Mittwoch 08 Juli 2020, 09:24

Bardsley: England sollte sich die US-Mentalität zu eigen machen

  • Karen Bardsley sprach mit FIFA.com

  • Die englische Torhüterin blickt zurück auf Frankreich 2019 und voraus auf 2023

  • Sie sprach über Mentalität, Isolation und ihre Rolle im Women's Sport Trust

In wenigen Monaten feiert sie ihren 36. Geburtstag. Sie hat einen Master-Abschluss im Sport-Direktorat und schloss sich kürzlich dem Women's Sport Trust an. Karen Bardsley ist intelligent und von Natur aus eine Planerin, doch auch wenn sie an die Zukunft denkt, hat sie es keineswegs eilig, die Handschuhe an den Nagel zu hängen.

Ein Jahr nach ihren beeindruckenden Leistungen bei ihrer dritten WM-Teilnahme nimmt die Torhüterin von England und Manchester City bereits die vierte ins Visier. Und dabei will sie keineswegs nur den Kader auffüllen.

Das kann niemanden überraschen, der sie kennt, denn Bardsley ist nicht keine durchschnittliche Fussballerin und auch keine durchschnittliche Britin. Schließlich wurde sie in den USA geboren und wuchs auch dort auf. Ihre sportliche Karriere begann sie in Kalifornien. Daher teilt sie die Mentalität und Zuversicht, die den unvergleichlichen Erfolgen der U.S.-Frauen-Nationalmannschaft zugrunde liegen.

Bardsley sprach darüber und über zahlreiche weitere Themen mit FIFA.com, nachdem sie die Oberschenkelverletzung überwunden hat, wegen der sie das Duell gegen die USA bei der FIFA Frauen-WM Frankreich 2019™ verpasste.

FIFA.com: Karen, wie sind Sie mit der Isolationsphase wegen COVID-19 zurecht gekommen?

Karen Bardsley: Das war sehr frustrierend, denn ich war eigentlich auf gutem Wege zurück auf den Platz, kurz vor der Rückkehr ins Team. Ich habe Lauftraining und Krafttraining absolviert und mit den Torwarttrainern gearbeitet. Alles lief gut und ich freute mich sehr darauf, wieder mit dem Team zusammenzukommen. Ich denke, es war für alle sehr schwer. Wir sind nun einmal von Natur aus soziale Wesen. Daher ist es völlig gegen unsere Natur, sich komplett zu isolieren.

Sie hatten schon vorher Verletzungen, auch schwere. Wie ist es dieses Mal, was die physische und mentale Genesung angeht?

Das ist die erste ernste Weichteil-Verletzung, die ich je hatte. Daher ist das schon in verschiedener Hinsicht anders. Wenn ich einen Knochenbruch habe, weiß ich, wie der Weg zurück aussieht und was ich tun kann, um die Heilung deutlich zu verbessern. Und mental? Nun, es gibt wohl keinen guten Zeitpunkt für eine Verletzung, aber ich habe das Gefühl, dass viele meiner Verletzungen genau dann passiert sind, als ich gerade in Topform war. Das war schon sehr frustrierend, denn diese Verletzungen haben mich ja davon abgehalten, mein wahres Können zu zeigen. Die Verletzung in Frankreich war wirklich schmerzlich, denn England - USA war ein so wichtiges Spiel und wäre auch für mich persönlich etwas ganz Besonderes gewesen. Es war sehr belastend, diese Partie zu verpassen, insbesondere weil ich meine, dass es mit mir vielleicht anders gelaufen wäre. Es hat lange gedauert, bis ich darüber hinweg war.

Ist also Enttäuschung Ihr vorherrschendes Gefühl im Rückblick auf Frankreich 2019?

Nein, gar nicht. Natürlich war das Ende enttäuschend, für mich und für das Team. Aber eigentlich blicke ich auf Frankreich und auf die anderen Weltmeisterschaften, bei denen ich dabei war, sehr gern zurück. Ich bin stolz auf meine Leistungen. Es gab definitiv Situationen, in denen ich das Team im Spiel gehalten habe. Ich denke, dass ich wegen dieser Verletzung letztlich nicht die Anerkennung bekommen habe, die ich eigentlich verdient hätte, wie ich finde. Ich habe wirklich das Gefühl, da drüben so gut wie keine Fehler gemacht zu haben.

Im Vorfeld des Turniers war der Optimismus groß und die Stimmung hervorragend. England gewann den SheBelieves Cup und es wurde offen vom Titelgewinn gesprochen. Sehen Sie Frankreich 2019 als verpasste Chance?

Ich glaube nicht, dass ich es so ausdrücken würde. Ich denke, wir haben unser Bestes gegeben und sind letztlich nur denkbar knapp gescheitert. In gewisser Weise sehe ich eigentlich eher das Halbfinale 2015 als verpasste Chance, obwohl wir in Kanada eine Medaille geholt haben und Geschichte geschrieben haben. Emotional waren wir alle sehr enttäuscht, denn wir hatten alle das Gefühl, das Turnier mit unserem Schwung gewinnen zu können. Obwohl wir letztlich gestolpert sind, denke ich, dass man an all die positiven Aspekte des Turniers denken sollte, und davon gab es eine Menge – und an unsere positive Spielweise.

Für Sie stehen große Veränderungen an: Ihr Klub Manchester City hat Gareth Taylor zum Trainer ernannt und England sucht einen Nachfolger für Nationaltrainer Phil Neville. Was für Richtungsentscheidungen erhoffen Sie sich für beide Teams unter neuer Führung?

