Mittwoch 26 August 2020, 08:42

Brown-Finnis: Dass ich Torhüterin war, hat es leichter gemacht

  • Rachel Brown-Finnis spielte bei Weltmeisterschaften und Olympischen Spielen

  • Heute ist sie eine profilierte Sportjournalistin im britischen Fernsehen

  • Die Ex-Nationalspielerin berichtet von ihrer zweiten Karriere im TV

Torhüter genießen gemeinhin den Ruf, ein bisschen anders gestrickt zu sein. Kein Wunder, schließlich werfen sie sich furchtlos vor die Füße heranstürmender Angreifer, zeigen bei Elfmetern außergewöhnliche mentale Stärken und müssen Fehler vor den Augen Tausender Zuschauer schnell hinter sich lassen können.

Fast zwei Jahrzehnte lang besetzte Rachel Brown-Finnish diese besondere Position auf dem Feld und glänzte trotz oder gerade wegen des hohen Drucks. Mit dem Ende ihrer Karriere 2015 stellte sich dann auch für sie die Frage, die unzählige Fussballer umtreibt: Wie geht es weiter?

Sie hat sich in einem Beruf etabliert, der ähnlich große Herausforderungen mit sich bringt. Denn es ist keineswegs leicht, live im Scheinwerferlicht vor laufenden TV-Kameras zu sprechen, stets wissend, dass selbst kleine Versprecher von Kritikern und böswilligen Trollen begierig aufgegriffen und genüsslich ausgeschlachtet werden können.

Und so ist es vielleicht gar keine so große Überraschung, dass die frühere englische Nationaltorhüterin, die mehr als 80 Mal für die Lionesses zwischen den Pfosten stand, auch weiterhin einige der Methoden einsetzt, die ihr früher auf dem Spielfeld geholfen haben.

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"Ich bereite mich auf jede Sendung wie auf ein großes Spiel vor. Ich recherchiere gründlich, bereite mich mental vor und so weiter", so die 40-Jährige. "Meine Vergangenheit als Torhüterin ist ganz sicher hilfreich, denn als Torhüterin muss man in der Lage sein, Enttäuschungen schnell hinter sich zu lassen und sich auch nach gelungenen Paraden schnell wieder zu konzentrieren. Im Prinzip muss man der emotional stabilste Mensch auf dem Feld sein. Ganz ähnlich ist es auch vor der Kamera: Ich muss stets die Ruhe bewahren, meine Gedanken ordnen, rational denken und darf nicht zulassen, dass sich Emotionen auf meine Arbeit auswirken."

Dieser methodische Ansatz hat sich definitiv ausgezahlt, denn heute ist Brown-Finnish – eine der ersten Frauen, die in Großbritannien als Expertin für Frauen- und Männerfussball auftraten – eine fest etablierte und respektierte Persönlichkeit auf ihrem Gebiet. Wie viele andere Pionierinnen im Fussball musste allerdings auch sie Engstirnigkeit und auch persönliche Beleidigungen ertragen, insbesondere in der Anfangszeit.

"Dass ich Torhüterin war, hat mich wohl darauf vorbereitet, auch mit so etwas klarzukommen", meint sie lachend. "Ich meine allerdings, dass es besser geworden ist."

"Wenn man mal darüber nachdenkt, war es doch so, dass man früher im Fernsehen nur Männer als Präsentatoren, Kommentatoren und Experten sah. Dass sich dieses überkommene Format nun verändert hat, war für so manchen ein echter Schock. Doch viele erkennen, dass auch Frauen etwas Wertvolles beitragen können. Ich bin stolz darauf, bei der Überwindung alter Vorurteile mitgewirkt und Veränderungen herbeigeführt zu haben."

