Dienstag 28 Juli 2020, 08:30

Anwar: Wir haben 1994 die ganze Welt überrascht

  • Fuad Anwar erzielte das erste WM-Tor für Saudiarabien

  • Der Mittelfeldspieler war bei zwei WM-Endrunden dabei

  • Das Team von 1994 gilt bis heute als das beste aller Zeiten

Als das saudiarabische Team mit Trainer Jorge Solari im Sommer 1994 für die Endrunde der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ in den USA ankam, waren die Erwartungen nicht besonders hoch. Schließlich stand das Team aus dem Königreich vor seiner ersten Teilnahme am größten Fussballturnier der Welt.

Doch die Grünen Falken ließen sich davon nicht beirren und erreichten gleich bei ihrem WM-Debüt das Achtelfinale. Nach einer Auftaktniederlage gegen die Niederlande feierten die Saudis ihren ersten WM-Endrundensieg mit einem 2:1 gegen Marokko. Dann versetzten sie mit dem Sieg gegen Belgien dank einer fantastischen Einzelleistung von Saeed al Owairan die ganze Fussballwelt in Erstaunen - ein besonders denkwürdiger Moment der WM-Geschichte.

Saudiarabien nahm seitdem zwar an vier der folgenden sechs WM-Endrunden teil, doch das Debüt 1994 in den USA war der bis heute beste Auftritt. FIFA.com sprach mit Fuad Anwar, dem ersten Spieler, der bei einer WM-Endrunde für Saudiarabien traf, über dieses historische Debüt und die Frage, warum den Saudis in den folgenden Jahren kein vergleichbarer Erfolg mehr gelang.

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FIFA.com: Sie waren einer der Spitzenspieler Saudiarabiens bei der FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ USA 1994™. Welche Erinnerungen verbinden Sie mit diesem Turnier?

Fuad Anwar: Dieses Turnier ist mit vielen schönen Erinnerungen verbunden, insbesondere weil es unser erster Auftritt bei einer FIFA Fussball-Weltmeisterschaft™ war. Ich erinnere mich, dass wir vor dem Turnier ein sehr erfolgreiches Trainingslager hatten. Für mich persönlich ist natürlich die Erinnerung besonders schön, weil ich als erster Spieler aus Saudiarabien ein WM-Tor erzielt habe, nämlich im Spiel gegen die Niederlande. Gegen Marokko ist mir dann sogar noch ein weiterer Treffer gelungen. Alle waren von diesem saudiarabischen Team bei seinem WM-Debüt sehr beeindruckt. Niemand hätte wohl je erwartet, dass wir so viel Klasse und so erfahrene Spieler haben. Doch wir haben alle überrascht, sogar unsere eigenen Fans. Und obwohl unser Land seitdem bei vier weiteren WM-Endrunden dabei war, ist das Team von 1994 das beste, das unser Königreich je auf der globalen Bühne vertreten hat.

Sie haben im Spiel gegen die Niederlande das erste Tor für Ihr Land erzielt. Welche Erinnerungen haben Sie an dieses Tor?

Wenn ich mir diesen Treffer anschaue, empfinde ich noch heute das gleiche große Glück, so als hätte ich gerade erst getroffen. Ich denke, der Jubelsturm nach diesem Tor spricht für sich. Ich konnte gar nicht glauben, was da gerade passiert war, bis ich bei unserem Torhüter Mohamed Al Deayea ankam und wir alle gemeinsam jubelten. Das Toreschießen ist ja eigentlich die Aufgabe der Stürmer. Daher war es umso bedeutsamer, dass ich als defensiver Mittelfeldspieler bei der WM gegen die Niederlande als Erster traf. Wir waren mit unseren Leistungen den Niederländern ebenbürtig. Das Spiel hätte wohl mit einem Unentschieden geendet, wäre unserem Torhüter Al Deayea nicht am Ende dieser Fehler unterlaufen. Dabei hatte er vorher mehrere großartige Glanzparaden gezeigt.

Nach der Auftaktniederlage war Ihr zweites Spiel gegen Marokko schon vorentscheidend und entsprechend wichtig. Wie sind Sie damit umgegangen?

Die Niederlage gegen die Niederlande hatte eigentlich keine negativen Auswirkungen auf uns. Im Gegenteil – sie hat uns für die nächsten Spiele nur noch stärker motiviert. Der gesamte Stab war mit unserer Leistung hochzufrieden. Dass sie alle an uns geglaubt haben, hat uns vor dem Spiel gegen Marokko neuen Schwung verliehen. Wir wussten natürlich, dass eine zweite Niederlage das Aus bedeutet hätte. Aber wir haben das Spiel mit 2:1 gewonnen. Sami Al Jaber brachte uns vom Elfmeterpunkt aus in Führung. Dann gelang Marokko der Ausgleich, doch ich selbst konnte unmittelbar vor der Pause die Führung wiederherstellen.