Das wichtigste für mich sind Trainer, von denen die Spielerinnen etwas lernen können und die uns herausfordern – nicht nur auf dem Spielfeld sondern auch als Menschen. Es geht darum, wie wir als Team wachsen können und den Glauben an uns noch stärken können. Das ist etwas, womit wir uns in England noch stärker anfreunden müssen. Jeder sollte bestimmte Ziele haben. Manchmal erreicht man sie vielleicht nicht, doch ich halte es für richtig und wichtig, aufzustehen und zu sagen: 'Das will ich schaffen und dieses Niveau will ich erreichen'.

Sie sind in Amerikas Sportlandschaft aufgewachsen. Ist dieses unerschütterliche Selbstvertrauen und die Entschlossenheit, sich hohe Ziele zu setzen, eines der wichtigsten Merkmale des Frauen-Nationalteams der USA? Traditionell tendieren Briten ja eher dazu, Selbstironie zu schätzen und sehen großes Selbstvertrauen als zu forsch an. Ist das jedoch nicht eher eine Einstellung, die man sich zu eigen machen sollte?

Das denke ich schon, ja. [lacht] Mit Briten und Selbstironie treffen Sie den Nagel auf den Kopf: der Humor, die Kultur – alles geht in diese Richtung. Aber das ist in bestimmter Weise auch hinderlich. Wenn man in den USA auf jemanden zugeht und sagt: 'Ich will das machen', bekommt man fast immer ähnlichen Optimismus zurück. So etwa: 'Ja, das schaffst du! Los geht's, mach was draus'.

In Europa und insbesondere in Großbritannien bekommt man wahrscheinlich eher zu hören: 'Bist du sicher? Hast du dir das auch gut überlegt?' Und dann folgt nicht selten eine lange Liste von Hinderungsgründen und Problemen, und plötzlich zweifelt man an sich selbst und fragt sich, ob man nicht lieber ein etwas niedrigeres Ziel anpeilen sollte. Ich habe das Gefühl, dass die positivere Sichtweise viel motivierender und mitreißender ist. Diese Einstellung sollten wir uns ebenfalls zu eigen machen.

Sie gehören zu den erfahrensten Spielerinnen im englischen Kader. Haben Sie versucht, die Teamkameradinnen ein bisschen mehr von der amerikanischen Einstellung zu vermitteln?

Manchmal tue ich das wohl, ohne dass es mir selbst wirklich bewusst ist. Und nicht selten machen sich die anderen ein bisschen lustig über mich, weil ich immer alles so optimistisch sehe! Aber im vergangenen Jahr sagte eine Teamkameradin mal zu mir: 'Wir machen es dir wirklich nicht leicht. Aber jetzt verstehen wir's.' Es hat also nur 15 Jahre gedauert, aber so langsam wird es!

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Sie engagieren sich jetzt für den Women's Sport Trust und helfen bei der 'Unlocked'-Kampagne, die Spitzensportlerinnen und Führungsfiguren aus Wirtschaft, Sport und Medien zusammenbringt. Können Sie uns etwas mehr darüber erzählen?

Die Sache mit dem Women's Sport Trust ist für mich wirklich sehr gut und ich lerne sehr, sehr viel dabei. Ich fühle mich sehr inspiriert durch diese Aktivitäten. Die Organisation von Webinars, Workshops und Abschlusskursen funktioniert bestens. Während der COVID-Zeit sind wir mehrfach in der Woche virtuell zusammengekommen. Wir eignen uns dabei neue Kenntnisse an und setzen uns mit der realen Welt auseinander, was Marketing, Visionen und andere persönlich wichtige Dinge angeht. Es wurden Partnerschaften mit so genannten Aktivatorinnen und Mentorinnen gebildet, und wir bekommen großartige Ideen vermittelt. Ich finde das alles sehr, sehr inspirierend, denn alle Beteiligten sind sehr leidenschaftlich und motiviert, den Frauensport zu verbessern und dafür zu sorgen, dass junge Mädchen eine Karriere im Fussball, in der Leichtathletik und auch anderen Disziplinen anstreben können, was auch immer sie möchten.

Wie sieht Ihre eigene Zukunft aus? Ist es zu früh, danach zu fragen, wann Sie möglicherweise aufhören und wie die Pläne für die Zeit danach aussehen?

Nein, dafür ist es nicht zu früh – Ich bin eine Planerin! Ich versuche immer, jede mögliche Entwicklung zu bedenken. Das kommt wohl daher, dass ich in einer Zeit aufgewachsen bin, als es im Frauenfussball noch kaum zuverlässige Gewissheiten gab. Wie jeder Profisportler will ich so lange spielen, wie ich nur kann. Aber weil ich schon eine ganze Reihe Verletzungen hatte, habe ich auch immer schon nach anderen Möglichkeiten Ausschau gehalten. Ich setze mir gern selbst Ziele und Herausforderungen und wenn mir jemand sagt, dass ich etwas nicht kann, dann motiviert mich das nur umso mehr. Mein aktuelles Ziel lautet, es in den Kader für die Olympischen Spiele, die EURO und die WM 2023 zu schaffen. Vielleicht gelingt es mir nicht. Aber wenn ich solche Ziele nicht hätte, dann könnte ich auch sofort aufhören.

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