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Zahlen und Fakten zu Rachel Finnis-Brown

Länderspiele für England: 82

Wichtigste Turniere: 2 FIFA Frauen-Weltmeisterschaften™ (2007, 2011), 1 Olympisches Fussballturnier der Frauen (2012), 4 UEFA-Europameisterschaften der Frauen (2001, 2005, 2009, 2013)

Karriere-Höhepunkt: "Die Olympischen Spiele 2012 waren für mich herausragend. Ich war 1988 als Kind zum ersten Mal zu einem Spiel in Wembley. Es war ein unglaubliches Erlebnis, nun als Nationalspielerin bei den Olympischen Spielen vor einem riesigen Publikum dorthin zurückzukehren. Ich hatte damals sechs Knieoperationen hinter mir und es gab durchaus Zweifel, ob ich es in den Olympiakader schaffen würde. Doch ich kündigte meinen Job als Lehrerin, um mir selbst die bestmöglichen Chancen zu geben. Letztlich hat es sich alles ausgezahlt. Es war sehr emotional, dass sich für mich selbst dieser Kreis schloss und dass der Frauenfussball so viele Bewunderer gefunden hat. Dafür haben wir alle sehr lange gekämpft."

Sonstiges: Brown-Finnis spielte den Großteil ihrer Karriere für die beiden großen Merseyside-Klubs. Nachdem sie sich beim FC Liverpool einen Namen gemacht hatte, ging sie in die USA. Nach ihrer Rückkehr in die Heimat war sie elf Jahre lang die Nummer 1 beim FC Everton.

Auch an ihrem aktuellen Projekt kann Brown-Finnis ablesen, dass der Frauenfussball den Sprung in die Mainstream-Medien endgültig geschafft hat. Es ist eine ambitionierte Show, um einen möglichen nächsten Superstar im Frauenfussball zu entdecken.

"Noch vor wenigen Jahren wäre eine solche Show undenkbar gewesen. Doch mittlerweile erleben die Menschen, wie beliebt der Frauenfussball ist", sagt sie über die BT Sport-Sendung 'Ultimate Goal'. "So etwas wurde noch nie zuvor umgesetzt. Wir suchen in ganz Europa nach Spielerinnen, die ihre Chance auf traditionellem Weg nicht genutzt haben oder die dem Fussball den Rücken gekehrt haben – um Kinder zu bekommen, um einen Job anzunehmen oder aus anderen Gründen. Eben Mädchen und Frauen, die aufgrund der Umstände nicht ihr volles Potenzial entfalten konnten."

"Wir machen eine Woche intensives Training und reduzieren die Gruppe auf 16 Spielerinnen. Das Ziel der Show ist es, diese Spielerinnen dann Talentscouts aus ganz Europa zu zeigen, die zu einem Spiel gegen die Nachwuchsakademie von Birmingham eingeladen werden. Wir haben Mädchen und Frauen aus den Niederlanden, aus Deutschland, aus Irland, aus den USA... Für sie alle ist es eine große Chance, sich sozusagen im Schaufenster zu empfehlen."

"Wir peilen eine Ausstrahlung im November an. Es ist sehr aufregend, Teil dieses Projektes zu sein. Auch für mich persönlich ist das etwas ganz Neues. Normalerweise arbeite ich vorwiegend bei Live-Übertragungen. Bei dieser Produktion aber gibt es plötzlich ein Storyboard, manche Einstellungen müssen wiederholt werden und so weiter."

"Und auch, dass wir im St George's Park drehen, ist etwas Besonderes. Ich erinnere mich noch daran, wie wir mit den Lionesses hierher umgezogen sind. Das war ein wahrer Schlüsselmoment, bei dem man endlich echte Gleichberechtigung erleben konnte. Denn bis dahin hatten wir uns lange Zeit wie Bürger zweiter Klasse gefühlt. Ich bin stolz darauf, als Spielerin einen Teil des langen Weges miterlebt zu haben und jetzt auf einem ganz anderen Gebiet zu weiteren Fortschritten des Frauenfussballs beitragen zu können."

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