Mittwoch 02 März 2016, 09:42

Beswick: "Visualisierung ist sehr wichtig"

Wer macht eigentlich die Trainer fit? Im Umfeld des modernen Fussballs wird von vielerlei Seiten Druck auf Trainer und Spieler ausgeübt, der letztlich so groß werden kann, dass er lähmend wirkt. Das weiß niemand besser als Bill Beswick. Der studierte Sportpsychologe arbeitete schon mit Steve McClaren bei der englischen Nationalmannschaft, außerdem bei Vereinen wie Manchester United, Middlesbrough, Nottingham Forest und Twente Enschede. Beswick ist heute der erste Sportpsychologe, der sich mit seiner Arbeit rein auf den englischen Profifussball konzentrieren kann.

FIFA.com sprach mit Beswick über seine bisherigen Erfahrungen, seinen Werdegang und seine Einschätzung, dass psychologische und mentale Vorbereitung künftig eine ebenso große Rolle im Fussball spielen wird wie Technik und Taktik.

FIFA.com: Sie sind der erste Sportpsychologe, der rein im englischen Profifussball arbeitet. Wie kam es dazu und was war Ihre Motivation hierfür? Bill Beswick: Ich bin ein gescheiterter Basketballspieler. Aber ich wurde ein erfolgreicher Nationaltrainer. Dabei ist mir, wie vielen anderen Trainern auch, bewusst geworden, dass Leistung ganz erheblich von Einstellung und Charakter abhängig ist. Irgendwann war ich dann in meiner Rolle als Nationaltrainer an dem Punkt, an dem ich die Entscheidung, wer den letzten Wurf im Spiel machen sollte, vom Charakter abhängig machte und nicht mehr vom Talent. Das hielt ich für so interessant, dass ich darüber meinen Abschluss in Psychologie machte. Zuvor war ich Lehrer gewesen. Also bündelte ich meine Erfahrung aus diesen Bereichen und sagte mir, ich versuche es einfach mal. Wir müssen unseren Sport nämlich auch mal etwas anders ausrichten. Und meine Motivation war, Leistung genau diesen Weg zu ebnen und eine andere Ausrichtung zu verfolgen.

Was hat sich Ihrer Meinung nach auf diesem Gebiet in den letzten zehn Jahren getan? Wenn sie mich fragen: Unglaubliches. Ich wünschte, ich könnte noch einmal ganz von vorn anfangen. Sport entwickelt sich. Er durchläuft Zyklen. Meiner Meinung nach hatten wir zuletzt einen Zyklus der physischen, technischen und taktischen Entwicklung. Und ich glaube, der nächste Zyklus wird psychologischer und technologischer Natur sein. Ich denke, der Sport wird in den nächsten 20 Jahren ganz maßgeblich von psychologischen und technologischen Fortschritten geprägt sein.

Wie stellen Sie sich das vor? Mehr mentale und emotionale Unterstützung der Spieler, bessere und frühere Schulung im Umgang mit sportspezifischen Druck- und Stresssituationen, mehr Formung des Charakters statt Förderung naturgegebener Veranlagungen. Technologisch bedeutet es: Mehr Echtzeit-Feedback, mehr Profilerstellung, mehr Talentbestimmung und mehr Leistungsanalysen, so dass Spieler situationsbedingt bessere Rückmeldungen erhalten.