Ihr Tor gegen Marokko war ein wunderschöner Schuss aus der Distanz. Was können Sie uns dazu sagen?

Das war, ehrlich gesagt, nicht das erste Mal, dass ich aus dieser Entfernung getroffen habe, weder im Nationalteam noch in der Liga. Ich habe in meiner Karriere eine ganze Reihe sehr ähnlicher Tore erzielt, mit solchen gedrehten Distanzschüssen mit viel Effet. Dieses Tor war sehr wichtig, weil es bei einem so großen Turnier wie der WM fiel. Und es sorgte bei uns im Vorfeld des Spiels gegen Belgien für neue Motivation.

Wie beurteilen Sie die Leistung Saudiarabiens bei der WM 1994?

Unsere Vorbereitung war großartig und hat uns sehr geholfen, so beeindruckende Resultate zu holen. Wir haben uns aus einer sehr schweren Gruppe qualifiziert, in der die Republik Korea, die DVR Korea, die IR Iran, Irak und Japan standen. Wir hatten vor Turnierbeginn ein sechswöchiges Trainingslager in Frankreich und dann noch einmal 45 Tage in den USA. Wir haben es bis in die Runde der letzten 16 geschafft und hätten sogar noch besser abschneiden können, denn das Achtelfinale gegen Schweden war eigentlich nicht schwerer als die Gruppenspiele. Wir waren sehr zufrieden, dass wir den Sprung aus der Gruppenphase geschafft hatten. Daher lastete keinerlei Druck mehr auf uns. Wir gingen völlig unbeschwert in das Spiel, so als wäre das Turnier für uns schon gelaufen. Trotzdem haben wir auch hier gut gespielt, und zwar gegen ein Team, das am Ende WM-Dritter wurde.

Vier Jahre später waren Sie wieder dabei, 1998 in Frankreich. Dort allerdings waren die Leistungen Saudiarabiens eher bescheiden. Worauf führen Sie das zurück?

Bei unserer zweiten WM-Teilnahme kannten unsere Gegner uns sehr viel besser und waren entsprechend besser darauf vorbereitet, gegen uns anzutreten. Ich erinnere mich an ein Freundschaftsspiel zur Vorbereitung gegen England, das mit einem Unentschieden endete. Auf der Tribüne saßen damals alle Trainer der Teams, gegen die wir bei der WM antreten mussten. Dies zeigt, dass viele Leute die Stärke des saudischen Teams nach den soliden Leistungen vier Jahre zuvor in den USA erkannt hatten. Im ersten Spiel trafen wir auf die starken Dänen. Wir haben recht gut gespielt, aber durch ein einziges Gegentor verloren. Dann mussten wir gegen Gastgeber Frankreich antreten, das uns auf dem Weg zum Titelgewinn erwartungsgemäß besiegt hat. Wir wollten zumindest ein Spiel gewinnen, doch gegen Südafrika gelang uns im letzten Spiel nur ein Unentschieden.

Nachdem Saudiarabien die Endrunden 2010 und 2014 verpasste, war das Team 2018 in Russland wieder dabei. Was sagen Sie zu den Leistungen dort?

Die Ergebnisse wurden den Erwartungen leider nicht gerecht, obwohl sich das Team sehr intensiv vorbereitet hat und von der Regierung stark unterstützt wurde. Dennoch konnte das Team keinen Eindruck hinterlassen. Es war aber bereits ein wichtiger Erfolg, wieder bei der WM dabei zu sein. Und immerhin ist ja im letzten Gruppenspiel gegen das stärke ägyptische Team ein Sieg gelungen.

Das beste Abschneiden bei einer WM feierte Saudiarabien 1994 mit dem Erreichen der Achtelfinalrunde. Warum ist seitdem trotz mehrerer WM-Teilnahmen keine Wiederholung dieser Leistung gelungen?

In der Vergangenheit wurde sehr großer Wert auf alle Altersgruppen gelegt. Zahlreiche herausragende Spieler Saudiarabiens haben an großen Turnieren teilgenommen. Ich selbst gehörte zu dem Team, das 1989 die U-16-Weltmeisterschaft gewann und war auch bei der FIFA Junioren-WM 1989 im eigenen Land dabei. Den jungen Spielern sollte mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Sie sollten so oft wie möglich an großen [Nachwuchs-]Turnieren teilnehmen. Das wiederum führt zu einer Stärkung der A-Nationalmannschaft, sowie es schon in den 1980er und 1990er Jahren der Fall war.

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