Freitag 22 Januar 2016, 09:02

Angerer: "Ich war oft selbst meine größte Kontrahentin"

  • Die zweifache Weltmeisterin blickt auf ihre Karriere zurück

  • Beim WM-Sieg 2007 kassierte sie kein Gegentor

  • Angerer spricht über den gehaltenen Elfmeter von Marta und ihr emotionalstes Spiel

Nadine Angerer hat in ihrer Karriere alles erreicht, was man erreichen kann. Sie ist fünfmalige Europameisterin, 2003 wurde sie Weltmeisterin, ohne eine Minute auf dem Platz gestanden zu haben, und 2007 wurde sie noch einmal Weltmeisterin, dieses Mal als Stammtorhüterin in allen Partien und ohne einen einzigen Gegentreffer.

Im Januar 2014 folgte die Krönung, als sie die Auszeichnung zur FIFA Weltfussballerin entgegennehmen durfte. "Ich kann es überhaupt noch gar nicht glauben. Ich bin gerade total ruhig und kann es immer noch nicht fassen. Ich glaube, dass ich erstmal ein, zwei Nächte darüber schlafen muss, um das alles zu realisieren", so die deutsche Ausnahmesportlerin nach der Verleihung.

FIFA.com traf Angerer, die nach 20 Jahren Profikarriere in Deutschland, Schweden, Australien und den USA ihren Rücktritt verkündet hatte, zu einem etwas anderen Exklusiv-Interview. Wir gaben ihr zehn Schlagworte vor und sie antwortete.

Mein größter Erfolg...

"Da gibt es ganz viele! Ich kann jetzt nicht nur einen nennen, aber natürlich sind die WM-Siege 2003 und 2007 sowie der EM-Triumph 2013 ganz vorne mit dabei. Aber es waren auch kleinere Erfolge wie die erste deutsche Meisterschaft mit Turbine Potsdam. Besonders stolz bin ich natürlich darauf, dass ich bei der WM 2007 in China während der gesamten Endrunde ohne Gegentor blieb und dass ich im Finale gegen die Brasilianerinnen diesen Elfmeter gegen Marta halten konnte. Das war wichtig für mich, weil es mein erstes großes Turnier als Nummer eins war. Aber man darf nie vergessen, dass der Fussball ein Mannschaftssport ist. Und ich weiß eben auch ganz genau, wie sensationell dieses coole Team, das wir damals hatten, war."

Meine schwerste Herausforderung...

"Das kuriose an einer Spielerkarriere ist ja, dass man ständig auf Hürden stößt. Entweder man stagniert, ohne man versucht, sich zu verbessern. Ich habe es immer bevorzugt, mich ständig weiter zu verbessern. Ich hätte nach den beiden WM-Triumphen oder nach meinem Titel als FIFA Weltfussballerin des Jahres 2013 ja auch sagen können: 'Was gibt'd denn jetzt noch? Warum soll ich jetzt noch weitermachen?' Aber es gibt eben immer noch mehr und diese Neugier auf mehr sorgt wieder für Motivation. Diese Entwicklung immer wieder weiterzuführen, ist die große Herausforderung."

Meine größte Kontrahentin...

"Es gab in verschiedenen Phasen verschiedene Kontrahentinnen. Aber oft steht man sich ja auch selbst im Weg. In dieser Hinsicht habe ich auch kein Fettnäpfchen ausgelassen [lacht]. Ich war oft meine eigene größte Kontrahentin. Das war letztlich aber wahrscheinlich auch gut so, denn so wäre ich nicht dort angekommen, wo ich am Ende stand."

Meine beste Mitspielerin...

"Auch da gibt es viele! Ich könnte jetzt mindestens zehn davon aufzählen. Hier will ich wirklich keine einzelne herauspicken, weil es einfach zu viele tolle und nette Mitspielerinnen waren."

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Mein emotionalstes Spiel...