Mit Trainern sprechen Sie viel über die Bedeutung der Familie. Gibt es Hilfsmittel, mit denen Trainer ein Verständnis für die Bedeutung von Dingen abseits des Platzes entwickeln können? Wenn ich in einen Klub komme, bitte ich den Trainer immer als erstes, sich einen Spieler auszusuchen und mir fünf Dinge über ihn zu sagen, die nichts mit Fussball zu tun haben. Ich merke, wenn ein Trainer fürsorglich ist, wenn er Beziehungen aufbaut und zu echter Anteilnahme fähig ist. Oft stellt sich heraus, dass die Trainer rein gar nichts über ihre Spieler wissen. Sie sehen nur die Spieler, nicht aber die Menschen.  Das versuche ich so umzudrehen, dass sie erst den Menschen sehen und dann den Spieler.  Man macht Spieler dadurch besser, dass man sich um sie als Menschen kümmert. Ich mag Balance. Zu viel Fussball halte ich für gefährlich. Die größte Tragödie im Trainerwesen ist es, rund um die Uhr nur ans Training zu denken. Ich mag es, wenn Trainer an unterschiedlichen Dingen interessiert sind. Es gibt den Begriff der emotionalen Erschöpfung, an dem ich sehr interessiert bin – und Fussball ist emotional ausgesprochen belastend und auslaugend. Wenn man sich aus diesem Umfeld nicht auch mal herauszieht und woanders auftankt, greift man seine Reserven an, bis man irgendwann nichts mehr zuzulegen hat. Sehr viele Trainer sind bildlich gesprochen mit leerem Tank unterwegs. Psychologisch nenne ich das eine Tretmühle; es gibt keine Pause und man kommt nicht vom Fleck. Diese Trainer leben, um zu arbeiten. Ansonsten haben sie kein Leben. Viele Trainer, mit denen ich arbeite, leben nicht richtig. Ich verwende deshalb oft den Begriff "Harmonie". Wir sollten unsere Kinder lehren, ihr Leben ausgeglichen zu gestalten. Fussball ist uns wichtig, aber nicht so wichtig wie Gesundheit und eine intakte Familie. Aber alles fängt beim Trainer an.

Ab wann wird diese "Psychologie der Tretmühle" denn ein Problem? Es hat viel damit zu tun, dass wir nur noch zufrieden sind, wenn wir gewinnen. Das liegt an den Eigentümern der Fussballklubs, am Druck der Ligen und auch an den Eltern. Eltern an der Seitenlinie erschweren es Trainern, Kindern zur Entfaltung zu verhelfen.  Die Eltern befinden sich oft nicht im Einklang mit dem, was der Trainer erreichen will. Das setzt den Trainer unter Druck und auf diesen Druck reagiert er mit härterer Arbeit. Dabei wäre die richtige Antwort nicht härtere Arbeit sondern vielmehr, es auch mal lockerer angehen zu lassen. Ich sage oft zu Mannschaften: "Ihr trainiert zu intensiv, lächelt auch mal wieder.  Ihr sollt den Fussball genießen, nicht ertragen." Viele Trainer ertragen den Fussball nur noch. Sie haben vergessen, warum sie im Fussball arbeiten. Sie hören auf, ihn zu genießen. Das Beste, was mir als Trainer passieren konnte, waren meine beiden Söhne. Durch sie hat sich meine Sicht der Dinge radikal verändert.

Carli Lloyd hat erzählt, dass sie den Gewinn der Weltmeisterschaft und vier Tore im Finale visualisiert hat. Am Ende schoss sie im WM-Finale tatsächlich drei Tore. Wie wichtig ist Visualisierung? Visualisierung ist sehr wichtig, denn die Arbeit eines Sportpsychologen besteht darin, Spielern oder Mannschaften ein mentales Drehbuch an die Hand zu geben, beziehungsweise sie auf möglichst viele Eventualitäten im Spiel vorzubereiten. Spitzensportler denken nicht nach. Wenn man ein großes Spiel spielt, denkt man im Prinzip nicht nach. Nachdenken ist schlecht. Vielmehr muss man auf seinen Körper und sein mentales Drehbuch vertrauen. Daher sage ich Spielern zum Beispiel: "Denkt einfach an den ersten Schuss, die erste Ballberührung, den ersten Pass, den ersten Kopfball, den ersten Zweikampf. Der Rest des Spiels läuft dann von selbst, denn ihr wisst ja, was ihr zu tun habt." Visualisierung ist eine Form des Durchplanens. Man malt sich vorab aus, was im Spiel passieren könnte. Wenn man dann ins Spiel geht, hat man ein Ziel vor Augen. Man nutzt sein natürliches Gedächtnis und fühlt sich selbstsicherer, weil man sich ja schon mit verschiedensten Szenarien befasst hat. Visualisierung hilft, mentale Gewohnheiten zu entwickeln.