So war ich etwa auch mit Arbeitslosigkeit konfrontiert und wusste nicht, wie es weitergehen und ich meine Familie ernähren sollte. Doch es sind Momente wie diese, die die Persönlichkeit eines Menschen prägen. Daher starte ich sehr optimistisch in diesen neuen Lebensabschnitt und bin sehr dankbar, einen solch großartigen Job in dieser wunderbaren Sportart ausüben zu dürfen."

"Nach so vielen Jahren in Deutschland freue ich mich auf eine neue Herausforderung. Wenn ich dem Frauenfussball weiterhin erhalten bleibe, möchte ich eines Tages eine Nationalmannschaft betreuen. Ins Ausland zu gehen und in einer anderen Liga zu arbeiten, wird dabei bestimmt von Vorteil sein.

Angesichts dieses Ziels stellt sich dann allerdings erneut auch die Frage nach dem "Wo". Würde Bell beispielsweise England vorziehen, wo er geboren wurde, oder Deutschland, wo er 34 Jahre verbrachte, oder vielleicht Norwegen, das er seit Kurzem seine Heimat nennt?

"In diesem Punkt bin ich für alles offen. Ich wäre nicht so anmaßend, zu sagen 'Nur diesen Job möchte ich'", betont er. "Doch es ist wichtig, Ziele und Träume zu haben, auf die man hinarbeiten kann. Und sollte sich dieser Traum nicht erfüllen, dann soll es eben so sein. Ich werde jedoch stets nach neuen Herausforderungen und Möglichkeiten suchen, das Beste aus mir herauszuholen."