"Ich hatte ja meine Klappe vor der WM 2007 sehr weit aufgerissen, dass ich die Nummer eins sein möchte. Und dann kam plötzlich der Punkt, an dem ich das bestätigen musste. Deswegen war jedes einzelne Spiel damals in China von der ersten Minute an sehr, sehr emotional für mich. Ich hatte mir selbst einen unfassbar großen Druck gemacht und sage ja deswegen auch, dass ich manchmal selbst meine größte Kontrahentin war. Aber, wie schon gesagt: Wer weiß, wo ich gelandet wäre, wenn ich das nicht so gemacht hätte."

Mein stolzester Auftritt auf einer Bühne...

"Natürlich habe ich mich über die Auszeichnung als FIFA Weltfussballerin des Jahres 2013 bei der Gala in Zürich sehr gefreut. Zumal ich die erste Torfrau überhaupt war. Da kann man schon stolz sein, das gebe ich gerne zu. Aber ich bleibe dabei, was ich auch damals auf der Bühne schon gesagt hatte: Dieser Titel steht repräsentativ für die damalige Mannschaft. Es war ohne Zweifel fantastisch, im EM-Finale sechs Monate zuvor zwei Elfmeter gehalten zu haben. Ich bin jedoch nicht so vermessen und weiß genau, dass all das ohne meine Vorderleute nicht möglich gewesen wäre."

Meine prägendste Trainerin...

"Silvia Neid! Ich war sehr chaotisch und bin ein extremer Lebemensch, der sehr freiheitsliebend ist [lacht]. Wo andere mich wahrscheinlich schon längst hätten fallen lassen, hatte sie mich verstanden. Sie hatte verstanden, wie ich ticke und wie ich funktioniere. Dadurch ist ein großes gegenseitiges Vertrauen entstanden. Sie konnte sich schließlich immer auf mich verlassen, wenn es drauf ankam."

Meine schönste Vereinsstation...

"Da gab es auch viele. Ich war ja neben Deutschland auch in Schweden, Australien und in den USA. Allerdings muss ich sagen, dass die letzten beiden Jahre in Portland schon sehr prägend war. Wir hatten dort eine Fan-Base von 14.000 bis 17.000 Anhängern. Das gibt’s es wohl weltweit nur einmal, würde ich sagen. Die Stadt ist fantastisch. Wie gesagt, ich bin ein Lebemensch und bei mir muss alles stimmen. Es war unglaublich beeindruckend, denn wo hat man das schon, jedes zweite Wochenende vor solch einer Kulisse zu spielen?! Es war der professionellste Verein, in dem ich jemals gespielt habe. Ich will weißgott die anderen Klubs, für die ich spielen durfte, nicht abwerten. Aber ich bin schon sehr dankbar, dass ich zum Ende meiner Spielerkarriere noch einmal für zwei Jahre diese Erfahrung machen konnte."

Mein Lieblingsoutfit...

"Lässig, einfach lässig! Die Mütze muss immer sein! Oder halt der Hut! Das Witzige ist ja, dass ich das schon seit 15 Jahren so mache. Aber nach der WM 2007 sagten plötzlich alle: 'Oha, die läuft ja immer mit 'ner Mütze rum!' Ich will damit nicht auffallen. Ich bin einfach nur viel zu faul, jeden Morgen meine Haare zu machen. Das ist alles!"

Mein perfekter Tag ohne Fussball...

"[lacht] Da kann ich Dir seit dem 4. August 2015 jeden Tag nennen! Nein, Spaß beiseite: Ich hatte ja an diesem Tag in den USA meine Spielerkarriere beendet und das war eine ganz bewusste Entscheidung. Ich vermisse die Zeit als Spielerin nun wirklich nicht mehr, das ist tatsächlich so! Nun freue ich mich wirklich total auf meine bevorstehende Zeit als Trainerin und lebe meine Zeit dazwischen gerade so richtig aus. Es macht wahnsinnig viel Spaß. Jetzt plötzlich lange ausschlafen oder abends weggehen? Das habe ich ja damals auch schon trotzdem gemacht [lacht]!"